Kritischer Brief von Monika Gärtner-Engel

Kritischer Brief von Monika Gärtner-Engel

Zum Vorschlag eines sozialpolitischen Kampfprogramms der bundesweiten Montagsdemobewegung

Dieser Brief von Monika Gärtner-Engel wurde am 27. Oktober, am Tag vor den regionalen Herbstdemonstrationen der bundesweiten Montagsdemobewegung auf "Rote Fahne News" veröffentlicht. Er belebte die Auseinandersetzung auf den Herbstdemos. Das Thema ist weiterhin topaktuell und steht weiterhin zur Diskussion. Schickt gerne eure Überlegungen und Beiträge an die Koordinierungsgruppe und an Rote Fahne News!

Von Monika Gärtner-Engel
Zum Vorschlag eines sozialpolitischen Kampfprogramms der bundesweiten Montagsdemobewegung
Herbstdemo am 28. Oktober 2023 in Stuttgart (rf-news)

Vor einigen Tagen veröffentlichten wir hier auf "Rote Fahne News" den Vorschlag der Koordinierungsgruppe der Bundesweiten Montagsdemobewegung für ein sozialpolitisches Forderungs- und Kampfprogramm. In dem Artikel war dazu aufgefordert worden, Diskussionsbeiträge dazu zu schicken.

 

Hier der Artikel, auf den sich der folgende Brief bezieht.

 

Monika Gärtner-Engel, Moderatorin der Gelsenkirchener Montagsdemo, schreibt an die Koordinierungsgruppe:

 

Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,

 

ich freue mich schon sehr auf unsere bundesweiten Montagsdemos morgen in Hamburg, Erfurt und Stuttgart. Es ist sehr gut, dass ihr die Initiative ergriffen habt zu einem Vorschlag für ein sozialpolitisches Forderungs- und Kampfprogramm der Montagsdemo-Bewegung. Wir hatten ja auch festgestellt, dass wir der Sozialpolitik wieder einen größeren Raum in den Diskussionen der Montagsdemos geben müssen. Gut gefällt mir auch, dass ihr jetzt der Umweltfrage einen hohen Stellenwert gebt und auch brennende flüchtlingspolitische Forderungen aufstellt.

 

Dennoch sehe ich einige Probleme in diesem Programm, die ich entsprechend eurer Aufforderung gerne zur Diskussion stellen möchte. Für einen breiten Meinungsaustausch wäre es sicherlich förderlich gewesen, der Programmvorschlag wäre vor einigen Wochen und nicht wenige Tage vor den Herbstdemos herausgekommen!

 

Inhaltlich sehe ich ein Hauptproblem darin, dass nicht von vorneherein die Einheit von Arbeitslosen und Arbeitenden im Zentrum steht. Der Kampf um die Schaffung und den Erhalt neuer Arbeitsplätze in Verbindung mit der Forderung nach der 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich kommt erst ziemlich weit hinten unter Punkt 10. Es ist doch aber eine zentrale Frage, dass die Arbeitslosen sich als Teil der Arbeiterklasse verstehen und Arbeitende und Arbeitslose Schulter an Schulter kämpfen. Stattdessen beziehen sich sehr viele Forderungen darauf, das Leben in Armut und als Arbeitsloser auszugestalten.

 

Die dabei aufgestellten Forderungen halte ich zum Teil für sehr fragwürdig. So fordert ihr für jeden einzelnen ein Mindesteinkommen von 1150 €, auch für Kinder. Für eine bezugsberechtigte Familie mit zwei Kindern wären das 4600 €. Hinzu kommt ja dann noch die Erstattung der Miete und ihr fordert auch die Erstattung der gesamten Nebenkosten. Das ist doch ehrlich gesagt völlig unreal und abgehoben! Da schüttelt doch jeder Arbeiter nur mit dem Kopf. Man kann ja jetzt nicht ein Programm aufstellen, das Arbeitende und Arbeitslose in dieser Hinsicht geradezu gegeneinander aufbringt.

 

Für befremdlich halte ich auch, dass dieses Mindesteinkommen sanktionsfrei sein soll. Wieso eigentlich? Richtig ist eure Forderung gegen bürokratische Schikanen und abwertende Behandlung von Arbeitslosen. Aber es ist doch nicht richtig, dass jeder unabhängig von seiner Ehrlichkeit und seinem Bemühen um Arbeit eine derartige finanzielle Ausstattung bekommt. Ein Arbeiter kann auch nicht wochenlang unentschuldigt fehlen - und dann von der Gewerkschaft erwarten, dass sie »sanktionsfreien Lohn« fordert. Die Forderung nach völliger Sanktionsfreiheit ist meiner Meinung nach eine kleinbürgerliche Forderung.

