"Balkonkraftwerke" leichter möglich
Weltweiter Solaranlagen-Markt heftig umkämpft
Ohne groß Schlagzeilen zu machen, entwickelt sich zur Zeit ein bemerkenswerter Aufwärts-Trend des bundesweiten Ausbaus von Solaranlagen. Auf diesem Gebiet hat die Ampel-Koalition tatsächlich einmal zur Beschleunigung umweltschonender und dezentraler Stromgewinnung beigetragen, indem sie die Einspeisevergütung [1] kleiner Anlagen auf 8,2 ct/kWh erhöht, die Mehrwertsteuer auf den Kauf solcher Anlagen Anfang 2023 abgeschafft hat und das Betreiben so genannter „Balkonkraftwerke“ erleichterte.
Der Boom bei der Photovoltaik übertrifft bereits jetzt das Ausbauziel von 9000 Megawatt (MW), das die Ampel-Koalition für das Gesamtjahr gesetzt hat. Bis Ende August waren schon über 700 000 neue Solaranlagen mit 9200 MW in Betrieb gegangen. Um wie geplant 80 Prozent Strom aus erneuerbaren Quellen bis 2030 zu gewinnen, müssten die Installationsraten allerdings noch erheblich zunehmen. Bis 2026 müsste der Ausbau dazu mindestens auf 22 000 MW steigen, also 70 Prozent mehr als 2023. Insgesamt sind zur Zeit etwa 75 000 MW installiert. Bis 2030 ist eine Gesamtkapazität von 215 000 MW vorgesehen.
Ein wesentlicher Grund für den Boom ist, dass Photovoltaikmodule innerhalb eines halben Jahres um mehr als 35 Prozent billiger geworden sind, sie kosten im Schnitt derzeit nur noch 15 Cent pro Watt installierter Leistung. Hintergrund dieser Entwicklung ist ein regelrechter internationaler Preiskrieg als Teil der sich verschärfenden zwischenimperialistischen Gegensätze um die Vorherrschaft auf dem Weltmarkt. Vor allem chinesische Firmen werfen – subventioniert mit Riesenbeträgen durch den chinesischen Staat - Solaranlagen zu Dumpingpreisen auf den deutschen und den europäischen Markt. Damit soll erneut die europäische Solarindustrie vom Markt verdrängt werden. China dominiert die weltweite Solarindustrie. 2022 kamen rund 87 Prozent der nach Deutschland importierten Photovoltaikanlagen von dort. In anderen Ländern Europas ist es ähnlich. Johan Lindahl vom „European Solar Manufacturing Council“ stellte kürzlich fest, dass deshalb die durchschnittliche Kapazitätsauslastung der Fabriken in Europa bereits auf 35 Prozent gesunken sei – und manche Hersteller auf ihren Lagerbeständen sitzenblieben. Außer den staatlichen Subventionen spielt für die chinesischen Dumpingpreise die Überausbeutung der chinesischen Arbeiterinnen und Arbeiter eine große Rolle.
Neben China drängen auch die USA in den Markt. Dafür erlassen sie Exportbeschränkungen – und locken Firmen mit Mitteln aus dem Subventionspaket "Inflation Reduction Act". Die EU wollte zunächst die chinesischen Billig-Solarmodule mit Strafzöllen belegen, setzte diese aber bereits 2018 wieder aus. Denn der Ausbau der europäischen Solarindustrie – um sich von der chinesischen Abhängigkeit zu befreien - ist paradoxerweise gerade von Rohstoffen, Vorprodukten und Maschinen aus China abhängig. In keinem Segment der erneuerbaren Energien ist die Abhängigkeit von China so groß wie bei der Photovoltaik, und das bei Komponenten noch mehr als bei den kompletten Anlagen. So kommen knapp 80 Prozent des wichtigsten Rohstoffs Polysilizium aus China. Bei Wafern – dünnen Siliziumscheiben, die mithilfe von Sonnenstrahlen den Strom erzeugen – liegt Chinas Weltmarktanteil gar bei 97 Prozent.
„Seit 2011 hat China über 50 Milliarden Dollar in neue Photovoltaik-Lieferkapazitäten investiert - zehnmal mehr als Europa - und 300.000 Produktionsjobs in der solaren Wertschöpfungskette geschaffen“, heißt es in einem Bericht der Internationalen Energie-Agentur vom November 2022. Doch ihre Solaranlagen können die chinesischen Firmen in China unterdessen immer weniger absetzen. Die sich ständig vertiefende Krise im Immobiliensektor und in der Bauindustrie Chinas lassen dort den Markt schrumpfen.
40 europäische Photovoltaik-Firmen forderten vor kurzem in einem gemeinsamen Brief an die EU Unterstützung: „Wenn jetzt nichts passiert, ist das Risiko groß, dass europäische Solarproduzenten in den nächsten Monaten massive Probleme bekommen werden, manche sogar insolvent gehen.“ Gegensteuern wollen die europäischen Regierungen mit dem geplanten „NetZero Industry Act“. Demnach sollen bis 2030 mindestens 40 Prozent aller Photovoltaikanlagen im europäischen Inland produziert werden. Giga-Fabriken sollen in Frankreich, Italien und Deutschland entstehen. Ähnlich wie bei der Chip-Produktion mit Subventionen im 100-Milliarden Bereich für in Europa bzw. Deutschland aufzubauende Fabriken fordern die Photovoltaik-Hersteller hohe staatliche Subventionen und einen niedrigen „Industriestrompreis“. Natürlich sollen auch die „Arbeitskosten“ gesenkt, d.h. Löhne abgebaut werden.
Wie die Subventionierung erfolgen soll, erklärt Jochen Rentsch, Solarexperte am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme: „Das hat die EU bereits angestoßen, indem sie zugelassen hat, dass die Mitgliedstaaten Unternehmen der Energiewende-Technologien gezielt fördern dürfen. Das verbietet normalerweise das Wettbewerbsrecht der EU. Die Mitgliedsstaaten können dafür zum Beispiel Gelder aus dem ‚Green Deal‘-Topf verwenden.“ Ob das funktionieren wird, bleibt allerdings ungewiss. Denn die Firmen müssen noch lange mit Rohstoffen und Vorprodukten aus China arbeiten. Um den zukünftigen Konkurrenten das Wasser abzugraben, will Chinas Regierung zudem die Ausfuhr der Solarrohstoffe und -technologie in andere Länder erschweren.
Nicht nur, dass dieser Konkurrenzkampf auf dem Gebiet der Photovoltaik mit Steuergeldern – die an anderer Stelle natürlich fehlen - und verschärfter Ausbeutung finanziert werden soll. Die Umstellung auf erneuerbare Energien hängt auch hier davon ab, ob sie mit der Erzielung von Maximalprofiten und mit dem Vormachtstreben auf dem Weltmarkt vereinbar ist.