Die Mutigen 56
1956/57: Der längste Streik der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte
Am Abend des 1. Mai strahlte die ARD einen aufrüttelnden Dokumentarfilm über den längsten Arbeiterstreik der Nachkriegsgeschichte aus: „Die Mutigen 56“ schildert Beweggründe und Verlauf des vom 24. Oktober 1956 bis zum 15. Februar 1957 andauernden Streik von 32 000 Metallarbeitern Schleswig Holsteins für die Durchsetzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.
Drei Elemente machen das Gemeinschaftswerk der Berliner Regisseurin Sabine Bernard und des Hamburger Dokumentarfilmers und Historikers Ingo Helm überaus lebendig: Ein Spielfilmteil, in dessen Mittelpunkt die fiktive Kieler Arbeiterfamilie Freese steht, immer wieder eingeblendete zeitgeschichtliche Filmdokumente über die Lage der Arbeiter in Betrieb und Gesellschaft und zahlreiche Interviews mit Zeitzeugen, Streikteilnehmern und ihren Frauen. Eine bemerkenswerte Besonderheit ist es, wie die Rolle der Frauen positiv aufgegriffen wird und dabei auch der Lernprozess des Familienvaters Alfred Freese gegenüber den Emanzipationsbestrebungen seiner ältesten Tochter.
Der Streik brachte viele Entbehrungen für die Arbeiterfamilien und wurde mit außerordentlicher Härte geführt. Gegen Demoralisierungs- und Erpressungsversuche der Metallkapitalisten setzten sich die Arbeiter zu Wehr. In zwei Urabstimmungen lehnten die Kämpfenden von der IG-Metall-Führung ausgehandelte Kompromisse ab. Im Spielfilmteil wird auch die führende und solidarische Tätigkeit des Ehepaars Hein und Anni Wadle dargestellt, beide KPD-Mitglieder, die schon im antifaschistischen Widerstand gewirkt hatten. Hier fällt auch die Frage: „Mutti, warum lachst du nie?“, die 1988 Titel eines von Anni Wadle verfassten Buches über ihre „Erinnerungen an Zeiten von Verfolgung und des Krieges“ wurde (1).
Obwohl und gerade weil die Filmemacher keinerlei antikommunistische Anklänge aufkommen lassen, ist zu kritisieren, dass sie das zwei Monate vor Streikbeginn verhängte KPD-Verbot mit keinem Wort erwähnen – der Betriebsrat der Howaldtswerke Hein Wadle und seine Frau mussten ihre so empathisch verfilmte politische Arbeit erneut in der Illegalität durchführen!
Der Streik endete mit einem Kompromiss, den auch im Februar 1957 noch 57,66 Prozent der Streikenden ablehnten, was ebenfalls im Film unerwähnt bleibt. Erst seit 1970, so wird im Abspann erklärt, erhielten die Arbeiter in Westdeutschland den vollen Lohnausgleich im Krankheitsfall.
In der ARD-Mediathek ist „Die Mutigen 56“ verfügbar und zur Förderung der aktuell notwendigen Entfaltung der Arbeiteroffensive lohnt es sich, ihn mit Kolleginnen und Kollegen gemeinsam anzuschauen.