Interview mit Zaman Masudi

Interview mit Zaman Masudi

Friedensnobelpreis: Kein Frieden mit dem faschistischen Regime im Iran!

Das Nobel-Komitee verlieh den diesjährigen Friedensnobelpreis an Narges Mohammadi aus dem Iran. Die "Rote Fahne" sprach darüber mit Zaman Masudi. Zaman Masudi ist politisch Verfolgte aus dem Iran, lebt seit 1981 in Deutschland. Sie ist Aktivistin der internationalen Frauenbewegung und Stellvertreterin der Europa-Koordinatorin der Weltfrauenkonferenz der Basisfrauen.

Von Das Interview mit Zaman Masudi führte Gottfried Schweitzer
Friedensnobelpreis: Kein Frieden mit dem faschistischen Regime im Iran!
Zaman Masudi

Rote Fahne: Liebe Zaman, wie ist es politisch zu bewerten, dass eine Frau aus dem Iran den Friedensnobelpreis erhält?

 

Zaman Masudi: Zuerst möchte ich Frau Narges Mohammadi herzlich gratulieren.

 

Der Friedensnobelpreis ist der politische Teil der Nobel-Preise, und das heißt nicht, dass er eine besondere Wertaussage hat, sondern es zeigt die Vielzahl europäischer politischer Eingriffe in die Lage der Länder und der Welt. Vom Friedensnobelpreis für Barak Obama bis hin zu Aung San Suu Kyi, von Nelson Mandela bis Shirin Ebadi vor 20 Jahren war jeder ein Ausdruck spezifischer politischer Interessen des Westens. Es ist das zweite Mal, dass eine Frau aus dem Iran den  Friedensnobelpreis bekommt. Ich freue mich und sehe das als wichtigen Erfolg der Kämpfe und des Widerstands der Frauen seit 44 Jahren gegen das faschistische und frauenfeindliche Regime an.

 

Von Beginn an haben Frauen gegen die islamische Republik gekämpft. Schon im März 1979, nach dem revolutionären Sturz des Schahs, als Khomeini die „Fatwa“ zur „Hejab“ Kleider-Verordnung für Frauen ausgerufen hat, gingen Millionen von Frauen 5 Tage lang auf die Straße und riefen: „Wir haben nicht die Revolution gemacht, um zurück in die Vergangenheit zu gehen!“ Seit der Revolution bis heute haben die Frauen nicht aufgegeben, Widerstand zu leisten. Ich gehe davon aus, dass die mehrere Monate andauernden Proteste ab September 2022, die es in über 160 Städten Irans gab, die den Slogan „Frau, Leben, Freiheit“ skandierten und auch noch nicht aufgehört haben, sehr maßgeblich für die Verleihung des Friedensnobelpreis waren.

 

Die erste Frau, die 2003 den Friedensnobelpreis erhielt, war eine westlich orientierte Juristin, Shirin Ebadi. Sie lebt seit Ende 2009 in Großbritannien und setzt sich für die Wiedrkehr der Monarchie unter der Führung von Reza Pahlavi, dem Sohn des Schahs ein, der durch die Revolution der iranischen Bevölkerung abgesetzt wurde und schließlich in Ägypten gestorben ist. Das zeigt: Damals, 2003, wenn überhaupt jemand außerhalb von Europa und den USA einen Nobelpreis bekommen konnte, musste man mindestens zum Lager der Reformisten und Sympathisanten der westlich-neoliberalen Regierungen gehören. Die politischen Verhältnisse waren damals qualitativ anders.

