Antworten zum Teil nicht freigeschaltet

Antworten zum Teil nicht freigeschaltet

Offener Brief der MLPD an Abgeordnetenwatch - Kritik an Zensur regierungskritischer und sozialistischer Positionen

Wie gestern schon kurz berichtet, haben die Betreiberinnen und Betreiber der Plattform Abgeordnetenwatch.de sowie dessen „Kandidierenden-Checks“ einige regierungskritische und sozialistische Positionen von Kandidatinnen und Kandidaten zur Europawahl nicht veröffentlicht und Änderungen verlangt. "Rote Fahne News" dokumentiert einen Offenen Brief der MLPD:

Offener Brief der MLPD an Abgeordnetenwatch - Kritik an Zensur regierungskritischer und sozialistischer Positionen
Sechs von elf Positionen der Spitzenkandidatin Monika Gärtner-Engel sollten zensiert werden (rf-foto)

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

die Internetplattform Abgeordnetenwatch und ihr Kandidierendencheck genießen im Allgemeinen einen guten Ruf. Unsere Kandidatinnen und Kandidaten nutzen sie auch aktiv. Sie haben sich selbst den Anspruch gestellt, „überparteilich“ und parteipolitisch „neutral“ zu sein. Jetzt berichten aber immer mehr Kandidierende der Internationalistischen Liste/MLPD, dass ihre Antworten in der Kandidatenbefragung massiv zensiert werden. Wir protestieren gegen die Zensur regierungskriti-scher und sozialistischer Positionen.

 

So wurden bei der Spitzenkandidatin Monika Gärtner-Engel gleich sechs Antworten bei elf Fragen nicht freigeschaltet. So untersagen Sie ihr, von „Völkermord“ in Gaza zu sprechen. Sie schreiben: „Gerne können Sie diese Aussage den Fakten entsprechend umformulieren und dabei vor allem den Begriff ‚Völkermord‘ auslassen. Wir haben den Satz jedoch vorläufig aus der Beschreibung gestrichen.“ Das israelische Militär hat seit dem 7. Oktober 2023 in Gaza mindestens 34.000 Palästinenserinnen und Palästinenser getötet. Was soll das anderes sein als Völkermord? Das Aushungern lassen des ganzen Landstrichs, die Zerstörung der medizinischen Versorgung? Der Inter-nationale Gerichtshof hat ausdrücklich in der Befassung des Eilantrags von Südafrika gegen Israel eine Verurteilung Israels im Hauptsacheverfahren wegen Völkermords nicht ausgeschlossen. Hätten Sie dieselben Einwände, wenn wir im Kandidierendencheck die Solidarität mit dem Staat Israel betonten oder ihn als demokratischen Staat bezeichneten? Wohl kaum. Ihr Kandidierendencheck bietet nicht einmal als Option an, die Qualifizierung von „Völkermord“ weiter zu belegen, sondern maßt sich selber an, das Monopol über die Beurteilung zu haben („gerne können Sie diese Aussage den Fakten entsprechend umformulieren“) – wobei der Begriff Völkermord von vornherein ausgeschlossen wird.

 

Die Nichtfreischaltung einer Antwort der auf der Liste zur Europawahl zweitplatzierten Gabi Fechtner wurde so begründet: „Ihre Aussage zu einer Vorbereitung eines Dritten Weltkriegs bitten wir zu entfernen, da diese nicht den Fakten entspricht. Die Erhöhung der Verteidigungsausgaben ist eine Reaktion auf die russische Invasion in der Ukraine, Ihre Aussage suggeriert hingegen die Absicht der EU, einen Dritten Weltkrieg auszulösen.“

 

In einer E-Mail vom 30. April schrieb Frau Fechtner an Ihr Team von Kandidierendencheck: „Im Grunde fordern sich, dass ich mich der Regierungsmeinung unterordne. Sie stellen einfach das Dogma auf, dass mit der Hochrüstung in Deutschland kein Dritter Weltkrieg vorbereitet wird und eine andere These nicht zugelassen werden könne. Tatsache sei dagegen, dass die Erhöhung der Verteidigungsausgaben eine Reaktion auf die russische Invasion in der Ukraine sei. In Russland darf man das wiederum nicht verbreiten, weil die Regierung behauptet, sie führe nur eine ‚antifaschistische Spezialoperation‘ durch. Ich bin so frei, mich weder der einen noch der anderen Regierungslinie unterzuordnen. (…) Dass man bei Wahlen nur noch die Regierungslinie vertreten darf – ich dachte, das gebe es nur in ausgesprochenen Autokratien. Sie schränken willkürlich mein persönliches Recht auf freie Meinungsäußerung und die Parteienrechte der MLPD ein.“

 

Im Übrigen handelt es sich bei der These der Weltkriegsvorbereitung durch fast alle Imperialisten um eine zutreffende Aussage, die auf gründlichen Analysen beruht (https://www.mlpd.de/broschueren/der-ukrainekrieg-und-die-offene-krise-des-imperialistischen-weltsystems). Dass Sie diese Analyse nicht teilen müssen, liegt auf der Hand. Aber entsprechend Ihrem Anspruch und der von Ihnen öffentlich geweckten Erwartungen fordern wir, dass sie gleichberechtigt neben anderen Standpunkten veröffentlicht werden.

