Imperialismus
Warum ist der Iran ein neuimperialistisches Land?
Es gibt immer wieder Diskussionen und Fragen, warum die MLPD den Iran als neuimperialistisches Land bezeichnet.
Dazu führte Peter Weispfenning vom Zentralkomitee der MLPD in einer Internationalismus-Live-Veranstaltung am 24. Oktober 2022 aus:
Das islamistisch-faschistische Regime, das den von einer demokratischen Revolution verjagten Schah als Statthalter des US-Imperialismus 1979 ablöste, war zunächst ein Juniorpartner der sozialimperialistischen Sowjetunion. Der Iran steht im Fokus des US-Imperialismus im Mittleren Osten, um den wachsenden Einfluss imperialistischer Rivalen zurückzudrängen. Im Prozess der Neuorganisation der internationalen kapitalistischen Produktion ab den 1990er-Jahren nahm der Iran engere Beziehungen zu China und Russland oder zur Türkei auf.
Gleichzeitig begann der Iran, eine eigene regionale Großmachtpolitik zu verfolgen, die er als „antiimperialistisch“ bezeichnet. Das ist an Demagogie schwer zu überbieten. Denn Tatsache ist, dass der Iran selbst zu einem neuimperialistischen Land geworden ist.
Die iranische Wirtschaft ist hochgradig monopolisiert. Typisch dafür sind gigantische, pseudoreligiös oder humanitär verbrämte, Konglomerate mit einem undurchdringlichen Geflecht an Firmenbeteiligungen. Setadat („Hauptquartier zur Durchsetzung der Befehle des Imams“) verfügt über ein Immobilien-Imperium, so wie Banken-, Finanz-, und Firmenbeteiligungen von 100 Milliarden US-Dollar. Khatam-Ol-Anibia („Siegel des Propheten“) baute ursprünglich Infrastruktur für die iranische Armee und ist heute ein Mischkonzern mit Milliardenumsatz unter anderem in der Petrochemie, in der Rüstungsindustrie und im Nuklearprogramm. Unmittelbar im Staatsbesitz befindet sich die National Iranian Oil Company (NIOC), die aufgrund ihrer Größe im Umkreis der 500 internationalen Übermonopole angesiedelt werden muss. Hinzu kommen 120 sogenannte religiöse Stiftungen, die Holdings unterhalten, die zum Beispiel den Export, die Betonindustrie oder Reedereien monopolistisch beherrschen und Hotels, Universitäten und Banken betreiben. Zusammen kontrollieren sie zwischen der Hälfte und 80 Prozent des iranischen Bruttoinlandsprodukts.
Teilweise durchdringen sie sich auch bei großen Aktiengesellschaften mit privatem Kapital und profitierten auch von dem zeitweise gewachsenem Kapitalexport aus den westlichen imperialistischen Ländern in den Iran. Der Iran hat riesigen Bedarf am Ausbau seiner Infrastruktur oder der Modernisierung seiner Öl- und Fabrikanlagen. Das lockte vor allem Staaten und Staatenbündnisse wie China, Deutschland, die EU, Südkorea, Indien, Japan, die Türkei und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), ihre Geschäfte mit dem Iran auszubauen und eigene Werke zu errichten. Zeitweise hatten große Ölmonopole, zunächst des Westens und dann Chinas, milliardenschwere Joint Ventures betrieben. Durch die Sanktionspolitik der USA seit 2012 und ihre neuerliche Verschärfung infolge des „USA-First“-Kurses seit 2018, wurden diese zeitweise weitgehend eingestellt. China hat dagegen 2021 mit dem Iran ein Abkommen geschlossen, nachdem es in den nächsten 25 Jahren 400 Milliarden US-Dollar investieren will.
Die Verfügungsgewalt über das iranische Monopolkapital hat eine kleine, führende Schicht der Herrschenden, von religiösen Führern und hochrangigen Militärs im Verbund mit Vertretern der Großbourgeoisie und des Großgrundbesitzes. Formal unterstehen diese Konglomerate dem sogenannten „Revolutionsführer“, Staatsoberhaupt Chamenei, ernannt auf Lebenszeit, operativ geführt wird ein Großteil der Geschäfte durch die „Revolutionsgarden“. Der miltärisch-industrielle Komplex kontrolliert große Teile des Wirtschaftslebens.
