Anspruch und Wirklichkeit klaffen oft weit auseinander

Anspruch und Wirklichkeit klaffen oft weit auseinander

Kitastrophe! - Mit Interview

Wenn es um einen Platz in einer Kita, einem Hort oder einer Ganztagsschule geht, ist längst nicht jedes Kind willkommen. "Kitastrophe" – diesen Begriff prägten betroffene Eltern und Großeltern in ihren Protesten. In der MLPD organisierte Mütter, Väter, Erzieherinnen und Erzieher ... beteiligen sich aktiv an den Protesten und Kämpfen der Kita-, Kindergarten- und Hortbeschäftigten für mehr Lohn, höhere Betreuungsquoten und bessere Arbeitsbedingungen.

Von bl/uh
Kitastrophe! - Mit Interview
Streikende Erzieherinnen und Erzieher am 22. März 2023 in Reutlingen (rf-foto)

Seit 1996 haben Kinder ab drei Jahren einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz, seit 2013 auch die Ein- und Zweijährigen. Das ist ein erkämpfter Fortschritt. Die damalige rot-grüne Bundesregierung förderte Frauen im Beruf, um der damals sinkenden Geburtenrate entgegenzuwirken, die 2003 in Deutschland bei nur noch 1,34 Kinder pro Frau lag, und bediente das Bedürfnis der Monopole, auf Frauen als Fachkräfte zurückgreifen zu können.

 

Anspruch und Wirklichkeit klaffen allerdings auseinander angesichts derzeit 429.000 fehlender Kita-Plätze in Deutschland. Die Klagen auf Einhaltung des Rechtsanspruchs haben sich in Baden-Württemberg von 2021 auf 2022 von 55 auf 102 fast verdoppelt. Aber der Rechtsanspruch ist stark eingeschränkt: Bei unter Dreijährigen muss die Notwendigkeit der Betreuung nachgewiesen werden. Auch ist Kita-Platz ist nicht gleich Kita-Platz. In Baden-Württemberg liegt der Rechtsanspruch auf Betreuung nur bei vier Stunden pro Tag. So schränkte die Stadt Tübingen aufgrund von Fachkräftemangel die Öffnungszeiten fast aller Kitas auf Halbtags ein – trotz massiver Proteste der Eltern.

 

Die Suche nach einem geeigneten Kita-Platz kostet starke Nerven. Das zeigt ein Interview, das Rote Fahne News mit einem jungen berufstätigen Elternpaar geführt hat. „Klinkenputzen ist die einzige Lösung“, so die Mutter. „Am besten meldet man sein Kind direkt nach der Geburt für die Kita an. Wir haben das erst nach drei Monaten getan, und so wussten wir bis kurz vor meinem Arbeitsbeginn im November nicht, ob wir einen Kita-Platz haben. Unserer ist nicht mal in der Nähe. Bei sechs Stunden Betreuung muss man die Fahrtzeiten abrechnen.“ Der Vater führt weiter aus: „Mit dem Kindergarten geht alles von vorne los. Mit drei Jahren fliegen die Kinder aus der Kita raus. In den Kindergarten können sie aber erst im September mit dem neuen Schuljahr, weil dann erst die Plätze der Erstklässler frei werden. Was macht man mit seinem Kind, das im März geboren ist, zwischen März und September? Muss man seinen Job aufgeben? Elternzeit nehmen?“

 

Mit ihrem „KiTa-Qualitätsgesetz“ macht die Bundesregierung für die Jahre 2023/2024 vier Milliarden Euro zum Ausbau der Kinderbetreuung durch Länder und Kommunen locker, gerade mal vier Prozent des Sondervermögens für die Bundeswehr. Ein Tropfen auf den heißen Stein.

