Ukrainekrieg

Ukrainekrieg

Schwere Kämpfe an drei Fronten und Drohungen zwischen NATO und Russland

Nach monatelangem relativem Stillstand an der Front, der dennoch eine massive Materialschlacht bedeutete – also Trommelfeuer der Artillerie, Wellenangriffe und Grabenkrieg mit unzähligen Toten auf beiden Seiten – zeichnet sich nun, mit dem Ende der Schlammphase, eine neue russische Offensive und der teilweise Übergang in einen Bewegungskrieg ab. Parallel erhöht die NATO ihren Einsatz beträchtlich. Aber auch der Widerstand unter Soldaten und Zivilisten in Ukraine und Russland wächst.

Von fu
Schwere Kämpfe an drei Fronten und Drohungen zwischen NATO und Russland
Schlachtvieh: Männer wie diese Soldaten der ukrainischen 115. mechanisierten Brigade sollen für die Gier der Imperialisten geopfert werden - viele erkennen das zunehmend und wehren sich. An dem Tag, als dieses Foto entstand, weigerten sie sich, zu kämpfen. (s.u., Quellen)

Angriffe auf Infrastruktur nehmen zu

Beide Seiten führen zunehmend Angriffe mit taktischen Raketen und Drohnen in die Tiefe des gegnerischen Hinterlandes, ohne jede Rücksicht auf die Zivilbevölkerung zu nehmen. So wurde am 9. Mai gemeldet, dass die Raffinerie Gazprom Neftekhim Salavat in Baschkortostan – 1200 km entfernt von der ukrainischen Grenze - von einer ukrainischen Drohne beschädigt wurde. Anfang der Woche wurden in der Ukraine zwei Wasserkraftwerke durch russische Drohnen schwer beschädigt und fielen aus. Gleichzeitig greifen die russischen Drohnen und Raketen das Schienen-Netz in der West-Ukraine an, um die Verlegung von Truppen und die Lieferung von westlichen Militärgütern zu behindern.

Die Lage an der Front und die Bedeutung Charkiws

Nachdem der russischen Armee bereits Mitte April ein wichtiger Durchbruch bei der Ortschaft Otscheretyne gelungen ist, bei dem der unerlaubte Rückzug einer ukrainischen Brigade eine wichtige Rolle spielte, haben sich die Kämpfe insgesamt intensiviert. Die russische Armee unternimmt unter erheblichem Truppeneinsatz Vorstöße in drei Richtungen:

 

  1. Nach Westen von Bachmut aus.
  2. Nach Nordwesten von Awdijiwka aus.
  3. Nach Süden von Belgorod (Russland) aus.

 

Erstmals seit Monaten haben russische Truppen gestern - zuerst bei der Ortschaft Wowtschansk - die Grenze aus dem Oblast Belgorod heraus überschritten und mittlerweile vier Grenzortschaften eingenommen. Dem waren schon seit Tagen intensivierte Terror-Angriffe mit Raketen auf die Stadt Charkiw vorangegangen. Dieser Angriff könnte mehreren Zwecken dienen. Es könnte

 

  1. eine taktische Offensive mit strategisch defensivem Charakter sein: Der Oblast Belgorod wurde im vergangenen Jahr mehrfach durch ukrainische Truppen angegriffen, wobei nicht nur Raketen auf Städte abgefeuert wurden, sondern auch Bodentruppen aus freiwilligen russischen Nationalisten zum Einsatz kamen, die auf Seiten der Ukraine kämpfen. Dann wäre das Ziel eine „Pufferzone“.
  2. ein Entlastungsangriff sein, um die Ukraine zu zwingen, Truppen von den beiden anderen Hauptstößen der russischen Armee abzuziehen und diese Abschnitte für eine aus dieser Richtung kommende Offensive zu schwächen.
  3. die Einleitung eines Angriffs auf die Stadt Charkiw selbst und damit der Beginn eines strategischen Zangenmanövers sein, der die nordöstliche Front der Ukraine einkesseln soll.

 

Dabei gehen die meisten Beobachter davon aus, dass die russischen Truppen den ukrainischen aktuell in einem Verhältnis von 3 zu 1 an der Front überlegen sind. Russland soll 50.000 Soldaten zusammengezogen haben. Das wäre die minimale Voraussetzung für aussichtsreiche Angriffe auf befestigte Verteidigungsstellungen und entsprach auch dem Kräfteeinsatz bei der Schlacht um Otscheretyne. Hier könnte durchaus das eigentliche Ziel der Operationen liegen, denn mit dem Fall von Otscheretyne ist die Großstadt Pokrowsk bedroht, die von großer strategischer Bedeutung ist. Von dort soll die ukrainische Verteidigung des Abschnitts koordiniert werden.

Aktive Verschärfung durch den Westen

Die schwierige Lage ihrer ukrainischen Verbündeten hat die westlichen Imperialisten genötigt, in den letzten Tagen den Einsatz Schritt um Schritt und in kurzer Folge zu erhöhen.

