Tübingen
Kein antikommunistischer Knoten für Clara Zetkin!
Über 50 Leute, davon viel junge Menschen, protestierten am 5. Oktober 2023 vor dem Tübinger Rathaus gegen das Bestreben der Stadt Tübingen, Clara Zetkin mit einem antikommunistischen Bannstrahl in Form eines Knoten am Straßenschild der Clara-Zetkin-Straße in Tübingen-Lustnau zu belegen.
Eine solche Markierung erhalten sonst ausschließlich Namensgeber, die Nazis, Antisemiten, Kolonial- und Kriegsverbrecher waren. Zetkin würde dadurch also in eine Reihe mit den Faschisten gestellt, gegen die sie bis zuletzt ankämpfte. Gleichzeitig empfiehlt die verantwortliche Kommission unter der Leitung des Historikers Johannes Großmann, der derzeit auch im Rahmen einer Lehrstuhlvertretung an der Humboldt-Universität Berlin lehrt, bei zwei Straßen, die nach NSDAP-Mitgliedern benannt sind, den bereits angebrachten “Knoten“ kommentarlos wieder zu entfernen.
Das Aktionsbündnis „Kein Knoten für Zetkin“ wird unter anderem von VVN-BdA Baden-Württemberg, dem Frauenverband Courage, SDAJ, KO und MLPD unterstützt. Der Frauenverband inititierte eine Unterschriftenaktion in Tübingen mit mittlerweile über 500 Unterschriften. Bis heute reißt die Auseinandersetzung auch durch Leserbriefe darüber nicht ab. Direkt vor der Gemeinderatsauschusssitzung war der Protest letzten Donnerstag auf dem Marktplatz unüberhörbar, sogar OB Boris Palmer trank noch schnell einen Kaffee auf dem Platz.
Mit einer flammenden Rede für die glühende Sozialistin, Internationalistin und unbeugsame Kämpferin für die Befreiung der Frau, führendes Mitglied der Kommunistischen Internationale, begann die Veranstaltung sehr kämpferisch und auch würdevoll für diese Revolutionärin, die schon 1919 Unterschlupf in Tübingen fand, weil Faschisten einen Anschlag auf sie vorhatten, als sie in Stuttgart-Sillenbuch lebte.
Treffsicher wurde in dieser Grundsatzrede einer Aktivistin des Aktionsbündnisses sowohl der Antikommunismus als auch die Methode der sogenannten ideologiefreien Wissenschaft entlarvt: die reaktionäre "rechts gleich links"-Hufeisentheorie wird zurückgewiesen als Methode, jeglichen Kampf für eine Alternative zum Kapitalismus zu verunglimpfen. Ebenso die offene Lüge, Zetkin zu unterstellen, sie hätte gegenüber den Todesurteilen gegen die sogenannten Sozialrevolutionäre auf deren Vollstreckung bestanden. Durch die Übersetzung der Stellungnahme von Clara Zetkin zu dieser Frage aus dem russischen Originaltext konnte Großmann der Lüge überführt werden.
Es kam auch zur Sprache, dass die sog. Sozialrevolutionäre zu dieser Zeit alles andere als Revolutionäre waren, indem sie das Rad der Geschichte nach der russischen Revolution wieder in Richtung Zarismus drehen wollten, und so auch Lenin nach dem Leben trachteten. Eine Aktivistin des Frauenverbands betonte, dass der Sozialismus, den Clara weltweit anstrebte, Ziel des Angriffs des Antikommunismus ist und dass wir von ihr und ihrem Kampf lernen können: über alle weltanschaulichen Differenzen hinweg für eine Internationale Einheitsfront gegen Faschismus, Krieg und Umweltzerstörung zu kämpfen. Und dass der Sozialismus gerade heute wieder brandaktuell ist.
Ein Teil der Demonstranten ging noch in die öffentliche Sitzung, nachdem eine Stadträtin der Linken über das weitere Prozedere im Gemeinderat berichtete. Wie die Auseinandersetzung in Tübingen ausgehen wird, ist ungewiss. Eines aber zeigt sich: Selbst 90 Jahre nach ihrem Tod gibt es antikommunistische Angriffe auf Zetkin. Aber auch ganz viele Menschen, die ihr Andenken verteidigen und ihren Kampf fortführen.