Redebeitrag von Stefan Engel auf der Gelsenkirchener Montagsdemo am 13. November
Stefan Engel: „Glückauf und wirkliche Freiheit für Palästina!“
Den folgenden Redebeitrag hat Stefan Engel auf der Gelsenkirchener Montagsdemonstration gehalten:
Man muss die ganze Situation des Krieges im Nahen Osten noch etwas tiefer behandeln, als das in den Medien der Fall ist. In den letzten beiden Jahren hat sich die Welt sehr verändert. Da ist der Ukrainekrieg und jetzt der Krieg Israels gegen die Palästinenser im Gazastreifen. Was steckt eigentlich dahinter?
Man kann das nur begreifen, wenn man weiß, dass sich das imperialistische Weltsystem verändert hat. Eine Reihe von Ländern, die früher neokolonial abhängige Länder waren, sind zu neuen imperialistischen Ländern mutiert. Dazu gehören die Türkei, Katar, Saudi-Arabien, Iran. Israel war schon länger ein imperialistisches Land und ebenso Russland und China.
Diese neuen imperialistischen Länder sind sehr aggressiv. Sie wollen ihren Platz in der Welt erobern und machen den alten imperialistischen Ländern wie den USA, wie Frankreich, Deutschland und Großbritannien sehr große Probleme. In Afrika zum Beispiel streiten sich der russische, der türkische und der chinesische Imperialismus um die neuen Einflüsse, während die alten Imperialisten, wie die aus Frankreich oder aus England oder auch aus Deutschland eher verdrängt werden. Man muss wissen, dass diese neuen imperialistischen Länder auch bestimmte Methoden haben, die im jetzigen Krieg in Palästina eine große Rolle spielen. Sie haben Auslandsorganisationen aufgebaut, um andere Länder zu infiltrieren bzw. dort Einfluss zu nehmen. So sind zum Beispiel die Taliban entstanden, die heute in Afghanistan die Macht haben. Sie wurden ursprünglich vom CIA aufgebaut, werden jetzt vor allem von Saudi-Arabien und Katar gestützt. Wir erleben die Hamas, eine Organisation die von den Muslimbrüdern aufgebaut wurde und heute von Katar, von der Türkei und vom Iran unterstützt wird. Das sind alles neuimperialistische Länder. Wir haben die Hisbollah, eine Organisation mit einer richtigen Armee. Die beherrscht heute den Libanon und wurde vom Iran aus aufgebaut.
Auch im Jemen haben Iran und Saudi-Arabien jeweils Truppen, die hier einen Stellvertreterkrieg um die Vorherrschaft im Jemen führen. Diese Organisationen haben in der Regel einen islamistisch verbrämten faschistischen Charakter. Sie sind reaktionär und haben nichts mit dem Befreiungskampf vom Imperialismus zu tun, sondern sind direkt Instrumente imperialistischer Politik. Wenn Erdogan jetzt plötzlich seine Zuneigung zur angeblichen „Befreiungsorganisation“ Hamas proklamiert, dann ist das lächerlich. Denn die Türkei ist selbst ein faschistisches Land und unterdrückt mit allen Mitteln die kurdische Befreiungsbewegung. Erdogan versucht, über den Konflikt zwischen Israel und Palästina seinen Einfluss im Nahen und Mittleren Osten auszubauen. Erdogan hat das erklärte Ziel, ein Führer der islamischen Welt zu werden. Wir müssen also eine große Wachsamkeit gegenüber solchen demagogischen Versprechungen entwickeln.
Auf der anderen Seite gibt es einen seit Jahrzehnten berechtigten palästinensischen Befreiungskampf. Ein Befreiungskampf gegen eine Politik der Unterdrückung, gegen eine Politik des Zionismus, gegen eine Politik der Besatzung, mit der seit zehn Jahren der Gazastreifen unter Blockade gehalten und alles kontrolliert wird, was da rein und raus geht: Lebensmittel, Strom, Medizin, ja sogar Wasser. Es ist sehr kompliziert, die humanitäre Lage der Massen dort zu verbessern, weil Israel alles kontrolliert.
Vor einigen Jahren wurde allerdings auch eine sogenannte „Autonomiebehörde“ installiert unter dem Einfluss der UNO. Kurz danach gab es Wahlen und diese hat die Hamas im Gazastreifen, auch aufgrund des Verrats der PLO-Führer, gewonnen. Das war im Januar 2006 und das war die einzige derartige Wahl. Seither hat Hamas eine diktatorische Vorherrschaft und unterdrückt die Massen.
