Studientipp

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"Gewerkschaften und Klassenkampf" zum selbständigen Streik bei Krupp in Rheinhausen im Jahr 1988

In der erweiterten Ausgabe der Nummer 11 / 12 des theoretischen Organs der MLPD, des Revolutionären Weg, mit dem Titel "Gewerkschaften und Klassenkampf" wird der selbständigeStreik bei Krupp in Rheinhausen und mit welch unrühmlichen Methoden die Reformisten ihn schließlich abgewürgt hatten.

In den folgenden Tagen wurde der selbständige Streik konsequent weitergeführt. Am 10. April 1988 veröffentlichte die Betriebsgruppe der MLPD folgendes Kampfprogramm:

„Kampfprogramm der MLPD im selbständigen Streik bei Krupp Rheinhausen“

1. Der Stillegungsplan muss vom Tisch: Kampf um den Erhalt aller Arbeits- und Ausbildungsplätze in Rheinhausen!
Sofortige Einführung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich und der fünften Schicht im Contischichtbetrieb als Betriebsvereinbarung bei Krupp Stahl.
2. Volle Bezahlung der Streikzeit und Erstattung der Lohnausfälle in Folge des Arbeitskampfes seit dem 26. November 1987 durch Krupp. Volle Übernahme aller Sozialversicherungsbeiträge durch Krupp während der Streikzeit!
3. Schluss mit Drohbriefen und sonstigen Repressalien der Werksleitung!
Für eine uneingeschränkte Versammlungs- und Informationsfreiheit im Betrieb und während der Arbeitszeit. Freie gewerkschaftliche und politische Betätigung im Betrieb!
4. Für das uneingeschränkte Demonstrations- und Versammlungsrecht auf allen öffentlichen Straßen und Plätzen auf antifaschistischer Grundlage.
5. Für das Recht auf Solidaritätsstreiks, Solidaritätskundgebungen und Solidaritätsspendensammlungen. Keine Streikbrecherarbeiten! Für das Recht auf selbständige Streiks und die Wahl selbständiger Streikleitungen. Gleichberechtigtes Streikrecht für alle Auszubildenden! Für ein vollständiges und allseitiges gesetzliches Streikrecht!
6. Für das Recht auf selbständige Stellungnahmen der streikenden Belegschaft in Fernsehen, Radio und Presse!
Freier Zugang zu den Massenmedien!
7. Arbeiteroffensive gegen Monopoloffensive!
Vorwärts zum Sozialismus!“


Dieses Programm wurde – vor allem in den aktuellen Forderungen – von den Kollegen breit aufgegriffen. Damit bekam der Streik, der sich zunächst als Protest gegen die Provokationen des Krupp-Vorstandes entzündet hatte, eine klare inhaltliche Stoßrichtung. Rechtzeitig wurde die organisatorische Durchführung der Kampfmaßnahmen abgesichert und erweitert. Die Werkstore wurden von Streikposten besetzt, die nur diejenigen durchließen, die zur notwendigen Wartung der Werksanlagen erforderlich waren. Inzwischen hatte sich – auch ohne „offizielle“ Wahl – eine Streikleitung herausgebildet, die das Vertrauen der Kollegen genoss und die notwendigen Maßnahmen organisierte. Darauf hatten die Reformisten keinen Einfluss.

 

Die SPD-Führung und ihr Hauptvertreter im Betrieb, Bruckschen, arbeiteten gegen den Streik. Bruckschen forderte am 12. April zur Wiederaufnahme der Arbeit auf. Das war in diesem Fall keine notwendige Äußerung aufgrund der Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes, sondern ein Versuch, seine Autorität im Sinne der SPD-Führung einzusetzen. Aber die Belegschaftsversammlung stimmte gegen Bruckschen und für Fortsetzung des Streiks. Inzwischen zeigte der Streik auch ökonomische Wirkung: Besonders im Krupp-Werk in Bochum konnte die Produktion bei Fortsetzung des Streiks in Rheinhausen über den 14. April 1988 hinaus nicht aufrechterhalten werden.


