Leserbrief

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Wirklich „frei“ ist auch Open Source im Kapitalismus nicht

Zum Artikel „Open Source spart Konzernen Billionen US-Dollar“, der am 23. Februar auf Rote Fahne News erschien, gibt es einen Leserbrief, den "Rote Fahne News" dokumentiert (Auszüge).

Korrespondenz aus Gelsenkirchen

Hier der Artikel, auf den sich der Leserbrief bezieht: Open Source spart Konzernen Billionen US-Dollar

 

Ich finde den Artikel vom 23. Februar insgesamt gut und richtig, die Kernaussage ist auf jeden Fall zutreffend. Ich habe trotzdem ein paar Kritiken daran. Die eingangs getroffene Aussage „Fast alle Projekte gehen auf Initiative von Privatpersonen und freien, ehrenamtlichen Organisationen in der Freizeit zurück oder stützen sich massiv auf sie“ ist meiner Meinung nach nicht richtig, auch nicht durch die Relativierung im letzten Halbsatz. Tatsache ist: Open Source kommt heute nicht mehr ohne hauptamtliche und bezahlte Tätigkeit aus. Ein guter Teil davon wird von gemeinnützigen Organisationen wie der Document Foundation (LibreOffice) oder der Linux Foundation (Linux-Kernel) geleistet, ein großer Teil stammt aber mittlerweile von Firmen (RedHat, SuSE u.a.) und vor allem auch von internationalen Übermonopolen wie Google oder Intel.


Die Wirklichkeit ist mittlerweile zu komplex, um das in seiner Freizeit alles beherrschen zu können. Das ist dem kapitalistischen Chaos geschuldet, dem sich auch Open Source nicht einfach entziehen kann. Den Löwenanteil von 60 bis 70 Prozent im Linux-Kernel machen mittlerweile Treiber aus, für zigtausende verschiedene, ähnliche aber nicht identische Hardware, die von konkurrierenden Konzernen in immer kürzeren Abständen auf den Markt geworfen wird, oft noch voll mit Fehlern. Da kommst du als Freizeit-Entwickler einfach nicht hinterher.

 

Die Erscheinung heute ist, dass die Konzerne Open Source nicht mehr nur passiv nutzen und einsetzen, sondern eben auch aktiv mitentwickeln, um sich eigene Entwicklungskosten zu sparen. Dahinter steckt auch die objektive Anerkennung, dass dies das fortschrittlichere und bessere Entwicklungsmodell ist. Auffällig ist, dass es sich dabei immer um Grundlagenarbeit und nicht um fertige Produkte handelt, sonst würden sie sich ja ihre Gewinne kannibalisieren. ...

 

So wie er ist, gibt der Artikel Spielraum für eine in der „Community“ recht verbreitete opportunistische Denkweise, dass man mit Open Source auch ohne gesellschaftsverändernden Kampf die Welt verändern könne: Da nimmt man dann LibreOffice statt Microsoft Office, Signal statt WhatsApp, DuckDuckGo statt Google und schlägt damit dem Kapitalismus ein Schnippchen, macht sich selbst quasi unabhängig davon. So die Intention ... .


Der Autor schreibt auch, man könne mit Open Source „unabhängig von den digitalen Monopolen Computertechnik nutzen“. Das ist eine Illusion. Wirklich „frei“ ist auch Open Source im Kapitalismus nicht, kann es auch nicht sein. Das ist aber genau der weltanschauliche Kampf, den wir führen müssen, und der fehlt mir in dem Artikel noch. Ich würde es aber begrüßen, wenn das Thema in Zukunft öfter aufgegriffen würde.