Gelsenkirchen
Wenn Menschen zu Kollateralschäden erklärt werden
Der Leserbrief von Anna Bartholomé aus Gelsenkirchen mit der Überschrift "Wenn Menschen zu Kollateralschäden erklärt werden" ging u.a. an die Lokale WAZ-Ausgabe. Diese druckte den Leserbrief ab, den letzten Satz hat sie weggelassen. "Rote Fahne News" dokumentiert den Brief - einschließlich letztem Satz.
Seit Tagen berichtet die lokale WAZ ausführlichst von und mit der SPD-Oberbürgermeisterin Karin Welge über Sorgen und Probleme mit der in Gelsenkirchen besonders hohen Zahl von zugewanderten Menschen aus Rumänien und Bulgarien. Sie können dank der so genannten „Arbeitnehmerfreizügigkeit“ relativ einfach hierher kommen.
Mir geht es nicht darum, bestehende Probleme klein zu reden. Auch ich empöre mich über mafiöse Strukturen, wenn Matrazenlager in verkommenen Häusern zu Horrorpreisen „vermietet“ werden, wenn die wenigen Arbeitsplätze zu Niedrigstlöhnen selbst diejenigen zum „Aufstocken“ beim Bürgergeld zwingen, die arbeiten wollen, um sich und ihren Kindern eine bessere Zukunft zu schaffen. Auch ich engagiere mich für eine bessere finanzielle Unterstützung der Stadt durch Bundes- und Landesregierung zur Verbesserung der Lage.
Aber wenn wir ganz besonders für die Kinder, die in unsere überalternde Stadt wieder Leben bringen, noch mehr tun, damit sie hier lernen können - dann werden ihre Familien auch die hiesigen Regeln eines Zusammenlebens lernen. Wenn mehr Anstrengungen für Ausbildungsstellen für Jugendliche mit oder ohne Schulabschluss geschaffen werden, wenn mehr Druck auf die Betriebe für auskömmliche Löhne gemacht wird, gibt es auch Lösungen.
Dagegen erscheint es mir fast schon zynisch und verniedlichend, wenn Frau Welge erklärt, dass die soziale Fürsorge und der Minderheitenschutz in Rumänien und Bulgarien „sehr niederschwellig“ seien und besonders Romafamilien „eher wandern und keinen festen Wohnsitz haben“. (WAZ vom 23.2.23)
Ja, diese Minderheiten werden in ihren Heimatländern rassistisch verfolgt, leben in erbärmlichen Slums – und die Suche dieser Menschen nach einem besseren Leben wird von Frau Welge als „Kollateralschaden“ für die Stadt und als Bedrohung dargestellt. Ob gewollt oder nicht, gießt sie damit Wasser auf die Mühlen derjenigen, die mit faschistischen Deportationsplänen für Millionen Migrantinnen und Migranten ohnehin jede Zuwanderung bekämpfen.
Wenn Frau Welge von bedenklicher „Armutsmigration“ spricht, sei sie daran erinnert, dass nahezu die gesamte Bevölkerung des Ruhrgebiets und Gelsenkirchens aus Armutsmigranten und ihren Nachfahren besteht. Oder sind die polnischen, spanischen, griechischen, italienischen, türkischen oder kurdischen Migrantinnen und Migranten seit über hundert Jahren hierher gekommen, weil besonders schöne Berge, grüne Auen, Bäche und Flüsse sie lockten?
Mit freundlichen Grüßen und der Bitte um Veröffentlichung
Anna Bartholomé