 

Mit einem Betreuungsplatz ist die Zitterpartie noch längst nicht vorbei. Eine Umfrage der Hans-Böckler Stiftung im Frühjahr 2023 deckte auf: 57 Prozent der erwerbstätigen Eltern sind mit Schließungen oder verkürzten Betreuungszeiten konfrontiert. „Sehr viele Eltern stellt das vor große Probleme im Alltag: (…) Knapp die Hälfte der betroffenen Mütter und Väter hat während der Schließung oder Kürzung der Betreuungszeit Urlaub genommen oder Überstunden abgebaut, um die Betreuungslücke auszugleichen. Knapp 30 Prozent mussten zeitweilig ihre Arbeitszeit reduzieren.“ [1]

 

Die Expertin Anette Stein von der Bertelsmannstiftung schlägt allen Ernstes als kurzfristige Lösung vor, Kita-Öffnungszeiten zu reduzieren: "Das ist zweifellos eine einschneidende Maßnahme (…). Aber die Kita-Krise ist so weit fortgeschritten, dass neue Antworten gefragt sind." [2] Was an dieser Antwort neu sein soll, bleibt ihr Geheimnis. Da wird schlicht der Katastrophenzustand selbst als Lösung präsentiert. Das kommt dabei raus, wenn man nur im vorgegebenen Rahmen des kapitalistischen Systems bleibt.

 

Die MLPD fordert in ihrem Programm „Kostenloses, einheitliches und qualifiziertes Bildungssystem von der Krippe bis zur Hochschule“. [3] Ideen, neue Fachkräfte zu gewinnen, gibt es viele, wie: die Fachkräfte besser bezahlen, Quereinsteiger, aber auch Flüchtlinge ausbilden für diesen wichtigen Beruf, statt sie mit Arbeitsverbot und Abschiebung zu bedrohen.

 

Die ganze Misere ist Ausdruck der verschärften Krise der bürgerlichen Staats- und Familienordnung. Sie lastet den Einzelfamilien, insbesondere den Frauen, die private Verantwortung für die „Produktion“ und den Erhalt des menschlichen Lebens, der zukünftigen Arbeitskräfte, der Organisation des täglichen Lebens auf. Vor diesem Hintergrund und angesichts der doppelten Ausbeutung werktätiger Frauen als Bestandteil der besonderen Unterdrückung der Masse der Frauen ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine Zerreißprobe. Die wachsende Erwerbsquote der Frauen ist zugleich positiv, stärkt Selbstbewusstsein und Selbständigkeit der Frauen: Deutschland liegt in der EU auf Platz drei. Im Alter von 20 bis 64 Jahren gingen 2007 noch 66,7 Prozent einer Arbeit nach, 2022 waren es schon 77,1 Prozent - ein deutlicher Anstieg. (statista.de)

 

Die Zerreißprobe der Frauen wird samt der Ausbeutung und Unterdrückung erst im echten Sozialismus abgeschafft. Dann werden die Produktion und die gesamten Lebensverhältnisse gesellschaftlich nach den Bedürfnissen der Menschen und dem Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen organisiert werden. Das ist eine Voraussetzung, um die wirkliche Befreiung der Frau, die mehr ist als formaljuristische Gleichberechtigung, zu erkämpfen.

 

Viele Eltern wollen eine Erziehung für Gemeinschaftssinn gegen Egoismus und Individualismus. Die MLPD fördert in ihrer proletarischen Kinder- und Jugendarbeit, dass die Kinder zu allseitigen, selbständig denkenden und handelnden Menschen erzogen werden mit Achtung vor körperlicher Arbeit und vor der Natur.

 

Das ist ein Grund mehr, gemeinsam für den echten Sozialismus zu kämpfen, wo diese proletarische Denkweise gesellschaftliche Leitlinie wird. Wir laden alle Kinder ein, bei den Rotfüchsen und dem REBELL mitzumachen. Und die Frauen, sich für ihre und der Zukunft ihrer Kinder in der MLPD und/oder der kämpferischen Frauenbewegung zu organisieren. Diese stellt im neuen Jahr die Vorbereitung des 13. Frauenpolitischen Ratschlags vom 1. bis 3. November 2024 in den Mittelpunkt.

 

Interview mit einem jungen Elternpaar zur Kita-Situation