 

Weiterhin ist auffällig, dass ihr eine Fülle von Forderungen aufstellt, euch aber überhaupt nicht mit dem Kampf um die Denkweise rund um den Schulterschluss von Arbeitenden und Arbeitslosen, das Leben in Arbeitslosigkeit oder Armut beschäftigt. Das fängt doch an mit dem Knacks im Selbstbewusstsein, der Scham, arbeitslos oder gar selbst schuld und minderwertig zu sein. Oder aber kleinbürgerliche Marotten, sich durchzuschlagen, einen individuellen Ausweg zu suchen. Oder dass in Familien, die in mehreren Generationen arbeitslos sind, das geregelte Leben, Kochen, Förderung vom Respekt vor körperlicher Arbeit bei den Kindern usw. untergraben wird oder gar verloren geht. Andererseits steckt in fast jedem Arbeitslosen auch viel proletarische Denkweise – Kampfgeist und Stolz, Arbeiter zu sein, ergeben sich nicht fatalistisch in ihr Schicksal und wollen unbedingt arbeiten, ihre Kenntnisse einbringen und kollegial mit den anderen Arbeitern zusammenstehen; engagieren sich zum Beispiel seit Jahren in der Montagsdemo Bewegung oder in anderen kämpferischen Zusammenschlüssen.

 

Schließlich schreibt ihr am Schluss, die Leute sollen sich in der Montagsdemo-Bewegung organisieren und sie stärken. Richtig!! Doch das ist zu wenig! Die Montagsdemo ist ja gar keine Organisation, sondern eine Bewegung. Es ist gerade so besonders wertvoll, dass sowohl die Massen, als auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Montagsdemo dort auch reichlich Gelegenheit und Auswahl finden, überparteiliche Selbstorganisationen, den Jugendverband Rebell oder die MLPD und manchmal auch andere Parteien kennenzulernen und sich für eine Organisierung zu entscheiden.

 

Dass ihr bei der Organisationsfrage so sehr den Ball flach haltet, hängt vielleicht auch damit zusammen, dass ihr euch auf die Forderungen beschränkt. Die gesamtgesellschaftliche notwendige Veränderung, die Strategiediskussion über die Alternative des echten Sozialismus als unverzichtbar für Arbeiter und Arbeitslose schneidet ihr in eurem Programm nicht einmal an - in Wirklichkeit ist es doch auch ständig Thema bei den Montagsdemos. So wird es aber schnell ein reformistisches Programm, statt die gesellschaftlichen Ursachen im Kapitalismus und die notwendige Abschaffung von Ausbeutung und Unterdrückung auf die Tagesordnung zu setzen.

 

Gerade im Vorfeld der Herbstdemonstration ist es eben auch sehr wichtig, nicht nur die sozialpolitischen Grundgedanken sondern das enorm erweiterte Profil, die Kompetenz, die in Wind und Wetter gestählten fähigen Leute aus der Montagsdemobewegung und die gewachsene breite Thematik aller nur erdenklicher Fragen zu erwähnen. Diese allseitige Kompetenz von den Fragen der Arbeitslosen, der Arbeiter, der Arbeiterkämpfe, der internationalen Bewegungen und Kämpfe, der Kritik und Polemik über die Regierung und die bürgerlichen Parteien - all das macht uns doch keiner nach! So sind die Montagsdemonstration doch zu einer der bedeutendsten orientierungsgebenden überparteilichen Diskussions- und Kampfveranstaltungen geworden. In ihrer Kontinuität und gewachsenen Immunität gegen den Antikommunismus sind sie einzigartig! Sie sind immer auch die Probe aufs Exempel für die Qualität unserer Argumente, ein Training der demokratischen Streitkultur, eine Quelle der Solidarität und der Ermutigung. Und deshalb muss sie unbedingt wieder zu einer richtig starken Massenbewegung werden!

 

Kurzum: Der Wert dieser 19-jährigen Bewegung der Montagsdemos kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden! Das sollte morgen unbedingt die selbstbewusste Botschaft unsere Herbstdemonstrationen werden.

 

Ich wünsche uns allen einen sehr erfolgreichen Samstag, euch alles Gute und uns weiter eine gute Zusammenarbeit. Vielen herzlichen Dank für alle eure Arbeit!

 

Monika Gärtner-Engel