 

Selbstverständlich schaltet Kandidierendencheck dagegen ohne jede Probleme regierungsamtliche Positionen frei wie von Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP). Sie behauptet, die Bundeswehr brauche „Geld zur Modernisierung und um ihren Anteil zur europäischen Sicherheit leisten zu können“. Seit wann ist es eine unbestreitbare Tat-sache, dass die Bundeswehr zur „europäischen Sicherheit“ beiträgt und keine imperialistische Armee ist? War die Bundeswehr nicht maßgeblich am völkerrechtswidrigen Überfall auf Jugoslawien beteiligt?

 

Untersagt wurden auch zunächst viele weitere Qualifizierungen wie von der EU als „imperialistischem Bündnis“, von „großen Imperialisten“, oder aber auch, dass die Regierung „Protest und Organisierung der Bevölkerung“ verhindern wolle. Bei all diesen Punkten forderten Sie, das ausdrücklich als „eigene Meinung“ darzustellen. Dabei sind die Antworten auf die Fragen von Kandidierendencheck natürlich alles die Meinung der Befragten, um was soll es denn bei einer solchen Befragung sonst gehen? Die Ant-worten werden zudem allesamt von Ihnen mit dem Zusatz: „Meine Begründung“ publiziert.

 

Den Protestbrief von Gabi Fechtner lehnte Ihr Team vom Kandidierendencheck umgehend mit den dürren Zeilen ab, „es bleibt allerdings dabei. Wir haben in unserem Moderationskodex ganz klar festgelegt, welche Inhalte auf unserer Website veröffentlicht werden und welche nicht.“ (E-Mail vom 2. Mai 2024)

 

Dabei verstößt keine der von Ihnen zensierten Aussagen gegen den Moderationskodex (https://www.abgeordnetenwatch.de/ueber-uns/mehr/moderations-codex). Völlig zu Recht heißt es dort, dass Beiträge, die „Gewaltherrschaft, Rassismus, Sexismus“ usw. verbreiten, nicht veröffentlicht werden. Genauso selbstverständlich werden „beleidigende, beschimpfende und menschenverachtende Formulierungen“ nicht gebracht. Das unterstützen wir ausdrücklich, aber damit hat keine unserer Aussagen etwas zu tun. Auch enthält der Kodex den Punkt, dass harte Fakten belegt werden müssen: „Beiträge, die Tatsachenbehauptungen, Zitate und Statistiken [Zahlen] enthalten, die nicht mit Quellen belegt werden“ werden nicht veröffentlicht. Das ist erkennbar nicht auf Meinungsäußerungen mit Tatsachenkern gemünzt, um die es hier jeweils geht.

 

Da, wo Sie Antworten nicht veröffentlichen, erscheint der bei uns unzutreffende Hinweis, dass diese gegen den „Moderationskodex“ verstoßen würden, was aber nicht der Fall und nur dazu geeignet ist, die Kandidierenden ohne sachlichen Grund zu stigmatisieren. Viele unserer Kandidatinnen und Kandidaten haben unter Protest solche Äußerungen um Hinweise ergänzt, dass das eine auf „gründlichen Analysen beruhende Meinung“ sei oder dergleichen, woraufhin diese teilweise freigeschaltet wurden. Welch peinliches Prozedere.

 

Selbst mehr als fragwürdige Behauptungen werden dagegen bei Ihnen problemlos publiziert, wenn Sie den herrschenden Narrativen entsprechen. So konnte Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) bei Ihnen unproblematisch folgendes verkünden: „Der Emissionshandel ist das effektivste und effizienteste Klimaschutzinstrument“. Enthält das keine Tatsachenbehauptung? Sie ist direkt falsch und der Emissionshandel verhalf bislang großen Unternehmen zu Zusatzprofiten, minderte aber den CO2-Ausstoß nicht (https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/wirtschaft/klimawandel-eu-emissionshandel-folgen-100.html). Wir fordern entsprechend in dem neuen Buch „Die globale Umweltkatastrophe hat begonnen!“: „Abschaffung des Handels mit Emissionszertifikaten und der CO2-Bepreisung.“

 

Von Arno Bausemer von der AfD verbreiten Sie die Falschaussage, dass in AKW „günstiger Strom“ produziert würde, obwohl Atomstrom nachgewiesenermaßen der teuerste ist (https://www.bund-sh.de/energie/atomkraft/hintergrund/die-wahren-kosten-von-atomkraft/)? Warum stellen Sie sich in solchen Streitfragen auf die Seite von Frau Strack-Zimmermann (FDP) oder Arno Bausemer (AfD), wo Sie doch parteipolitisch neutral sein wollen? Hier wird eindeutig mit zweierlei Maß gemessen. Das verstößt auch gegen das grundgesetzlich geschützte Recht auf gleiche Wahlen und die Chancengleichheit der Parteien.

 

Wir fordern Sie auf, wirklich überparteilich zu agieren und solche antikommunistischen Zensurmaßnahmen umgehend zu beenden. Was bleibt sonst vom „überparteilichen“ und politisch „neutralen“ Anspruch von Abgeordnetenwatch und Kandidierendencheck?

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Peter Weispfenning

 

Der Offene Brief im pdf-Format