Internationalismus Live

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Spannende Diskussion über Perspektive des palästinensischen Befreiungskampfs

Mit dem Lied „We will not go down ... in Gaza tonight!” begann am 10. Dezember eine aufklärende, spannende und hochinteressante Veranstaltung aus der Reihe Internationalismus Live der MLPD im Kultursaal Horster Mitte in Gelsenkirchen. Das Thema der Veranstaltung lautete: „Kampf gegen den drohenden Flächenbrand in Nahost. Was ist die Perspektive des palästinensischen Befreiungskampfs?“

Von ffz/ms
Spannende Diskussion über Perspektive des palästinensischen Befreiungskampfs
Gabi Fechtner bei ihrem Vortrag, rechts neben ihr auf dem Podium Reinhard Funk und Eva Wanneck (Foto: RF)

Gabi Fechtner, Parteivorsitzende der MLPD, und Reinhard Funk vom Zentralkomitee, unter anderem Länderverantwortlicher für Palästina und Israel, saßen auf dem Podium und diskutierten mit den Gästen im Saal den differenzierten Standpunkt der MLPD zu diesem Thema. Dass trotz zahlreicher Aktionen zum Umweltkampftag oder auch örtlichen Nikolausfeiern an diesem Wochenende rund 100 Besucherinnen und Besucher gekommen waren, zeigt das große Interesse an diesem Thema.

 

Nach der Begrüßung durch Moderatorin Eva Wanneck ergriff Gabi Fechtner das Wort. Sie führte aus, dass der Gazakrieg zu einem Flächenbrand zu werden droht und die Gefahr eines Dritten Weltkrieges verschärft. Sie betonte, dass man ohne die Analyse der MLPD über die Entstehung neuimperialistischer Länder nicht verstehen kann, was in der Region gerade passiert. Ehemals neokolonial abhängige Länder sind zu neuimperialistischen Ländern geworden, die aggressiv versuchen, ihre Machtinteressen durchzusetzen. Zu diesen Ländern gehören auch die Türkei, der Iran, Saudi-Arabien, Katar und andere.

 

So notwendig es ist, dass sich der Hauptstoß der Solidarität mit den Palästinensern in diesem Krieg gegen Israel als Hauptaggressor richtet, so wenig darf die Rolle dieser Länder unterschätzt werden.

Gabi Fechtner ging in sechs Punkten darauf ein:

- Dem palästinensischen Befreiungskampf und dem Protest gegen den Staatsterror der israelischen Regierung gilt weiterhin unsere volle Unterstützung. Es ist ein einziges Kriegsverbrechen gegen Mensch und Natur, das in Gaza derzeit verübt wird. Mehr als 20.000 Tote und 50.000 Verletzte sind zu beklagen. Das Vorgehen von Israels Armee erfüllt mehrfach die Kriterien für einen Bruch des Völkerrechts. Israel begeht eindeutig Kriegsverbrechen. Dass sich die islamistisch-faschistische Hamas in Tunneln unter der Erde versteckt, gibt der israelischen Armee noch lange kein Recht, den ganzen Küstenstreifen dem Erdboden gleichzumachen.


- Beim Gazakrieg geht es nicht um einen Krieg zwischen Juden und Arabern oder verschiedenen Religionen. Der tiefere Hintergrund des Kriegs liegt im erbitterten Kampf zwischen alten und neuimperialistischen Mächten um die Vorherrschaft im Nahen und Mittleren Osten und um Öl, Gas und die strategische Lage. Israel baute seine eigenständige imperialistische Rolle in den letzten Jahrzehnten erheblich aus. Das Ziel der faschistoiden Netanjahu-Regierung ist die Schaffung eines "neuen Nahen Ostens", wozu sich die Golfstaaten einem "amerikanisch-israelischen Lager" anschließen sollen. Die meisten neuimperialistischen Länder der Region hatten zuletzt immer engere Beziehungen zum sozialimperialistischen China und teilweise auch dem neuimperialistischen Russland entwickelt, während der dominierende Einfluss der USA erheblich zurückgegangen war. Es wird immer mehr zu einer allgemeinen Taktik dieser Länder, für ihre Expansionsbestrebungen auf faschistische, oft islamisch verbrämte Terrororganisationen oder Söldnertruppen zu setzen. Das gilt für den Islamischen Staat, die Hamas, den Islamischen Dschihad, die Huthies im Jemen, Hisbollah vorwiegend im Libanon und die frühere Wagner-Gruppe Russlands.