Das ist ein sozioökonomischer Hintergrund für die besonders reaktionäre und aggressive Ausrichtung des neuimperialistischen Iran, in dem seit mittlerweile 43 Jahren eine finstere faschistische Diktatur herrscht. Dazu heißt es in dem Buch von Stefan Engel „Morgenröte der internationalen sozialistischen Revolution“:
„Regimes wie der sogenannte 'Gottesstaat' im heutigen Iran werden mit Bezeichnungen wie 'politischer Islam' oder 'Islamismus' belegt. Diese sind jedoch irreführend, weil sie die wahren Ursachen und politischen Triebkräfte der religiös fundamentalistischen Form des faschistischen Terrors verschleiern. Nicht die Religiosität großer Teile der Massen oder gar politisches Engagement religiöser Menschen ist wesentlich; der Faschismus ist auch im Iran der größte Feind der Massen, weil er das Herrschaftssystem der reaktionärsten Kräfte des Monopolkapitals ist. Es hat seine besondere Klassenbasis in einem Bündnis reaktionärer Teile der Bourgeoisie mit Großgrundbesitzern und religiösen Führern des Islam. Diese Herrschaft richtet sich direkt gegen das Streben der Völker nach nationaler und sozialer Befreiung. ... Darin werden die Interessen des faschistischen iranischen Regimes und des Imperialismus identisch.“ (S. 255f)
Zur Täuschung der Massen und um Widersprüche in der herrschenden Klasse auszutarieren gibt es ein komplexes Herrschaftssystem mit einem Scheinparlament, einem Experten- und -Schlichtungsrat, einem Präsidenten und Staatsoberhaupt, sowie dem zentralen, nur zwölfköpfigen „Wächterrat“. Es gibt eine strikte Pressezensur. Folter gegen politische Gefangene ist an der Tagesordnung. Die Unterdrückung hat feudale Züge, besonders gegenüber den Frauen.
Die faschistische Diktatur ist fanatisch antikommunistisch. In den 1980er-Jahren und Anfang der 1990er-Jahre wurde die revolutionäre und marxistisch-leninistische Bewegung weitgehend liquidiert: Mindestens 10.000 Revolutionäre wurden ermordet, weitere 30.000 in die Kerker geworfen oder ins Exil gedrängt.
Die iranische Armee verfügt über 410.000 Soldaten, hinzu kommen 190.000 Pasdaran, das sind sogenannte islamische Revolutionswächter, die Elitetruppen der Herrschenden. Des weiteren gibt es 600.000 faschistische Milizionäre, sog. Basijs, und reguläre Polizeieinheiten. Der Iran ist neben Israel die zweitstärkste Militärmacht der Region. Er strebt Atomwaffen an und baut seine Rüstungsindustrie aus. Er leistete mit den Al-Quds-Brigaden dem Assad-Regime in Syrien offiziell militärische Hilfe. Iran ist im Jemen militärisch gegen den Einfluss von Saudi-Arabien aktiv, finanziert und kontrolliert die faschistischen Miliz Hisbollah und die Hamas im Libanon und in Palästina. Im Ukrainekrieg steht der Iran auf der Seite des neuimperialistischen Russland und beliefert es mit Panzerabwehrwaffen, Panzerabwehrraketen, Raketenwerfern und Drohnen.
Das iranische Regime nimmt international weltanschaulichen Einfluss mit der Propagierung einer besonders reaktionären Spielart des Islam und spielt sich als Hüter aller Schiiten auf, betreibt Koranschulen in aller Welt, auch in Deutschland. Der deutsche Imperialismus hatte traditionell großen Einfluss im Land und ist heute noch der fünftgrößte Handelspartner. Die Spitzenposition im Handel hat mittlerweile China eingenommen.
Lesetipp zur Vertiefung:
"Über die Herausbildung neuimperialistischer Länder" von Stefan Engel