Leserbrief an die Süddeutsche Zeitung

Leserbrief an die Süddeutsche Zeitung

Demonstrationen gegen faschistische Gefahr - Wo es viel zu lernen gibt

Seit Jahrzehnten „demonstrationserfahren“ berühren und begeistern mich die immer noch anschwellenden Massendemonstrationen gegen die faschistische Gefahr.

Von Anna Bartholomé

Statt mich als beobachtender Oberlehrer neben die Demonstrierenden zu stellen, wie es in der Süddeutschen Zeitung ein ausführlichst zitierter „Protestforscher“ Philipp Gassert tut, beteilige ich mich aktiv und mache mir die Sorgen der vielen Jugendlichen, Familien, älteren Menschen zu eigen – um zu lernen!

 

Angesichts der Pläne für Massendeportationen sehen sehr viele völlig berechtigt die Parallelen zur antisemitischen Diskriminierung, Verfolgung und schließlich massenhaften Ermordung von Millionen jüdischen Menschen durch den Hitlerfaschismus. Eher in den Hinterzimmern der faschistischen Verschwörungstreffen bleiben die Drohungen gegen „Flüchtlingshelfer, die gleich mit deportiert werden sollten“ oder ganz allgemein gegen „unangepasste“, sprich linke oder gar revolutionäre Menschen. Den „ganzen Parteienstaat abschalten“ will der AFD-Landtagsabgeordnete Lars Hünich und steht damit nicht allein.

 

Genau das tat Hitler, nachdem er 1933 mit tatkräftiger Hilfe führender Monopolvertreter die Regierungsgeschäfte übernommen hatte. Als erstes wurde die KPD verboten, tausende Kommunistinnen und Kommunisten gefoltert, ermordet in KZs verschleppt. Dort trafen Schritt für Schritt Sozialdemokraten, Gewerkschafter, Christen ein und teilten ihr Schicksal. Erst als die Organisationen aller Gegner von Krieg und Faschismus zerschlagen waren, begann in Deutschland die systematische Verfolgung und Vertreibung der jüdischen Bevölkerung. Weltanschaulich hatte der Antisemitismus ja dank christlicher Kirchen längst tiefe Wurzeln in der Bevölkerung. Für viel Geld konnten manche Jüdinnen und Juden noch ausreisen. Mit ihrem enteigneten Vermögen fütterte Hitler seine Kriegskasse. Wer arm war – wie die Millionen osteuropäischer Juden - war Deportation, Ausplünderung der Arbeitskraft und schließlich industrieller Vernichtung ausgeliefert.

 

Es gilt daraus zu lernen – aus der fatalen Spaltung der damals größten Arbeiterparteien KPD und SPD, aus Antikommunismus und verharmlosenden Gewährenlassen der Nazis. Als Konsequenz der bitteren Erfahrungen wurde im Potsdamer Abkommen der Grundstein gelegt für ein Verbot aller faschistischen Organisationen und ihrer Propaganda. Das wäre im Sinne des Grundgesetzes auch heute bei einem AfD-Verbot rasch zu verwirklichen – und dieser Wegbereiterin des Faschismus die Medienpräsenz, die Parlamentssitze und Geldmittel zu blockieren. Klare Kante in der inhaltlichen Auseinandersetzung mit ihren rassistischen und völkischen Positionen werden damit nicht hinfällig, um schwankende mögliche Wählerinnen und Wähler zu überzeugen.

 

"Wehret den Anfängen" wird nicht nur ein Demo-Slogan bleiben.

 

Anna Bartholomé