- Gabi Fechtner stellte klar, dass die Marxisten-Leninisten immer gegen jede Form von Antisemitismus und Rassismus gewesen sind. Deshalb sind sie auch entschiedene Gegner des reaktionären Zionismus und seiner rassistischen Unterdrückung der Palästinenserinnen und Palästinenser. Auch von der UNO wurde der Zionismus zu Recht als rassistische Ideologie gebrandmarkt.

 

- Die MLPD tritt zugleich für das Existenzrecht Israels ein. Das bedeutet keineswegs, die faschistische Politik des imperialistischen israelischen Staats oder gar die israelische Besatzungspolitik anzuerkennen. Als die damals sozialistische Sowjetunion Ende der 1940er-Jahre den Vorschlag zur Gründung des Staats Israel machte, schwebte ihr ein Land vor, in dem Palästinenser und Juden gleichberechtigt leben. Die durch die westlichen Imperialisten durchgedrückte Staatsräson des Zionismus machte diesen Plan jedoch zunichte, weshalb die Sowjetunion einige Jahre später die diplomatischen Beziehungen zu Israel abbrach. In diesem Zusammenhang kritisierte Gabi Fechtner grundsätzlich den Verrat der PLO-Führung mit den Verträgen von Oslo und Camp David, in denen sie wesentliche Ziele des palästinensischen Befreiungskampfs aufgab.


- Die MLPD lässt sich bei all dem vom proletarischen Internationalismus leiten. Selbstverständlich gilt die Losung „Proletarier aller Länder vereinigt euch! Proletarier aller Länder und Unterdrückte vereinigt euch!“ auch für die Arbeiterklasse in Israel und Palästina. In Israel arbeiten nach Angaben der OECD 500.000 Menschen in der Industrie. Dort gibt es eine in großen Teilen fortschrittliche Massenbewegung, die sich im Vorfeld des Krieges gegen den Übergang zum Faschismus gewehrt hat. Immerhin 49 Prozent der israelischen Bevölkerung lehnen laut aktuellen Umfragen die Bodenoffensive in Gaza ab. Trotz Kriegsrecht gehen immer wieder Tausende auf die Straße.

 

- Gabi Fechtner schloss mit der Überzeugung, dass die Menschen in Israel sich über kurz oder lang dem echten Sozialismus zuwenden werden. Dafür ist entscheidend, dass Parteien mit revolutionärem Anspruch auch dort einen klaren Kurs fahren. Hierfür ist eine lange und geduldige Aufbauarbeit in Verbindung mit Bewusstseinsbildung und Bündnisarbeit notwendig. Wirklicher Frieden und Völkerfreundschaft werden dauerhaft nur im Sozialismus möglich sein.

Den zweiten Teil des Vortrags hielt Reinhard Funk:

Er ging darin auf die entfaltete Auseinandersetzung um die Perspektive dieses Befreiungskampfs und die Kritik der MLPD an der faschistischen Hamas sowie an der Zusammenarbeit mit ihr ein. So gibt es innerhalb der palästinensischen Bewegung zum Teil heftige Widersprüche dazu, ob man die Hamas überhaupt kritisieren darf.


Reinhard Funk wies anhand der Programmatik der Hamas, ihrer Charta von 1987/1988 und ihrem Strategiepapier von 2017 ihren faschistischen Charakter nach. So ist die Charta eindeutig antisemitisch gegen „die Juden“ gerichtet. Zudem propagiert sie ein reaktionäres Frauenbild, das die Frau nur als Ernährerin der Familie und als Erzieherin neuer Dschihad-Kämpfer sieht. Die Charta ist klar antikommunistisch ausgerichtet, wenn sie die sozialistische Revolution und den Kommunismus als Feindbild definiert.

