Ein Desaster in jeder Hinsicht
Stuttgart 21: Wahrzeichen oder Schildbürgerstreich?
Angesichts der Kostenexplosion, der Verzögerung des Baus, der Abwälzung der Krisenlasten auf die Massen und der Kritik an den Boni für den Bahn-Vorstand belebt sich die Diskussion um Stuttgart 21 erneut.
Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) sowie Christof Jung (verkehrspolitischer Sprecher der FDP) waren empört, als Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) kürzlich bezweifelte, dass Stuttgart 21 das Zeug habe, zum Wahrzeichen der Stadt zu werden, da das Projekt „eine Fehlentscheidung und Fehlinvestition“ (1) war. Er hatte das Projekt lange kritisiert, hat sich dann aber wie sein Chef Winfried Kretschmann vom Gegner zum Manager von S 21 gewandelt.
OB Nopper glaubt ernsthaft, dass der neue Stuttgarter Bahnhof mit „den einzigartigen Kelchstützen jedenfalls alle Chancen hat, ein neues Stuttgarter Wahrzeichen zu werden“. „Vielleicht wird er sogar eine Pilgerstätte für Architektur und Technikbegeisterte aus Deutschland, Europa und der Welt“ (1). Dass sich Stuttgart 21 zuletzt auf 11,453 Milliarden Euro verteuerte – Schwamm drüber. Ursprünglich waren 4,5 Milliarden Euro veranschlagt worden. Zweifel, dass S 21 im Dezember 2025 in Betrieb gehen kann – egal.
Im Zuge dessen, dass die Bundesregierung die Investitionen in die Infrastruktursparte der DB (InfaGo) von 45 auf 27 Mrd. Euro reduziert, ist plötzlich auch der so genannte „Digitale Knoten Stuttgart“ in Frage gestellt. Dieser sollte mit 471,5 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt finanziert werden und zum „Vorzeigeprojekt“ der Schiene avancieren. Das sei ein „Schildbürgerstreich“, (2) so Hermann. Der „Knoten würde zwar modernisiert, wäre aber nicht digital verbunden“.(2) Seit vielen Monaten werden Pendler im gesamten Umland von Stuttgart durch den Bau dieses „digitalen Knotens“ drangsaliert – müssen zu den gewöhnlichen Verspätungen und Zugausfällen ganze Streckensperrungen etc. in Kauf nehmen.
Zur Erinnerung: Schildbürger hatten ein (modernes) Rathaus ohne Fenster gebaut, dann das Dach wieder abgedeckt, um Licht ins Dunkel zu bringen, um im Winter festzustellen, dass es ohne Dach nicht geht.
Stuttgart 21 ist Schildbürgerstreich und Wahrzeichen zugleich. Schon seit über einem Jahrzehnt wird gewarnt: Dass Stuttgart 21 im Falle einer größeren Überschwemmung lahmgelegt ist. Tunnel von insgesamt 60 Kilometern ungeeignet und riskant sind, weil sie teils durch Gipskeuper getrieben wurden. Die Kapazität durch weniger Gleise verringert statt erhöht wird. Durch das Gefälle der unterirdische Bahnhof ungeeignet ist. Die Bahnsteige für das Personenaufkommen zu eng sind und es völlig unklar ist, wie die Anforderungen an den Brandschutz erfüllt werden sollen.
Dass DB-Chef Richard Lutz für dieses Desaster als Vorstand 2022 zusätzlich zu seiner Festvergütung von 986.000 Euro sage und schreibe 1,26 Millionen Euro "variable Vergütung“ (3)- sogenannte Boni - erhielt, ist der Gipfel der Unverschämtheit. Nicht zuletzt, weil dies die GDL-Kollegen mit ihrem Streik angegriffen haben, geriet dies in die Kritik und musste für 2023 gestrichen werden.
Das Buch „Die Krise der bürgerlichen Naturwissenschaft“ zieht Bilanz: „Das Fazit - Ausschließlich zur Erzielung von Milliardenprofiten wurde dieses Bauprojekt unter aktiver Mithilfe führender Grünen-Politiker gegen alle fundierten Einwände und den massiven Widerstand der Bevölkerung durchgedrückt, wurde ein umweltpolitisches Desaster verursacht und die Verkehrssituation in Stuttgart (Anm. Verfasser: und in der ganzen Region) sogar weiter verschlechtert.“ (4)
Es schlussfolgert für die Ingenieurwissenschaft der Zukunft: „Auf der Grundlage einer revolutionären Veränderung zu sozialistischen Verhältnissen ist für die Weiterentwicklung der Produktivkräfte im Ingenieurwesen ein dialektischer Prozess von Arbeitsteilung und Zentralisation in Forschung, Planung und Produktion notwendig …“ (4)
In diesem Sinne kann Stuttgart 21 zu einem Wahrzeichen werden, gerade für Jugendliche von denen nicht wenige durch die vermeintlich „moderne Architektur“ geblendet wurden. Es gilt, sie für den notwendigen Kampf zur Abmilderung der begonnenen globalen Klimakatastrophe und für eine neue sozialistische Jugendbewegung zu gewinnen.