 

Seit 2020 gab es immer wieder Wellen von großen langen Streiks in vielen Betrieben. Heute gibt es im Iran einen neuen revolutionären Aufstand, der das Ende des religiösen Faschismus im Iran bedeuten könnte. Irgendwie spüren alle - von oben bis unten - die Notwendigkeit der Veränderung und dass die Islamische Republik nicht mehr wie in der Vergangenheit regieren kann. Diese politische Notwendigkeit zwingt die bürgerlichen-kapitalistischen Europäer dazu, ihr politisches Engagement und ihren Einfluss auf die aktuellen Trends zu verstärken. Die Linie dieser Europäer besteht aus verschiedenen Gründen hauptsächlich darin, dass keine radikale Veränderung herbeigerufen werden sollte, und dass Reformen im Rahmen dieses Systems durchgeführt werden sollten. Historisch gesehen zielten die Interventionen dieser Europäer darauf ab, die Reformisten, insbesondere die religiöse Nationalbewegung, zu stärken. Bemerkenswert ist, dass - wie heute an Frau Narges Mohammadi - schon vor 20 Jahren diese Auszeichnung an Frau Shirin Ebadi verliehen wurde, die vom Standpunkt des Denkens und der politischen Richtung her wie Frau Mohammadi und sogar ihre Kollegin war. Letztes Jahr, auf dem Höhepunkt des Aufstands, als sich mehrere Mitglieder des Europäischen Parlaments mit Reza Pahlavi trafen, äußerte Frau Ebadi offen ihren Wunsch nach Rückkehr des Schah-Sohns, und legte mehr Wert auf die interne Opposition als auf den Aufstand.

 

Rote Fahne: Narges Mohammadi wird in den deutschen bürgerlichen Massenmedien als "eine der bekanntesten Menschenrechtsaktivistinnen im Iran" bezeichnet. Wie ist Deine Einschätzung ihrer Person?

 

Zaman Masudi: Es ist keine Überraschung, dass die deutschen bürgerlichen Massenmedien sich freuen über die Verleihung des Preises an Frau Narges Mohammadi. Es stimmt tatsächlich, dass Frau Mohammadi eine der mutigsten Verteidigerinnen der Frauen-Menschenrechte ist. Sie hat trotz der Gefahren, die sie bedrohen, nicht aufgehört, und setzte ihre Aktivitäten auch im Gefängnis fort. Selbst als sie vorübergehend aus dem Gefängnis entlassen wurde, versuchte sie, die Stimme der Unterdrückten in der Gesellschaft zu sein. Obwohl sie immer versucht hat, sich als radikale Kämpferin zu präsentieren, passten ihre Gedanken und Überzeugungen aber eher in den national-religiösen Rahmen Irans. Besonders nach dem jüngsten Aufstand betont sie aber auch den Sturz der Islamischen Republik und ruft die Menschen – insbesondere Frauen – zum Kampf gegen die Hijab-Pflicht auf. Das Frau Mohammadi ihren Aktivitäten für die Förderung der Frauen und Menschenrechte einsetzt, ist sehr schätzenswert. 

 

Aber die Masse der Gesellschaft, also Frauen, ArbeiterInnen, StudententInnen, RentnerInnen, LehrerInnen, Umweltaktivisten usw. sind viel weiter und wollen mehr als Narges Mohammadi. Die Aufstände mit dem Slogan „Frau, Leben, Freiheit“ haben vor allem viel dazu beigetragen, dass nicht eine Reform, sondern besonders die Revolution auf der Tagesordnung der im Iran lebenden und unterdrückten Völker steht!

 

Ich möchte daran erinnern. Dass Frau Mohammadi aber nicht die einzige Frau im Gefängnis ist! Dort sitzen viele Frauen, die oft seit ihrer Jugend dort eingesperrt sind, weil sie gegen die Unterdrückung der Frauen, für Freiheit, Gleichheit und soziale Gerechtigkeit für alle, für eine andere, bessere Welt als das kapitalistische System kämpfen.

 

Um nur wenige Namen zu nennen: Atena Daemi, Nahid Taghavi, Sepideh Gholian, ein junge Frau, die seit Jahren im Gefängnis sitzt, nur weil sie sich mit den streikenden Arbeitern der Zuckerfabrik Haft Tape solidarisiert hat.¹ Sie wurde bis jetzt zweimal entlassen und sofort wieder verhaftet, weil sie nicht bereit ist, das zu tun, was die Sicherheitskräfte von ihr verlangen. Oder nur eine weitere von ganz vielen: Seinab Jalalian, eine junge Frau aus Kurdistan; sie ist die erste Frau im Iran, die eine lebenslange Haft bekommen hat; sie sitzt seit 15 Jahren im Gefängnis, ohne Besuchserlaubnis, ohne Anwalt und ohne medizinische Behandlung.

