Über Arbeiterstreiks, Palästinasolidarität und mehr

Über Arbeiterstreiks, Palästinasolidarität und mehr

Interview mit Doug Nicholls

Doug Nicholls war Generalsekretär des Gewerkschaftsdachverbands General Federal Trade Union in Großbritannien. Ein Genosse der MLPD konnte mit ihm am 12. März 2024 ein Interview führen, das "Rote Fahne News" hier dokumentiert.

Bis letztes Jahr gab es in Grobritannien in verschiedenen Bereichen Streiks, an denen sich Millionen beteiligten. Wie hat sich diese Welle von Streiks weiterentwickelt? Was hat sich geändert?

 

Doug Nicholls: Streiks sind an sich nicht der beste oder einzige Indikator für die Intensität des Klassenkampfes. Der Krieg zwischen den Klassen ist kontinuierlich und alltäglich. Die gesamte Landschaft der Arbeitsbeziehungen in Großbritannien haben sich vor allem durch die Zerstörung der Tarifverhandlungen verändert. Vor vierzig Jahren waren über achtzig Prozent der Arbeiter durch von ihren Gewerkschaften ausgehandelte Tarifverträge abgedeckt. Jetzt sind es weniger als zwanzig Prozent, so dass es in Ermangelung von Mechanismen zur Konfliktlösung durch Tarifverhandlungen zwangsläufig zu mehr Streiks kommen wird. Dies ist auch deshalb unvermeidlich, weil die Streiks, die stattgefunden haben, eine neue Generation zum Kampf und zur Organisierung inspiriert haben, und weil die Angriffe auf die Lebenshaltungskosten nicht verschwunden sind und der Wert der Löhne gesunken ist. Es ist auch unvermeidlich, dass es mehr Streiks geben wird, weil die neue Gesetzgebung darauf abzielt, wirksame Streiks zu verbieten. Und jedes Mal, wenn dies in der Vergangenheit versucht wurde, haben die Gewerkschaften diese Vorschläge mit noch mehr Streiks niedergeschlagen!

 

Das Vereinigte Königreich ist weltweit führend bei Massenprotesten gegen Israels Krieg in Gaza. Woher kommt diese Bewegung ihre Kraft und was sind ihre Ziele?

 

Doug Nicholls: In Großbritannien gab es schon immer einen extrem starken Sinn für proletarischen Internationalismus. Wir haben auch eine tief verwurzelte offene Kultur, und auch natürlich angesichts schrecklicher Beispiele, generell eine Abneigung gegen religiösen Fanatismus, ideologischen Fundamentalismus und Rassismus. Dies alles geht sehr weit in unsere nationale Geschichte zurück auf die Konzepte der Arbeiterklasse von menschlicher Einheit und Solidarität. Unsere heutige Gewerkschaftsbewegung ist stolz darauf, der Hauptunterstützer von vielen der führenden internationalen Solidaritätsorganisationen zu sein - darunter natürlich die Palästina-Solidaritätskampagne, die seit Jahrzehnten wirksam in den Gewerkschaften tätig ist und Generationen von Arbeitern über die wahre Geschichte der Region des Nahen Ostens informiert und aufklärt. Die unmittelbaren Ziele der Bewegung sind natürlich ein Waffenstillstand in Gaza, aber natürlich ist man sich bewusst, dass eine längerfristige Zweistaatenlösung gefunden werden muss und dass Großbritannien aufhören muss, sich in den Windschatten der amerikanischen und israelischen Politik zu hängen. Dies wiederum hat viele in dieser riesigen Bewegung (über 400.000 beim fünften Marsch an diesem Wochenende) dazu veranlasst, sich erneut für den Weltfrieden einzusetzen.

 

Mit ihrer Flüchtlingspolitik und ihren Militäroperationen im Roten Meer steht die britische Regierung an der Spitze eines internationalen rechtsgerichteten Trends zu Faschismus und Krieg. Mein Eindruck ist, dass sich die Krise der Regierung, die schon seit einiger Zeit andauert, verschärft.

