Sudan
Die Tragödie eines neuimperialistischen Stellvertreterkriegs
Die Zustände im Sudan erreichen bisher kaum gekannte Dimensionen und haben das Potenzial, weit mehr Menschenleben zu fordern, als der Ukrainekrieg und der Nahost-Krieg bislang zusammen. Im Sudan prallen die Interessen mehrerer neuimperialistischen Mächte zusammen, ohne jede Rücksicht auf Land und Menschen zu nehmen. Auch dieser Krieg muss als Bestandteil der wachsenden Weltkriegsgefahr verstanden werden.
Das Ausmaß der humanitären Katastrophe
Der Krieg zwischen den sudanesischen Streitkräften (SAF) unter der Militärregierung von General Abdel Fattah al-Burhan und den aus den Dschandschawid-Milizen hervorgegangenen „Rapid Support Forces“ (RSF) unter ihrem Anführer Generalleutnant Mohammed Hamdan Daglo, genannt Hemedti, verwüstet das Land jetzt seit über einem Jahr.
Die Verluste an Menschenleben durch den Krieg werden aktuell mit um die 15.000 angegeben, hinzu kommen 33.000 Verletzte. Alle Seiten sind sich allerdings einig, dass diese Zahl viel zu niedrig ist: Einem UNO-Bericht zufolge seien allein in Dschunaina in Darfur bis zu 15.000 Menschen getötet worden.
Sexuelle Gewalt kommt als Kriegswaffe zum Einsatz. Bei der Schlacht um Khartum sollen über 1000 Frauen vergewaltigt worden sein. Frauen in Darfur berichten von Gruppenvergewaltigungen.
In Ardamata wurden am 5. November 2023 durch die mehrheitlich arabischen "Rapid Support Forces" (RSF) über 800 Masalit ermordet, nachdem sich die Armee aus dem Gebiet um Dschunaina zurückgezogen hatte. Ein Video in dem sudanesische Soldaten triumphierend die Köpfe von Studenten hochhielten, die wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit enthauptet worden waren. Massaker, in einigen Fällen mit einem ethnischen Hintergrund; Völkermord. Besonders in Darfur komme es weiterhin zu Vergewaltigungen, Raubzügen und anderen Gräueltaten.
Der völlige Zusammenbruch und die Gleichgültigkeit imperialistischer Regierungen
Ganze Städte wurden in den Kämpfen dem Erdboden gleich gemacht, darunter auch die Hautpstadt Khartum – sie ist jetzt weitestgehend entvölkert und völlig unbewohnbar. Die Infrastruktur ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt de facto zusammen gebrochen. Es gibt weder medizinische Versorgung, noch ausreichend Nahrung.
In Folge all dessen sind ungefähr 9 Millionen Menschen – fast jeder fünfte Sudanese – auf der Flucht, die meisten davon im Land selbst. 1,2 bis 2 Millionen von ihnen sind aus dem Land geflohen, die meisten von Ihnen in den Tschad, aber auch in alle anderen angrenzenden Länder.
40 Prozent der Bevölkerung, 20 Millionen Menschen, sind ohne sicheren Zugang zu Nahrungsmitteln: 17 Millionen sind akut von Hunger bedroht. Übereinstimmenden Berichten nach sind bereits Tausende – vorwiegend Kinder – in den Flüchtlingslagern alleine verhungert. Unter all diesen Bedingungen beginnen Krankheiten zu grassieren, einschließlich Cholera.
Die Vereinten Nationen riefen zu humanitären Hilfen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro auf, erhielten von den Staaten aber nur 89,5 Millionen Euro; vier Prozent der minimal benötigten Summe. Die UN griff auf ihre Notreserven zurück, um auch nur den dringendsten Bedarf an Nahrungsmitteln und Unterkünften decken zu können.
Der Krieg fremder Mächte
Der UN-Menschenrechtsrat äußert mittlerweile offen den Verdacht, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und der Iran seien nun an dem Krieg beteiligt.
Die Emirate liefern offenbar technisch hoch entwickelte Waffen über den Tschad an die RSF. Die Regierung des Tschad soll erhebliche Mittel aus den Emiraten erhalten haben, um diesen Schmuggel zuzulassen. Es gibt weiterhin deutliche Hinweise, dass russische Söldner auf Seiten der RSF kämpfen.
Der Iran versucht durch die Unterstützung der Militärregierung seinen Einfluss im Roten Meer zu zementieren – die Küste des Sudan liegt auf der anderen Seite des von den jeminitischen Huthi-Milizen kontrollierten Gebietes. Eine sichere Kontrolle beider Seiten des schmalen Meers würde zu einer Art Drosselpunkt führen, der es dem Iran im Zweifelsfall ermöglichen könnte, den internationalen Handel auf dieser international wichtigsten Seeroute abzuwürgen. Analog zu den russischen Söldnern hat die Ukraine etwa hundert Angehörige ihrer Spezialkräfte in den Sudan geschickt, um die Militärregierung zu unterstützen.
In der aktuellen Situation gewinnen die RSF, vor allem auf Grund der umfangreichen Waffenhilfe aus den Emiraten, langsam die Oberhand. In den letzten zwei Monaten haben sie entlang mehrerer Achsen Vorstöße tief in den dichter bevölkerten Süden geführt, während die Militärregierung neben dem wenig besiedelten Norden nur noch den Osten des Landes beherrscht. Jetzt versucht sich der RSF-Anführer Hamadti staatsmännisch zu geben und sich als legitimer Führer des Landes zu etablieren. In einem von seinen Gönnern aus den Emiraten gesponserten Charterflugzeug bereiste er mehrere Länder.
Dabei gibt der Frontverlauf nur eine gewisse Vorstellung von den Kräfteverhältnissen. Es gibt kaum ein „ruhiges Hinterland“. Fast überall wird gekämpft, stoßen oft kleine Verbände der einen oder anderen Seite in von ihren Feinden nominal kontrolliertes Gebiet vor. 10 Millionen Kinder leben jetzt in aktiven Kampfzonen.
Volksbefreiungsbewegung hält Gebiete im Süden
Ein Lichtblick bleibt die Allianz zwischen der säkularen "Volksbefreiungsbewegung des Sudan – Nord" (SPLM-N [al-Hilu]) und der revisionistischen Kommunistischen Partei des Sudan, die im Süden des Landes weiterhin zwei Gebiete in Dschanub Kurdufan und an-Nil al-azraq kontrollieren und dort Schutzzonen für Flüchtlinge und die dortige Zivilbevölkerung gleichermaßen eingerichtet haben wollen. Allerdings wurden sie zurückgedrängt; die Verbindung zwischen den beiden von ihnen kontrollierten Gebieten ist nur noch ein enger Korridor, so dass eine Teilung droht. Insbesondere die Volksbefreiungsbewegung scheint von ihrer im Südsudan vorherrschenden Mutterpartei keine Befehle, die Waffen niederzulegen oder sich den Regierungstruppen anzuschließen, anzunehmen. Informationen aus diesen Gebieten sind schwer zu bekommen, so dass eine konkrete Analyse schwer möglich ist.