 

Rote Fahne: Was bedeutet die Auszeichnung für die Frauen im Iran einerseits und für die Massenbewegung gegen das faschistische Regime andererseits?

 

Zaman Masudi: Es ist noch zu früh, um genau zu sagen, welche längerfristigen Auswirkungen diese Auszeichnung für die Massenbewegung hat. Zweifellos wirkt sie sich zunächst positiv auf die Bewegung aus. Sie wird sich wahrscheinlich auch als Sicherheitsschutz für Frau Mohammadi auswirken, die seit Jahren die Misshandlungen der Regierung ertragen muss und mehrfach mit dem Tod bedroht wurde. Natürlich erhofft man sich in manchen Teilen der Bevölkerung auch eine Schwächung der Islamischen Republik durch das Vorgehen der Westmächte von außen.

Leider können Preise manchmal wie Zuckergeschosse auf die kämpfenden Menschen sehr süß wirken und sie an den Zielen, für die den Kampf begonnen haben, vorbei schießen lassen. Zumindest kann dies mit Sicherheit über Frau Shirin Ebadi, die vor 20 Jahren auch den Friedensnobelpreis bekommen hat, gesagt werden - wie sie von einer Menschenrechtsaktivistin zur Verbündeten von Reza Pahlavi wurde.

Was die Massenbewegung anbelangt, kann man angesichts ihrer derzeitigen Schwäche keine eindeutige Aussage darüber machen, welche Auswirkungen der Nobelpreis haben wird. Aber ohne Zweifel ist seine Verleihung eine Anerkennung der Bedeutung des Aufstands mit dem Slogan „Frau, Leben, Freiheit“ auch auf internationaler Ebene, obwohl die Ziele der Nobelstiftung ausschließlich darauf abzielen, die Natur dieses Aufstands zu verzerren, zu verändern und zu kontrollieren.

 

Rote Fahne: Wie siehst du die Zukunft dieser Massenbewegung?

 

Zaman Masudi: Wie jeder Massenaufstand hat auch der Aufstand der „Frau, Leben, Freiheit“ bestimmte Stärken und Schwächen. Es ist sehr wichtig, dass das Regime in eine Sackgasse geraten ist. Leider konnte weder der Aufstand nach einem dreimonatigen revolutionären Höhepunkt weiter ausgeweitet werden, noch ist die Islamische Republik in der Lage, diesen Aufstand, insbesondere den Kampf der Frauen um die Abschaffung des Hijab, rückgängig zu machen. Er hat das Regime in eine fragile und schwache Lage gebracht, und jedes Mal können wir sehen, dass die Aufstände, die aus den Tiefen der Gesellschaft entstanden sind, wie das Feuer unter der Asche immer wieder neu aufsteigen.

 

Er ist ein gerechter Aufstand und hat die Sympathie der Mehrheit – insbesondere bei den unterdrückten Völkern. Er hat eine junge Generation von Kämpfern hervorgebracht, die sehr mutig und furchtlos sind.

 

Zum ersten Mal stehen wir im Iran vor einem Aufstand, bei dem Religion keine Rolle spielt und Frauen an vorderster Front stehen. Dies ist in der Geschichte Irans beispiellos. Aber leider fehlt dem Aufstand eine Führung und ein strategischer Plan, und diese Schwäche wurde noch nicht ausgeglichen. Wir wissen, dass ohne eine linke radikale Führung und eine revolutionäre politische Strategie, die der Realität der Gesellschaft entspricht, Aufstände entweder scheitern oder in die Irre geführt werden. Das ist das Grundproblem des Aufstands im Iran. Die negativen Lehren des „Arabischen Frühlings“ sind noch immer lebendig.

 

Rote Fahne: Vielen Dank für das Gespräch und unsere Solidarität mit den Arbeiter-, Frauen- und Massenkämpfen im Iran!

 

¹ siehe auch: https://www.rf-news.de/2020/kw33/aufruf-zur-solidaritaet-mit-den-streikenden-von-haft-tapeh