Wir stehen natürlich äußerst kritisch zu der unterdrückerischen Politik Israels gegenüber dem palästinensischen Volk. Israel ist ein imperialistisches Land. Aber wir stellen die Existenz Israels nicht infrage. Das ehemals britische Mandatsgebiet Palästina wurde nach dem Zweiten Weltkrieg der UNO übergeben, die 1947 einen Teilungsplan für einen jüdischen und einen arabischen Staat ausarbeitete. Die damals sozialistische Sowjetunion mit Stalin an der Spitze und mit Gromyko als Vertreter in der UNO anerkannte als erstes Land den Staat Israel. Der Staat und die Verfassung Israels wurden dann aber sehr schnell - unter dem Schutzschild Großbritanniens und der USA - vom Zionismus geprägt. Der Zionismus ist selbst eine rassistische Ideologie. Es ist die Ideologie der Vorherrschaft der Juden, des „auserwählten Volkes“, das natürlich über den Palästinensern und den Arabern stehen würde. Und es ist klar, dass sämtliche arabischen Länder und auch die Palästinenser diese Politik der Unterdrückung kritisieren und ablehnen. Wir unterstützen diese Kritik, aber wir lassen uns deshalb keineswegs in die Ecke des Antisemitismus stellen. Denn wir Kommunisten sind diejenigen, die schon immer gegen jede Art von Rassismus aufgestanden sind. Wir bekämpfen den Rassismus gegen Juden, wir bekämpfen aber auch den zionistischen Rassismus, den die israelische Regierung heute gegen die arabische Bevölkerung in Israel betreibt.
Ich erinnere daran, dass die israelische Netanjahu-Regierung im Bündnis mit einer faschistischen Organisation regiert und das erste Gesetz, dass sie erlassen haben, war die Abschaffung eines Anti-Diskriminierungs-Gesetzes gegen Araber. Etwas über 20 Prozent der Bevölkerung in Israel sind Araber, ebenso gibt es weitere Minderheiten. Es gibt eine demokratische Bewegung in Israel, die diese faschistische Tendenz bekämpft, die sich dann vor allem in der sogenannten „Justizreform“ mit massivem Abbau demokratischer Rechte und Freiheiten ausdrückte. Diese Bewegung gegen den Faschismus der Netanjahu-Regierung wurde jetzt mit dem Kriegsrecht unterdrückt. In Israel dürfen keine Demonstrationen mehr stattfinden und die Meinungsfreiheit ist sehr eingeschränkt. Kurz um: Der Hintergrund der aktuellen Entwicklungen ist viel weitreichender, als es im Fernsehen rüberkommt.
Wir kritisieren natürlich den faschistischen Anschlag der Hamas, weil er sich wahllos gegen die Zivilbevölkerung richtete. Wir kennen das von den verbrecherischen Aktivitäten des IS oder der Taliban: Diese Leute sind Menschenfeinde und nehmen keine Rücksicht auf die Massen. Und wenn es sogenannte „Ungläubige“ sind, dann ist ihnen jedes Mittel recht. Einen solchen Faschismus kann die Arbeiterbewegung nicht unterstützen und deswegen wird diese Richtung von uns grundsätzlich kritisiert, weil sie nichts mit dem Befreiungskampf des palästinensischen Volkes zu tun hat!
Die Palästinenser sind die ursprünglichen Einwohner der Region, es ist ihr Land und sie haben das Recht dort zu leben - ebenso wie seit der Gründung des Staates Israel die Juden. Unser Vorschlag war aber schon immer, dass ein gemeinsames Palästina / Israel existiert, wo die Palästinenser und die Juden gleichberechtigt unter sozialistischen Bedingungen zusammenleben. Das ist der Vorschlag, den wir seit Jahrzehnten vertreten. Er wird aber nicht umgesetzt, weil die USA und auch Europa ein Interesse daran haben, dass Israel wie eine Art Wachhund im Nahen und Mittleren Osten existiert und ihre Interessen dort vertritt.
Inzwischen ist die Situation sehr zugespitzt. Es gibt eine umfassende brutale Vertreibung von Nord-Gaza in den Süden. Aber auch im Süden wird bombardiert und es sind schon Tausende von Menschen dadurch gestorben, die eigentlich nichts mit der Hamas zu tun haben. Hamas unterdrückt die palästinensische Bevölkerung. Israel geht auch barbarisch gegen die Zivilbevölkerung vor, verletzt dabei ständig das Völkerrecht, wie es seit Jahren jede der etwa 200 UNO-Resolutionen ignorierte. Was soll an so einem Verhalten der israelischen Regierung „wertebasiert“ sein? Kein Land der Welt könnte sich so benehmen wie Israel! Das geht so nicht!
Wir wissen natürlich, dass die Juden neben den Kommunisten und der Arbeiterbewegung einer der hauptsächlichen Opfer des faschistischen Systems waren. Es wurden 6 Millionen Juden umgebracht. Das ist unentschuldbar! Der Holocaust kann aber keine Rechtfertigung dafür sein, dass die Regierung von Israel heute die Menschenrechte mit Füßen tritt und diesen faschistischen Anschlag der Hamas benutzt, um das palästinensische Volk zu attackieren und ihm im Grunde genommen die Lebensgrundlage zu nehmen: ihre medizinische Versorgung, ihr Essen und Trinken, Strom sowie ihre Wohnungen. Deswegen fordern wir, dass dieser Krieg sofort eingestellt werden muss und der völkerrechtswidrige Einmarsch Israels in Gaza sofort gestoppt werden muss! Die israelischen Truppen müssen vollständig abgezogen werden! Das gilt übrigens auch für die illegal von Siedlern besetzten Gebiete.
