Leserbrief an die Recklinghäuser Zeitung

Leserbrief an die Recklinghäuser Zeitung

Der Streik der Lokführer verdient die Solidarität der Bevölkerung!

Als Sprecher des Beirats der Offenen Akademie – Fortschrittliche Wissenschaft und Kultur - schrieb Christoph Klug einen Leserbrief an die Recklinghäuser Zeitung. Dort war am 12. März ein Artikel erschienen unter der Überschrift „Familien leiden unter Streiks“.

Von Christoph Klug

Christoph Klug hat zusammen mit Wissenschaftlern der Uni Bremen die gesundheitlichen Auswirkungen von Schichtarbeit auf tausende von Arbeiterinnen und Arbeitern untersucht. Darunter waren auch Lokführer, u.a. aus dem Bahnbetriebswerk (BW) Hamburg-Eidelstedt, einem modernen BW für ICE. Heute wurde der Leserbrief in der Recklinghäuser Zeitung abgedruckt, allerdings ohne den Hinweis auf die Veranstaltung mit Claus Weselsky am 27. März bei der Offenen Akademie.

Hier der Leserbrief

Fragen Sie mal die Lokführer  und Busfahrer, die Erzieher, Altenpfleger und das Klinikpersonal!

 

Der Artikel in der RZ macht Stimmung gegen die Streiks. Sie belasteten Familien, vor allem Menschen ohne Auto. Alleinerziehenden flöge der sorgfältig konstruierte Alltag um die Ohren, schreiben Sie. Das ist richtig, aber scheinheilig.  Die Wahrheit kommt erst ganz am Ende: „Die Schäden für die Wirtschaft seien immens. Es schadet der Sozialpartnerschaft in unserem Land“, sagt Hauptgeschäftsführer von Unternehmen NRW, Johannes Pöttering.

 

Das ist wahr, wir leben im Kapitalismus und Unternehmer mögen keine Streiks. Der Grund ist simpel erklärt: weil im Streik „ihre Sozialpartner“ keine Profite generieren. Und Zweck der Produktion ist die maximale Ausbeutung der Arbeitskraft. Will heißen: mit immer weniger Personal immer mehr Umsatz generieren.

 

Und so liest sich das bei der DB. Sie hat in den Jahren von 1994- 2003 ihre Belegschaft von 380.000 auf 210.000 (minus 170.000 =  45%) gesenkt.  Die gigantische Arbeitsplatzvernichtung wurde als „sozialverträglich“ deklariert. Das war Betrug, denn es wurden keine neuen Arbeitskräfte eingestellt. Zehntausende, darunter erfahrene Lokführer, gingen ersatzlos in den Ruhestand. [1]

 

Damit die Züge fahren konnten, wurde die Flexibilisierung der Arbeitszeit extrem gesteigert. Sie „ersetzt“ quasi das fehlende Personal. Das System hat kaum Reserven, ist extrem anfällig für Störungen. Für die Beschäftigten ist das eine Tortur. Ein Blick auf die Schichtpläne der Lokführer zeigt ständig wechselnde Anfahrzeiten. Mal frühmorgens, mal mittags, mal abends oder mitten in der Nacht. So verlängern sich Arbeitstage, verschiebt sich der Tag in die Nacht. Alles wird unplanbar. Solche Dinge passieren ständig: „Es gibt kaum einen Tag, wo der normale Fahrplan eingehalten werden kann“ (Originalton Zugführer).

 

Das Leben mit Familie wird zur Zerreißprobe. Stressbedingte Erkrankungen, darunter auch schwere, sind die Folge. Es gibt ein Vielfaches an Herz- und Hirninfarkten. Nachtarbeit gilt laut WHO als krebserregend wie PCB und Bleifarbe. [2] Ist es verwunderlich, dass die Krankheitsquote unter den Lokführern so hoch ist und Züge aus Krankheitsgründen ausfallen? Solche Kollateralschäden haben die Bahnvorstände nicht sonderlich interessiert. Das ist die „Sozialpartnerschaft“ der DB der vergangenen Jahrzehnte.

 

Doch jetzt, wo die Lokführer das angreifen, spucken Kapitalistenverbände über Medien Gift und Galle. Dabei sind die Arbeiter im Recht. Und die Busfahrer, das Klinikpersonal, Beschäftigte in der Altenpflege auch. Weil es dort nach demselben Prinzip zugeht.

 

Der Streik um die 35-Stunden-Woche ist im Interesse der breiten Bevölkerung. Genau wie der Kampf der Beschäftigten im ÖPNV für bessere Arbeitsbedingungen und Ausbau eines pünktlichen ÖPNV.  Die Lokfü hrer kämpfen auch um den Erhalt der Gesundheit und für den Schutz der Familie.

 

Übrigens: am Mittwoch, dem 27. März, steht Claus Weselsky  in Gelsenkirchen zum Thema Rede und Antwort. Mehr dazu hier: https://offene-akademie.org

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Christoph Klug