Auch psychologische Kriegsführung in der Krise
Krieg um die Ukraine im dritten Jahr – wie weiter?
Wie entwickelt sich der Krieg um die Ukraine im dritten Kriegsjahr? Die Bundestagsdebatte am Donnerstag über den Ukraine-Krieg kann als Maßstab für den Grad der Konfusion der bürgerlichen Parteien dienen. Die Krise der Kriegsführung spiegelt sich auch in der Krise der psychologischen Kriegsführung.
Zwei Jahre nach der pathetisch verkündeten „Zeitenwende“ streitet der Bundestag über zwei Anträge von Regierung und Union. Sie unterscheiden sich im wesentlichen nur dadurch, dass in dem einen das Wort „Taurus“ vorkommt, im anderen nicht.
Die Fixierung auf die Frage, ob Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine geliefert werden sollen, ist irreal. Waffen allein können den Krieg nicht grundlegend verändern, wie schon der Kriegstheoretiker Carl von Clausewitz erkannte. Das war weder beim Leopard-Panzer der Fall noch bei den gelieferten Kampfflugzeugen. Und beim Taurus erst recht nicht, was schon allein daraus ersichtlich ist, dass die ähnlich wirksamen „Storm Shadow“-Marschflugkörper bereits seit Mai 2023 in der Ukraine im Einsatz sind.
Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Der Krieg um die Ukraine ist die Fortsetzung der Rivalität der imperialistischen Mächte mit militärischen Mitteln. Das imperialistische Weltsystem ist in einer offenen Weltkrise mit beschleunigter Destabilisierung. Die zwischenimperialistischen Widersprüche werden vom Konkurrenzkampf zwischen den USA und China dominiert.
Die USA haben das Interesse, Russland entscheidend zu schwächen, weil es auch durch seine Atomwaffen der gefährlichste Verbündete Chinas ist. Der Krieg, der natürlich um den Einfluss in der Ukraine als dem zweitgrößten Land Europas geführt wird, dient zugleich dazu, die verbündeten Imperialisten enger an die USA zu binden für den Kampf gegen China. Russland ist für seine imperialistischen Pläne darauf angewiesen, dass die Ukraine zumindest nicht zum Aufmarschgebiet der NATO wird. Der deutsche Imperialismus, der für seine eigene angestrebte Führungsrolle in Europa die Ukraine dominieren will, hatte wirtschaftlich zugleich von russischen Rohstoffen und vom Handel mit China profitiert.
Aber der Krieg hat auch seine eigene Dynamik. Beide kriegsführenden Blöcke stecken in der Krise, nicht in erster Linie wegen Mangel an Waffen und Munition, sondern weil es beiden nicht gelingt, die Massen für die weitere Kriegsunterstützung zu gewinnen, von Kriegsbegeisterung gleich gar nicht zu reden. Nach hunderttausenden Toten wächst der Widerstand gegen den Krieg sowohl in der Ukraine als auch in Russland. Zehntausende junge Leute wurden aufeinandergehetzt und als Kanonenfutter verheizt. Soldatenfrauen und -mütter schließen sich in beiden Ländern zu Protesten zusammen.
Dazu kommt ein weiterer Kriegsbrandherd im Nahen Osten. Die USA sind mit ihrer Taktik weitgehend gescheitert, ein Bündnis von Golfstaaten mit Israel zu schmieden. Der Krieg weitet sich aus auf die ganze Region bis ins Rote Meer, wo auch eine deutsche Fregatte mit dabei ist. In den USA gewinnen offenbar die Kräfte unter den Herrschenden die Oberhand, die eine stärkere Konzentration der Kräfte auf den Kampf gegen China befürworten. Deshalb sind die Mittel für den Ukrainekrieg weiterhin blockiert.
In dieser Situation konzentriert sich der deutsche Imperialismus darauf, mittelfristig zur militärischen Führungsmacht in Europa aufzusteigen. Dahin geht die Bemerkung von Kriegsminister Boris Pistorius bei der Münchener Kriegstreiber-Konferenz, dass nicht zwei Prozent, sondern drei bis 3,5 Prozent des Bruttosozialprodukts in die Aufrüstung gesteckt werden müssten. Er will nicht nur die Rüstungsproduktion massiv ankurbeln, sondern auch die ganze Gesellschaft auf „kriegstüchtig“ trimmen.
Ob die Widersprüche weiter in Spannung gehalten werden können, hängt von mehreren Faktoren ab:
- Die psychologische Kriegsführung in Deutschland ist an die Legende von der „Verteidigung unserer Freiheit, unserer Demokratie und unseres Wohlstands“ in der Ukraine gebunden. Das Regime in der Ukraine ist jedoch kein Hort der Freiheit! Schon vor Einführung des Kriegsrechts wurden demokratische Rechte massiv abgebaut, wurden die Medien gleichgeschaltet. Jetzt herrschen Demonstrations-, Versammlungs- und Streikverbot. Der Kriegskurs in Verbindung mit der Weltwirtschafts- und Finanzkrise und der globalen Umweltkatastrophe verstärkt die Rechtsentwicklung in Deutschland. Demokratische Rechte und Freiheiten werden gerade im Zuge der Militarisierung der Gesellschaft massiv abgebaut. Pistorius musste sich gegen die Umstellung der Wirtschaft auf Kriegswirtschaft aussprechen, obwohl diese Russland große Vorteile bringt. Aber, so Pistorius, „Russland ist eine Diktatur. Dort stellt man auf Kriegswirtschaft um und ordnet alles diesem Krieg unter. Das wollen wir in Deutschland, das wollen wir in Europa nicht.“ [1] Zu Recht fürchtet Pistorius das antifaschistische Bewusstsein der Massen, das sich täglich auf den Straßen zeigt.
- Die Abwälzung der Krisen- und Kriegslasten auf die Massen wird in Deutschland massiv vorangetrieben. Einzelne Dämpfungsmaßnahmen ändern an der Gesamtrichtung nichts. Der Widerstand der Klein- und Mittelbauern sowie die aktuelle gewerkschaftliche Streikwelle geben einen Vorgeschmack auf Massenkämpfe, die sich gegen Kürzungen im Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsbereich entwickeln werden, ganz zu schweigen von den Kämpfen gegen verschärfte Ausbeutung und Arbeitsplatzvernichtung in den Betrieben für den imperialistischen Kurs.
- Eine Achillesferse des deutschen Imperialismus ist das antimilitaristische Bewusstsein der Massen, vor allem der Jugend. Die Bewerbungen für die Armee sind auch nach zwei Jahren massivster Kriegspropaganda, trotz enorm gesteigerter Werbung in Schulen, bei Berufsmessen oder Festivals weiterhin rückläufig. Die Bundeswehr muss bei der Rekrutierung schon auf mehr als zehn Prozent Minderjährige zurückgreifen, um ihre Personalstärke einigermaßen zu halten.
Der Kampf um die Jugend ist entscheidend für die Zukunft. Wir brauchen eine starke antimilitaristische, antiimperialistische, antifaschistische, aber vor allem eine sozialistische Jugendbewegung.