Trauermarsch wird zur Demonstration

Trauermarsch wird zur Demonstration

Brandanschlag in Solingen – Wachsamkeit ist geboten

Solingen ist aufgewühlt. Der mörderische Brandanschlag vom Montag, bei dem vier Menschen durch bewusste Brandstiftung ums Leben kamen, neun weitere schwer verletzt im Krankenhaus liegen, weckt tiefes Mitgefühl, aber auch fürchterliche Erinnerungen an den faschistischen Brandanschlag vom Mai 1993.

Von cg
Brandanschlag in Solingen – Wachsamkeit ist geboten
1000 Menschen zogen heute durch die Solinger Innenstadt zu dem Haus, in dem die junge Familie grausam ums Leben kam (rf-foto)

Linke antifaschistische Gruppen aus dem Bergischen Land riefen daher am Donnerstag zu einer Trauerkundgebung vor dem Brandort auf. Ca. 200 Menschen beteiligten sich. Viele türkischstämmige Teilnehmer waren da – auch ein Großteil der antifaschistischen Kräfte aus der Region. Viele lagen sich in den Armen, hatten Tränen in den Augen. Tiefe Anteilnahme für die ermordete vierköpfige Familie, ihre Angehörigen und die neun weiteren Schwerverletzten prägten  die Stimmung, aber auch die Angst vor einem neuen Aufflammen rassistischer Brandanschläge.

 

Blumen, Kerzen, Kinderspielzeug und Ähnliches wurden vor dem Brandhaus niedergelegt - dazu auch kleine Schilder, wie: „Wenn nicht ‚fremdenfeindlich‘ ist die Tat allemal menschenfeindlich! Eine Familie ermordet, die weiteren Betroffenen fürs ganze Leben traumatisiert.“ Oder: „Ausländerfeindlicher Brandanschlag 1993 – 2024 schon wieder!?“ In wenigen kurzen Reden wurde betont, dass man zwar noch nicht wisse, wer die Täter seien, aber höchste Wachsamkeit erforderlich sei. Denn die „aktuell laufende rassistische Mobilisierung erinnert an die gesellschaftliche Stimmung der 90er Jahre vor Rostock, Mölln und Solingen.“

 

Auch Tayfun Keltek vom Landesintegrationsrat NRW schrieb: „Leider müssen wir davon ausgehen, dass hinter dem feigen Anschlag rassistische Hintergründe stecken. Die aktuell gesellschaftlich aufgeheizte Lage lässt mich zu diesem Ergebnis kommen. Diese Tat ist ein weiterer Rückschlag für unser friedliches Miteinander." Die tendenzielle Verharmlosung und Abwiegelung der Staatsanwaltschaft wurde kritisiert. Denn das war ein nur zu häufig gebrauchtes Strickmuster beim Brandanschlag in Solingen vor 30 Jahren, bei den NSU-Morden und vielen anderen. Die MLPD fordert zusammen mit den Angehörigen und zahlreichen anderen Menschen lückenlose Aufklärung, Bestrafung der Täter und Wachsamkeit gegen jeden Vertuschungsversuch!

 

Dr. Yücel Meheroglu von der Melde- und Informationsstelle Antiziganismus in Berlin fragte beim kommunalen Bündnis SOLINGEN AKTIV nach: „Handelt es sich bei den Opfern um Roma, die aus Bulgarien eingewandert sind? Gab es im Vorfeld antiziganistische Hetze?“ Eine Nachfrage bei den bei der Trauerkundgebung anwesenden Familienangehörigen der ermordeten Bulgaren konnte zumindest diese Besorgnis entschärfen: Es handelt sich um türkischstämmige Bulgaren. Die bulgarische Familie wohnte erst ca. zwei Monate in dem Haus. Dem Vater des Ermordeten zumindest waren keine feindlichen Angriffe im Haus bekannt.

 

Während und kurz nach der Trauerkundgebung wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft schon am Tag zuvor einen Verdächtigen festgenommen und verhört hatte. Noch am gleichen Abend wurde in den Medien verbreitet, es habe sich bei dem Brandanschlag lediglich um „zwischenmenschliche Streitigkeiten“ gehandelt. Doch schon einen Tag später platzte dieser politische Entwarnungsversuch: Der Verdächtige musste freigelassen werden, da er ein einwandfreies Alibi hatte.

 

Höchste antifaschistische Wachsamkeit ist also weiter gefordert. Am heutigen Samstag organisierte die Stadtspitze gemeinsam mit der Familie einen Trauermarsch vom Neumarkt zum Brandhaus.1000 Menschen zogen durch die Innenstadt zum Brandhaus. Zahlreiche bulgarische Teilnehmer skandieren zornig "Aufklärung" und "Gerechtigkeit".