Redebeitrag am 27. Januar in Gelsenkirchen
Stefan Engel: »Ich begrüße diese sprunghafte Entwicklung der antifaschistischen Demonstrationen!«
Stefan Engel, langjähriger Parteivorsitzender und jetziger Leiter der Redaktion des theoretischen Organs der MLPD, hielt am 27. Januar beim kämpferischen Auftakt des Internationalistischen Bündnisses vor dem Hans-Sachs-Haus in Gelsenkirchen anlässlich der antifaschistischen Großkundgebung und Demonstration gegen die AfD einen Redebeitrag, den "Rote Fahne News" hier dokumentiert.
Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich freue mich, dass wir uns auch in Gelsenkirchen zusammengefunden haben, um unser antifaschistisches Bewusstsein zum Ausdruck zu bringen und der Rechtsentwicklung entgegenzutreten.
Die ganze Zeit über wurde der Faschismus unterschätzt. Dafür tragen die bürgerlichen Medien und die bürgerlichen Parteien eine große Verantwortung. Eben wurde erwähnt, dass Björn Höcke als Faschist bezeichnet werden darf. Das haben wir, das Internationalistische Bündnis, mitsamt der MLPD erstritten und durchgesetzt.
Viele wissen gar nicht, auf welche Auseinandersetzung das zurückgeht. Damals hatte die Oberbürgermeisterin von Eisenach, die der Partei Die Linke angehört, in einer Auflage gegenüber der MLPD Thüringen untersagt, Höcke bei einer Kundgebung als Faschisten zu bezeichnen. Darum ging es in dem Prozess. Aufgrund der fundierten Darlegung des Internationalistischen Bündnisses klärte das Gericht am 26.9.2019: Das Werturteil »Faschist« für Björn Höcke beruhe auf einer »überprüfbaren Tatsachengrundlage«, sodass Björn Höcke als Faschist bezeichnet werden dürfe.
Auch die Linkspartei redet oft um den heißen Brei herum. Sie spricht von »Rechten«; andere bürgerliche Parteien sprechen von »Populisten« oder von »Rechtsextremisten«. Habt ihr in den Medien, in den Nachrichten das Wort »Faschist« oder »Faschismus« gehört? Das gab es da lange Zeit gar nicht; erst in jüngster Zeit taucht der Begriff verstärkt unter den Massen auf. Das ist auch ein Ergebnis unserer langjährigen bewusstseinsbildenden Arbeit.
Wir müssen uns im Klaren darüber sein, dass es hier nicht allein um einen Angriff auf »Ausländer« oder »Migration« geht. Dieses Thema ist nur eine der üblen Methoden der Faschisten, um eine mögliche Massenbasis aufzubauen, Stimmungen zu schüren und massenhafte Abschiebungen vorzubereiten. Eigentlich geht es um die Gesamtheit der demokratischen Rechte und Freiheiten, um eine andere Art und Weise zu regieren. Es wäre eine gefährliche Unterschätzung des Faschismus, wenn wir ihn nur in seiner brutalsten Form des Hitlerfaschismus ansehen. Der Faschismus hat heute viele Gesichter.
Faschismus ist die äußerste Form der Diktatur der Monopole in dieser kapitalistischen Gesellschaft zur Unterdrückung der revolutionären Arbeiterbewegung, zur Unterdrückung der Demokratie und inzwischen auch zur Unterdrückung des Umweltschutzes und der Umweltschützer.
Die Tendenz zum Faschismus hat einen internationalen Charakter. Es geht schon los mit dem heute obersten Faschisten auf der Welt, Donald Trump. Er versucht inzwischen ein zweites Mal, an die Regierung zu kommen. Wir erleben Putin, auch er ist ein Faschist. Auch Selenskyj ist ein Freund der Faschisten in der Ukraine. Er hat die ukrainischen Faschisten, die Asow-Truppe, in seine Armee aufgenommen, nachdem er ihr Verbot aufgehoben hat.
Wir dürfen nicht übersehen und geringschätzen, wo überall bereits der Faschismus in die Regierung eingezogen ist; auch mitten in der EU - in Ungarn mit Orbán, in Italien mit Meloni. Die Türkei ist ein faschistisches Land. Wir haben neuimperialistische Länder wie Saudi-Arabien, Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate, Iran, die alle mit einem islamistisch verbrämten Faschismus das Volk unterdrücken, kaum demokratische Rechte und Freiheiten zulassen, die Arbeiterbewegung unterdrücken, Gewerkschaften verbieten, Homosexualität unter strenge Strafen stellen usw.