 

Doug Nicholls: Es kommt darauf an, was mit der Krise gemeint ist. Was wir erleben, ist die starke Schwächung der US-Wirtschaft und damit des US-Imperialismus. Sein engster Verbündeter, Großbritannien, sitzt im selben Boot. Dieses Boot sinkt. In einer solchen Situation, in der die aggressivste imperialistische Macht der Welt eine Niederlage nach der anderen einstecken muss, schlägt sie wie ein sterbendes Tier um sich. Der große Stolz und die Freude der USA, Israel, wird ein für alle Mal und endgültig auf dem ganzen Globus bloßgestellt. Wenn die besten Freunde des schlimmsten Feindes der Welt ihr wahres Gesicht zeigen, wie sie es getan haben, wird sich ein Wandel vollziehen. Indem sich ihre Geschichte von Gemetzeln und Invasion häufen, werden sie schließlich zu den Ausgestoßenen der Welt, niemand will sie, ihre Politik ist verpönt. Deshalb sehen wir sozialistisches Denken wie Phönix aus der Asche in den USA aufsteigen und die die ganze Grausamkeit des britischen Imperialismus in Großbritannien neu in Frage gestellt. Ja, sie sind in einer großen Krise, einer Überlebenskrise, weil immer mehr von uns die Hände zu Fäusten ballen.

 

George Galloway hat kürzlich eine Nachwahl für das britische Parlament in Rochdale gewonnen. Was ist das Besondere an dieser Wahl und was sagt sie über die Labour-Partei aus?

 

Doug Nicholls: Das Besondere ist, dass zum ersten Mal in der britischen Geschichte ein Sozialist bei einer Parlamentswahl mehr Stimmen erhalten hat als alle großen sozialdemokratischen Parteien zusammen, und auch ein lokaler unabhängiger überparteilicher Kandidat den zweiten Platz belegte. Die nationale Labour Party verzichtete auf ihren lokalen Kandidaten, der sich gegen Israels Völkermord in Palästina aussprach. Aus technischen Gründen stand er zwar noch auf dem Wahlzettel, aber niemand hat ihn wirklich gewählt. Rochdale war bisher ein sehr sicherer Labour-Sitz. Fast jeder Wähler hat die Labour-Partei jetzt im Stich gelassen. Rochdale ist eine der am stärksten benachteiligten Gegenden des Landes, mit großer Armut und einem Anteil von 30 % Muslimen. Rochdale war das Herz der industriellen Revolution und eine Hochburg des fortschrittlichen Denkens und Geburtsort der Genossenschaftsbewegung. Es ist also ziemlich typisch für Großbritannien und die allgemeine Entwicklung von Boom zur Pleite, von produktiver Industrie zu Elend. Für mich ist das ein Zeichen dafür, dass man erkannt hat, dass die kollabierende Wirtschaft im eigenen Land und die und die immer brutaleren Kriege der USA und ihrer Verbündeten zusammenhängen und nicht hinnehmbar sind. In einer politischeren Sprache werden die Verwüstungen des Neoliberalismus und des Imperialismus energischer zurückgewiesen. Seit den frühen achtziger Jahren und mit Ausnahme ihres Wahlmanifests unter Jeremy Corbyn hat die Labour Partei sowohl den Neoliberalismus als auch den Imperialismus und die so genannte besondere Beziehung zu den USA hervorgehoben. Es bleibt abzuwarten, ob diese Position bei den kommenden Parlamentswahlen mehr breite Unterstützung findet.

 

Soweit wir wissen, verteidigt George Galloway den russischen Imperialismus und dessen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Wir hingegen stellen uns konsequent gegen alle Imperialisten - sowohl gegen die NATO mit der ukrainischen Regierung als auch Russland. Was ist deine Meinung, was ist die Meinung der Arbeiter in Großbritannien dazu?

 

Doug Nicholls: Die Arbeiter hier sind in dieser Frage gespalten. Einige unterstützen die NATO und die USA und natürlich auch die Ukraine. Andere, vor allem aus den Reihen der Sozialisten und Kommunisten, erkennen an, dass das Wiedererstarken der faschistischen und imperialistischen Kräfte in der Ukraine bekämpft werden muss. ...

 

Letztes Jahr wurde die Internationale Einheitsfront gegen Faschismus, Krieg und Umweltzerstörung gegründet. Siehst du Möglichkeiten, wie die britische Arbeiterbewegung in ihr vertreten sein kann?

 

Doug Nicholls: Viele internationale Einheitsfronten gegen alles, was schlecht und arbeiterfeindlich ist, sind entstanden, viele sind gekommen und gegangen. Es herrscht hier eine vorsichtige Skepsis ihnen gegenüber und der Fähigkeit der Internationalisten, wichtige Forderungen und Aktionen mit Auswirkungen in verschiedenen Ländern zu koordinieren. Die fortschrittliche Linie besteht hier in der Regel darin, mit gutem Beispiel voranzugehen, wie hoffentlich das Ausmaß und die Tiefe der jüngsten Anti-Kriegs-Märsche und umfangreichen Anti-Kriegsdemonstrationen und Streikaktionen zeigen.

 

Vielen Dank für das Interview und alles Gute für unseren gemeinsamen Kampf.