 

Ein weiterer Schwerpunkt in seinem Vortrag bildete der Nachweis, dass der von Hamas und verbündeten Organisationen durchgeführte Angriff vom 7. Oktober sich zwar auch gegen militärische Ziele gerichtet hat, aber auch mit faschistischen Massakern gegen Zivilisten verbunden war wie beim Musikfestival im Kibbuz Reim.

 

Einige Organisationen führen das zeitweilige Bündnis der bis Mitte der 1970er-Jahre revolutionären KP Chinas mit der nationalistischen Kuomintang als Vorbild für die Zusammenarbeit linker, palästinensischer Organisationen mit der faschistischen Hamas an. Das war jedoch ein Bündnis mit Vertretern der nationalen Bourgeoisie, die zwar auch in Teilen reaktionär war, mit der es im Kampf gegen die japanischen Besatzer im Zweiten Weltkrieg aber gemeinsame Interessen gab. Das ist etwas völlig anderes als sich für eine Zusammenarbeit mit faschistischen Kräften und ihren imperialistischen Auftraggebern herzugeben. Will die palästinensische Befreiungsbewegung eine Perspektive haben, muss sie sich ausnahmslos gegen jeden Imperialismus richten. Wer das missachtet, schafft sich letztlich seine eigenen Henker, wie es die revolutionäre Bewegung im Iran blutig zu spüren bekam, die sich beim Sturz des Schah auf ein Bündnis mit Ayatollah Khomenei und seine islamistisch-faschistische Bewegung einließ.

 

Zu der Frage, dass sich das palästinensische Volk gegen die israelische Besatzung auch mit Gewalt wehren darf, führte Reinhard Funk aus, dass das sogar durchs bürgerliche Völkerrecht gedeckt ist. Es wurde deutlich: Der palästinensische Befreiungskampf verdient die volle Unterstützung aller fortschrittlichen Menschen, Revolutionärinnen und Revolutionäre - insbesondere der Marxisten-Leninisten. Notwendig ist eine neue revolutionäre Intifada - ein Volksaufstand, der sich unter Führung der Arbeiterklasse auf die breiten Massen stützt, an der Arbeitereinheit von jüdischen und arabischen Arbeitern arbeitet, den internationalen Zusammenschluss der Arbeiterklasse und aller Unterdrückten sucht, eine revolutionäre Partei aufbaut und eine klare Trennungslinie zu faschistischen Kräften zieht.


Stolz konnte das Podium verkünden, dass für die Spendenkampagne „Gaza soll leben“ inzwischen 20.000 Euro zusammengekommen sind.

Lebhafte Diskussion

In der engagierten und lebhaften Diskussion bedankten sich mehrere Teilnehmer für die differenzierte Analyse und Argumentation, aber auch die offene, vorbehaltlose Auseinandersetzung darüber. Genau das wird in der Massendebatte über den Gazakrieg gebraucht. Ein Teilnehmer, der sich mit linken griechischen Organisationen darüber auseinandersetzt, sagte: "Diese Veranstaltung hat frisches Blut in meine Adern gebracht!"

 

Arbeiterinnen und Arbeiter aus Industriebetrieben berichteten, dass viele Kolleginnen und Kollegen die klare Positionierung der MLPD begrüßen, weil sie ihnen hilft, Verunsicherung in dieser Frage zu überwinden. Dazu trägt vor allem die Stimmungsmache der Regierung und bürgerlichen Medien bei, die die israelische Regierung weitgehend kritiklos unterstützen sowie ihr und den Palästinensern gegenüber mit zweierlei Maß messen. Das stößt auf wachsende Kritik unter den Arbeitern und breiten Massen.

 

Mit dem Singen der "Internationale" endete dieser besondere Sonntagvormittag in der Horster Mitte.