Der Krupp-Vorstand und die SPD gerieten in hektische Aktivität: Bruckschen sprach mit Rau, Rau sprach mit Cromme. Am 14. April 1988 gelang es der SPD-Führung doch noch, den Streik abzuwürgen. Sie war dabei gezwungen, ihren gesamten politischen und organisatorischen Einfluss in die Waagschale zu werfen und zu hinterhältigen Methoden zu greifen: Ministerpräsident Rau persönlich erklärte sich bereit, unter der Voraussetzung des Abbruchs des Streiks, mit Cromme zu „vermitteln“. Bruckschen erklärte seinen Rücktritt, falls der Streik nicht beendet würde. Eine Belegschaftsversammlung war so kurzfristig einberufen worden, dass nur die Minderheit der Kollegen teilnehmen konnte („auffällig viele Meister und Angestellte“, wie ein Teilnehmer äußerte). Im gleichen Stil war vorher eine Sitzung des Vertrauenskörpers angesetzt worden, auf der nicht einmal ein Drittel der Vertrauensleute anwesend war.

 

Auf der Betriebsversammlung am 14. April 1988 führte Bruckschen aus:
„Johannes Rau besteht darauf, daß bei seiner Vermittlung nicht nur der Krupp-Vorstand am Tisch sitzt … Rau besteht außerdem darauf, dass er die Schlichtung nur annimmt, wenn die Produktionseinstellung beendet ist … Und ich sage denen, die gerade hier gepfiffen haben, mir geht es um meine Kollegen und ihre Familienangehörigen … Die anderen (gemeint war insbesondere die MLPD – die Redaktion) wollen die Republik verändern, aber das wollen wir nicht! … Der Kampf in Rheinhausen geht ja mittlerweile in die Richtung, wer in diesem Staat das Sagen hat … Wir haben lange ausgelotet, ob noch mehr drin ist. Mehr ist nicht drin. Johannes Rau steht zur Verfügung und man muß die Stunde nutzen.“ (aus einem Tonbandprotokoll.)


Sein Kollege Laakmann ergänzte:
„Ich fordere euch auf, diese Gespräche so zu flankieren, daß jeder unseren guten Willen erkennt. Deswegen geht an die Arbeit." (ebenda.)

 

Dagegen nahm der Betriebsrat Gerd Pfister Stellung:
„Monate hat sich der Vorstand keinen Millimeter bewegt. Bewegung kam in die ganze Geschichte, als wir die Arbeit niedergelegt haben … In dem Augenblick, wo wir den Streik durchgeführt haben, haben wir auch etwas erreicht … Jetzt, wo wir zu unserem Druckmittel greifen mit dem Mittel des Streiks, sagen sie, wir verhandeln erst, wenn ihr euren Druck wegnehmt. Aber ihr Druck, nämlich die Drohung mit der Stillegung, bleibt auf dem Tisch. Und es ist beschämend, daß der Ministerpräsident dieses Landes diese Erpressung an uns weitergibt … Die ganzen Erfahrungen der Arbeiterkämpfe und der Geschichte zeigen, daß dann bei Verhandlungen etwas erreicht wurde, wenn die Arbeiter gekämpft haben … Ohne Opfer kann man diesen Kampf nicht gewinnen … Ich bin dafür, daß der Kampf, den wir begonnen haben, weitergehen sollte.“ (ebenda.)


Dennoch konnte sich Bruckschen aufgrund der manipulierten Zusammensetzung der Belegschaftsversammlung durchsetzen. Die Mehrheit der Anwesenden stimmte für Beendigung des Streiks.


Trotz des Abbruchs und obwohl die Forderung nach Aufhebung der Stillegungspläne und Erhalt der Arbeitsplätze in diesem Kampf nicht durchgesetzt werden konnte, bleibt der selbständige Streik in Rheinhausen der vielleicht der wichtigste seit den selbständigen Kämpfen 1973. Hier wurde nicht nur die Rolle der Abwiegelung durch den Reformismus und seine Vertreter besonders deutlich. Gleichzeitig zeigte sich auch die Stärke und Kampfkraft der Arbeiter, die weit über Rheinhausen hinausstrahlte. Dabei wurde vor allem deutlich, daß zur Ausbreitung und Höherentwicklung dieser Kampfkraft die Stärkung der revolutionären Partei entscheidend ist. (Willi Dickhut: "Gewerkschaften und Klassenkampf", S. 345-349, 1973)