 

So erklärte der britische Außenminister David Cameron am 2. Mai, die Ukraine habe „das Recht", Ziele auf russischem Staatsgebiet unter Beschuss zu nehmen. Die Ukraine könne selbst entscheiden, wie die von Großbritannien gelieferten Waffen eingesetzt werden (und somit: ob gegen russisches Gebiet). Das neuimperialistische Russland drohte für den Fall mit Angriffen auf britische Militäreinrichtungen und kündigte öffentlich eine Übung mit taktischen Atombomben an der Grenze zur Ukraine an, die zwischenzeitlich angelaufen ist.

Debatte um Bodentruppen wird intensiviert

Am selben Tag sprach der französische Präsident Emmanuel Macron in einem Interview mit der britischen Zeitschrift „The Economist“ erneut über den Einsatz westlicher Bodentruppen in der Ukraine, dieses Mal mit klaren Bedingungen: „Falls die Russen die Frontlinien durchbrechen und falls die Ukraine darum bittet, was bislang nicht der Fall ist, dann müssten wir uns zu Recht diese Frage stellen“.

 

Am 8. Mai sagte die litauische Premierministerin Ingrida Šimonytė gegenüber der "Financial Times", sie habe die parlamentarische Erlaubnis, Truppen zu Ausbildungszwecken in die Ukraine zu entsenden – ob es dazu kommt, liege alleine bei der Ukraine.

Deutschland: Für mehr Waffen muss man woanders sparen

Der bundesdeutsche Kriegsminister Boris Pistoris (SPD) fordert, noch in den USA zu Besuch, eine Erhöhung des Wehr-Etats auf Kosten der Schuldenbremse. Bereits zuvor hatte er 6,5 Milliarden mehr verlangt – knapp 10 %. Finanzminister Christian Lindner (FDP) hat nichts dagegen – aber nicht auf Kosten der Schuldenbremse, sondern der breiten Massen, bitteschön.

 

Lindner ist absolut auf der Linie des (wortwörtlichen) Aushängeschilds der FDP im EU-Wahlkampf, der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Sie hatte das schon Ende April in der ARD-Talkshow „Caren Miosga" gefordert. Auf dem Bundesparteitag der FDP erklärte sie, wie sie die Armee einsetzen würde: „Es war ein Fehler der Nato, von Beginn des russischen Angriffs an den Wunsch der Ukrainer, eine No-Fly-Zone über der Ukraine einzurichten, abzulehnen".

 

Eine Flugverbotszone der NATO über der Ukraine hätte mit NATO-Kampfflugzeugen durchgesetzt werden müssen. Was wäre passiert, wenn russische Maschinen in den ukrainischen Luftraum eingedrungen wären und sich nicht einfach hätten abdrängen lassen? Dann hätten wir 2022 schon einen direkten Krieg zwischen NATO und Russland gehabt - und Strack-Zimmermann bedauert also, dass es dazu nicht kam! Eine absolut kaltblütige Menschenverachtung.

Zunehmender Widerstand

Während sich die Weltkriegsgefahr erheblich verschärft, nimmt allerdings auch der Widerstand dagegen langsam zu. Es kommt verschiedentlich zu objektiver Befehlsverweigerung durch Truppen beider Seiten – der unerlaubte Rückzug der ukrainischen 115. mechanisierten Brigade war der bislang mit Abstand bedeutendste Fall dieser Art.

 

Weil es der Ukraine im Gegensatz zur in den westlichen Medien verbreiteten Demagogie nicht in erster Linie an Waffen, sondern an Soldaten fehlt, wird das Wehrgesetz massiv verschärft. So werden keine Reisepässe mehr an Jugendliche und Männer zwischen 18 und und 60 ausgegeben und die Ukraine macht Druck, zum Beispiel nach Deutschland geflüchtete Männer zurück zu schicken. Sie müssen dagegen geschützt werden! Die Internationalistische Liste / MLPD fordert auch deshalb in ihrem 10-Punkte-Programm zur Europawahl "Keine Aushöhlung der Genfer Flüchtlingskonvention!" und positioniert sich klar gegen den imperialistischen Krieg: "Aktiver Widerstand gegen die Weltkriegsgefahr! Gegen alle Imperialisten – wie das imperialistische Russland und die NATO! Keine Waffenlieferungen!"

 

Zwangsrekrutierungen werden niemals ausreichen, um den Krieg zu gewinnen. Aber sie werden dazu führen, dass der Widerstand der ukrainischen Massen gegenüber ihrer Regierung wächst. In Russland sehen wir eine ähnliche Entwicklung. Gewinnt dieser Widerstand an Bewusstsein und kommt es zu Verbrüderungen, dann kann es gelingen, den noch begrenzten Krieg zu beenden, bevor er zu einem Weltkrieg wird.