Die weltweite Dimension der Gefahr des Faschismus macht es notwendig, dass sich die Arbeiterbewegung international gegen Faschismus, Krieg und die fortschreitende weltweite Umweltzerstörung zusammenschließt.
Woher kommt diese faschistische Tendenz? Das hat etwas mit der Krise der Neuorganisation der internationalen Produktion zu tun. In den 1990er-Jahren haben die Herrschenden in aller Welt gejubelt »Wir privatisieren, wir entstaatlichen alles ...« Dann haben sie länderübergreifende Investitionen getätigt, das gab zeitweise einen richtigen Schub in ihrer Entwicklung. Im Ergebnis kam es zu einer Internationalisierung der kapitalistischen Produktionsweise unter dem Diktat einer kleinen Gruppe von internationalen Monopolen, die die ganze Welt beherrschen. Dabei sind auch aus einigen Ländern, die bisher zu den neokolonial ausgebeuteten und unterdrückten Ländern gehörten, neuimperialistische Länder entstanden: so zum Beispiel die Türkei oder Indien, China, Südafrika, Brasilien, auch Saudi-Arabien. Diese Länder haben den Vorteil gegenüber den bürgerlich-demokratisch regierten Ländern, dass sie ihre Entscheidungen sehr schnell treffen können. Sie brauchen kein Parlament, denn die Entscheidungen trifft dann irgendein autokratischer oder faschistischer Führer und der enge Kreis der herrschenden Clique per Dekret.
Jetzt ist in Argentinien der Faschist Milei Präsident geworden, der erst einmal das Parlament auflösen und nur noch mit Dekreten regieren will. Über 300 Gesetze der Sozialgesetzgebung, der Arbeiterrechte will er sofort außer Kraft setzen. Auch dagegen sind jetzt Millionen auf der Straße.
Wir haben eine Situation der akuten Verschärfung durch die Kriegsgefahr, den Faschismus und wir haben eine globale Umweltkatastrophe, die sich immer mehr auszudehnen beginnt. In dieser Situation ist es sehr wichtig, dass die Arbeiterbewegung ihre Rolle spielt, dass sie sich zusammenschließt, dass sie parteipolitische Differenzen beiseite schiebt, denn der Faschismus muss führend durch die Arbeiterbewegung bekämpft werden.
Ich begrüße es, wenn in Köln diskutiert wird, in allen Betrieben und darüber hinaus am 21. März einen viertelstündigen Warnstreik durchzuführen gegen die Gefahr des Faschismus und die AfD. Das sind die richtigen Maßnahmen. Wir dürfen nicht nur demonstrieren, sondern wir müssen die Sache sehr ernst nehmen und höhere Kampfformen entwickeln. Es reicht nicht, nur um ein paar Prozente mehr Lohn zu streiten. Wir müssen entschieden um die demokratischen Rechte und Freiheiten kämpfen.
Ich begrüße diese sprunghafte Entwicklung der antifaschistischen Demonstrationen. Ich bin der festen Überzeugung, wir stehen hier am Anfang einer Entwicklung, in der das antifaschistische Bewusstsein wieder auf breiter Front erwacht und sich entwickelt.
Das antifaschistische Bewusstsein war in der ganzen Nachkriegsgeschichte tief im Bewusstsein der deutschen Bevölkerung verankert, aber in den letzten Jahren eher verschüttet. Jetzt bricht es wieder hervor, und wir werden die größte antifaschistische Bewegung der Nachkriegsgeschichte erleben. Und sie wird noch stärker werden als Anfang der 1990er-Jahre, weil sie mit einer seit dem Zweiten Weltkrieg nie da gewesenen Unzufriedenheit mit der Regierung, den bürgerlichen Parteien und des bürgerlichen Parlamentarismus einhergeht. Damals gab es auch so einen Aufschwung, da waren – allerdings in einem deutlich längeren Zeitraum – 7,5 Millionen Menschen auf der Straße. In der heutigen Situation werden wir noch mehr als damals werden! Diese politische Massenbewegung wird auch allgemein eine positive Auswirkung auf das Klassenbewusstsein der Arbeiterklasse haben. Deshalb ist es unsere Pflicht, mit unserer sozialistischen Überzeugung an dieser Bewegung aktiv teilzunehmen und dabei nicht zuzulassen, dass der antikommunistische bürgerliche Antifaschismus diese Bewegung dominiert.
Allein an diesem Wochenende sind Hunderte von Demonstrationen und Kundgebungen geplant gegen die Gefahr des Faschismus und gegen die AfD. Wir sind froh, dass wir in Gelsenkirchen dazu gehören.
In diesem Sinne – alles Gute,
Glückauf und Hoch die internationale Solidarität!