Israel rechtfertigt sich immer, die Hamas würde sich in Krankenhäusern, Kindergärten, Schulen und in Tunneln verstecken und deswegen müsste man diese Orte wie Kindergärten und Schulen auch in den Kampf einbeziehen. Natürlich hat die Hamas nach geltendem Völkerrecht nicht das Recht, Schulen usw. in ihre Logistik des Krieges einzubeziehen. Das ist unbestritten und das ist typisch für ihre faschistische Ideologie, dass sie sich über alle demokratischen und Menschenrechte hinwegsetzen. Gleichzeitig hat Israel nicht das Recht, Schulen und Krankenhäuser so zu attackieren und zu bombardieren, dass die Leute überhaupt keine medizinische Versorgung mehr haben. Es gibt kein einziges funktionierendes Krankenhaus mehr im ganzen Gazastreifen, obwohl dort ständig Tote und Verletzte aus den Angriffen Israels versorgt werden müssten. Israel hat nicht das Recht, Krankenhäuser und Krankenwagen zu attackieren. Das kann keinesfalls akzeptiert werden! Deshalb gibt es weltweit heute berechtigte Massenproteste gegen das Vorgehen Israels. Ich kann nicht akzeptieren, was die Bundesregierung für eine Politik macht, die praktisch diesen Anschlag der Hamas benutzt, Israel solche Rechte einzuräumen, die nichts mit demokratischen Rechten und Menschenrechten zu tun haben, sondern die im Grunde auch eine faschistische, imperialistische Politik darstellen. Deswegen kritisieren wir Israel, ohne dabei den Staat Israel infrage zu stellen.
So ein Problem kann man nur mit einer dialektischen Methode behandeln. Deshalb sage ich jetzt noch mal was zur Dialektik. Wenn man undialektisch vorgeht, dann ist die Hamas = die Palästinenser. Nein! Es gibt dort genauso Klassenwidersprüche wie hier in Deutschland, es gibt andere Religionen - wie zum Beispiel Christen, es gibt Leute, die die Hamas kritisieren. Es ist eine vielfältige Gesellschaft und man kann nicht einfach „die Palästinenser“ bekämpfen oder gar „den palästinensischen Befreiungskampf“ als antisemitisch darstellen, wie das zum Teil in den Medien gemacht wird. Und genauso muss man differenziert mit Israel umgehen. Israel ist heute ein imperialistisches Land, das eine sehr massive, aggressive, brutale Politik macht. Und trotzdem ist es so, dass auch die Arbeiterklasse und die breiten Massen in Israel das Recht auf eine Existenz haben. Das Problem kann man letztlich nur in einer sozialistischen Gesellschaft lösen.
Als Zwischenlösung sind wir durchaus der Meinung, dass man auch die Zweistaatenlösung vorschlagen kann. Aber dagegen wehrt sich die Regierung Netanjahu mit Händen und Füßen! Er hat schon erklärt: Der Krieg werde nicht mit der Fortführung der Autonomiebehörde enden, sondern er will Palästina als neuen Vasallenstaat von Israel. Das stößt mittlerweile sogar in der internationalen bürgerlichen Weltgemeinschaft auf Kritik. Hier sind Verbrechen im Gange, die die ganze Weltordnung in einer reaktionären Art und Weise verändern. Wir müssen die Welt verändern, indem wir Freiheit, Demokratie und Sozialismus auf unsere Fahnen schreiben und jeglicher Ausbeutung und Unterdrückung entschieden den Kampf ansagen!
Deshalb: Freiheit für Palästina! Kritik an den faschistischen Organisationen Hamas, Islamischer Staat, Islamischer Dschihad, Hisbollah, Taliban, die alle zu diesen faschistischen Organisationen gehören. Da gibt es keine Alternative. Diese Organisationen müssen bekämpft und unterdrückt werden. Eine Demonstration mit 3000 Leuten in Essen hat ein großarabisches Kalifat gefordert. Diese Demonstration war erlaubt, während Solidaritätsdemonstrationen mit Palästina unterdrückt wurden. So ein Kalifat ist nichts anderes, als eine faschistische Diktatur. Das steht für eine faschistische und absolutistische Herrschaftsform. Da gibt es keinerlei demokratische Rechte, keinerlei Rechte für Frauen. Das kann doch wohl nicht das Ziel eines Befreiungskampf sein und dadurch disqualifizieren sich diese Organisationen von selbst! Glückauf und wirkliche Freiheit für Palästina!