Lesbos
Das bedeuten die faschistoiden EU-Beschlüsse für die Flüchtlinge in Kara Tepe
Michalis Aiwaliotis von "Stand by me Lesbos" und Flüchtlinge aus Kara Tepe stellen "Rote Fahne News" ihre Statements zu den neuen ultrareaktionären Verschärfungen der EU-Flüchtlingspolitik zur Verfügung. Die Namen der Flüchtlinge sind geändert.
Michalis: Wir konnten einige Punkte gemeinsam klären, was diese faschistoiden Beschlüsse für die gefüchteten Menschen bedeuten.
Ismael: Sobald ein Flüchtling in das Einreiseland kommt, wird er oder sie einer fünf- bis zehntägigen Kontrolle unterzogen. Daran schließt sich ein Verfahren vor dem Asylausschuss an, das 12-16 Wochen dauert. Drei bis vier Monate Inhaftierung in Konzentrationslagern. Sie reden von drei bis vier Monaten. Ich erlebe es an mir: Es sind fast zwei Jahre vorbei.
Michalis: Von diesen Konzentrationslagern, die der EU-Norm entsprechen, gibt es zwei in Griechenland. Das dritte in Lesbos wird demnächst fertig. Dazu ist eine Armee von Polizisten vom Festland eingerückt und bewacht die zügige Fertigstellung des Baus. Rechtlich gesehen werden die Flüchtlinge als nicht eingereist, d. h. nicht in Europa, eingestuft. Flüchtlingskonzentrationslager auf europäischem Gebiet sind also nicht Europa. Das Lager ist Niemandsland. Auf diese Weise finden der internationale Schutz, die Menschenrechtscharta und die Genfer Konvention keine Anwendung auf Flüchtlinge. Sie haben kein Recht auf Papiere, einen Arbeitsplatz oder die Möglichkeit, zur Schule zu gehen. In dem Moment sind sie nicht existent.
Amet: Viele Flüchtlinge haben keine Papiere. Sie mussten fliehen. Die Abgeordneten im EU-Parlament können es nicht begreifen, dass wir vor der Flucht keinen Reisepass beantragen können und den Grund angeben, warum wir den Pass wollen. Gibt es denn im EU-Parlament nur solche „schlauen“ Leute?
Michalis: Wenn also einer keine Papiere hat, dann wird er von der Asylkommission eingestuft als „eine Gefahr für die nationale Sicherheit.“ Die Herren und Damen von Brüssel verlangen von den Flüchtlingen, wenn sie aus einem für sie sicheren Drittland kommen, den Nachweis, dass man psychisch krank ist oder minderjährig oder gefährdet. Sie nehmen sich das Recht, Menschen, Frauen Kinder Monate lang in Lagern zu inhaftieren ohne Anklage, ohne Rechte. Diese bereits bestehenden Lager sind ganz moderne Gefängnisse außerhalb der Städte. Mann kommt nur mit Gesichtskontrolle und Fingerscan rein und raus. Die meisten Menschen werden nicht betreut und werden psychisch krank. Keine Ärzte in Samos für 4000 Flüchtlinge. Einmal im Monat kommt ein Militärarzt vorbei.
Ismael: Frontex wird von einer „Beobachter- oder Unterstützungsorganisation“ zu einer Grenzverwaltung, also ein Europäisches Amt mit einer aktiven Rolle. Wir wissen sehr gut, was diese Brüder von Frontex machen und gemacht haben.
Michalis: Aktive Rolle bedeutet, menschenverachtende Abschiebungen, Prügel, Raub und Folter zu legalisieren. In dem menschenverachtenden EU-Beschluss mit hunderten von Seiten von Papier trieft es nur so von "Sicherung der Demokratie". Immer wieder verwenden sie das Vokabular: „Wir werden im Gespräch mit den Flüchtlingen bleiben.“
Amet: Das Gespräch ist eine Falle. Die Prozedur wird so ablaufen wie bisher. Du wartest täglich und ständig darauf, telefonisch einen Termin für das Gespräch zu vereinbaren. Es ist abartig. Man starrt ständig auf das Handy, selbst auf die Toilette nimmt man es mit. Ich habe Folter in Syrien erlebt. Aber diese Folter, die sie "Gespräche" nennen und das Warten auf den Termin sind auch eine grausame Folter. Aber die Herren und Madams in Brüssel sehen das als eine sehr wichtige "demokratische Maßnahme" an. Warum auch immer. In diesem Gesprächen interessieren sie sich nicht dafür, wie es dir geht und was man für dich tun kann.
Michalis: Sie dürfen jetzt nur eine Frage stellen. Mehr darf ein Beamter nicht fragen. So will es der hunderte Seiten umfassende EU-Beschluss: „Von wo sind sie nach Griechenland eingereist.“
Ismael: Wenn du antwortest "Türkei", ist alles vorbei. Das Gespräch ist eine Falle. Am besten nicht antworten, stumm und taub stellen. Das große Flüchtlingsbuch, so wird es bei uns Flüchtlingen genannt, sagt das: Wenn du sagst "Türkei", dann ist das Asylverfahren vorbei, es ist alles vorbei. Es bleibt keine Zeit mehr, sie dürfen ja nicht nach den Gründen für deine Flucht fragen. Wenn du aus einem für sie sicheren Drittstaat kommst, bist du geliefert. Das Gespräch wurde deine Falle.
Michalis: Selbst wenn ein Land wegen Menschenrechtsverletzungen angeklagt ist und als autoritär gilt, wird es für Flüchtlinge als eine Wiege der Demokratie betrachtet. Sie wechseln auch ständig die Menschen aus, die diese Fragen stellen. Das war bisher so, weil sie selber psychisch krank wurden. Wenn eine Frau mit einem Baby im Arm vor dir steht, sieht man in den Augen, was diese Menschen mitgemacht haben. Das belastet auch die Fragestellerinnen und Fragesteller. Nein, das alles interessiert die EU nicht. Sie wollen nur wissen, von wo du eingereist bist. Die Türkei hat die Genfer Konvention nicht unterzeichnet. Sie erkennt den Flüchtlingsstatus nicht an, Kinder gehen nicht zur Schule und Erwachsene arbeiten nur schwarz unter Sklavenbedingungen. Die EU weiß ganz genau, dass die Türkei den IS finanziert hat. Dass die Türkei ein Land ist, das türkische Regimegegner und Kämpfer verlassen, weil sie um ihr Leben fürchten. Was sind das für Menschen, die ein faschistisches System als sicheres Land bezeichnen.
"Stand by me Lesbos" ist die Partnerorganisation der Solidaritäts- und Hilfsorganisation Solidarität International e.V. in Deutschland. Beide haben schon viele Projekte gemeinsam auf die Beine gestellt, darunter das Reyclingprojekt in Kara Tepe und jedes Jahr Weihnachtsgeschenke für Flüchtlingskinder und griechische Kinder auf Lesbos. Hier kann man praktische Flüchtlingshilfe leisten und Stellung beziehen gegen die menschenverachtende Flüchtlingspolitik der EU und Deutschlands. Hier klicken und Mitglied werden: https://solidaritaet-international.de/mitmachen/