Militarisierung

Militarisierung

Wilhelmshaven: Fast täglich grüßt die Marine ...

Die Militarisierung der Gesellschaft nimmt zu - subtil, unterschwellig, manchmal offen, manchmal kaum wahrnehmbar - seit dem Krieg in der Ukraine. Befeuert auch durch die „Zeitenwende“ mit der neuen „Nationalen Sicherheitsstrategie“ (NSS). In Wilhelmshaven können wir ein Lied davon singen. Fast täglich grüßen Marine und Bundeswehr - mal so, mal so, aber fast immer mit positiver Stimmung.

Von dvp
Wilhelmshaven: Fast täglich grüßt die Marine ...
Der Marinehafen Wilhelmshaven mit den Frgatten Brandenburg (F215), Sachsen (F219), Niedersachsen (F208), Lübeck (F214) und Hamburg (F220) (von vorne). (foto: Walter Rademacher / Wikipedia (CC BY-SA 3.0))

Wilhelmshaven ist der größte Marine- und Bundeswehrstandort Deutschlands mit etlichen Dienststellen. Von hier aus startet die Marine zu ihren weltweiten Einsätzen. Rund 9000 Soldaten und Zivilbeschäftigte leben in Wilhelmshaven - fast jeder Wilhelmshavener kennt jemanden bei der Marine. Auch im Umland ist viel Bundeswehr zu finden: in Zetel das Munitionsdepot, in Jever die Objektschützer - „Kampfretter“ genannt, in Wittmund das Jagdbombergeschwader „Richthofen“ - derzeit wegen des Neubaus des Fliegerhorstes vorübergehend nach Rostock-Laage verlegt und im Ostseeraum aktiv.


Fast täglich sind wir in der Stadt mit der Marine bzw. der Bundeswehr konfrontiert und erleben Aktivitäten hautnah mit. Ein Bus der Stadtwerke fährt in Carmouflage-Lackierung mit dem Slogan der Bundeswehr: „Mach was wirklich zählt“. In der Wilhelmshavener Zeitung gab es im Juni und Juli 35 Artikel über die Marine und die Bundeswehr, zum Teil ganzseitig. Jedes Auslaufen und jede Rückkehr einer Fregatte aus dem Einsatz wird mit ausführlichen Berichten und vielen Bildern „gefeiert“, die Schiffe werden technisch vorgestellt und über ihren Einsatz wird anschaulich berichtet - immer mit der Stoßrichtung: Schützen und Helfen.

 

Auch die Marine selbst tut viel für ein positive Image in der Bevölkerung. Bei allen größeren Veranstaltungen in der Stadt ist sie präsent und zeigt sich bürgernah. So konnte man beim großen Hafenfest, dem Wochenende an der Jade, die Fregatte „Hamburg“ besteigen und beim größten Laubskausessen der Welt Laubskaus à la Marine genießen.

 

Im Juni feierte die Marine ihr 175-jähriges Bestehen mit einem großen „Tag der Bundeswehr“, bei dem man neben der Marine auch das Heer und die Luftwaffe live erleben konnte: mit „Open Ship“, Abseilen der Bordeinsatzkompanie aus einem Hubschrauber, Vorführungen der Minentaucher, Besichtigung des Kampfpanzers Leopard und des Flugabwehrsystems Patriot. Sogar im Cockpit eines Tornado-Kampfflugzeuges konnte Platz genommen werden und die Sanitäter stellten sich als „Retter in Grün“ vor.


Am 14. Juni 1848 wurde auf Beschluss der Frankfurter Nationalversammlung die Marine gegründet. Die Wilhelmshavener Zeitung schrieb dazu am 28. Juni demagogisch: „Die Gründung der ersten gemeinsamen Seestreitkräfte Deutschlands war ein hochsymbolischer demokratischer Akt. Erstmals entschieden nicht absolut herrschende Fürsten über den Aufbau und Umfang einer Teilstreitkraft, sondern vom Volk in einer freien und demokratischen Wahl gewählte Abgeordnete.“ Großartig: Jetzt waren es nicht mehr die Fürsten und Juncker, die sich ein Instrument zur Unterdrückung der arbeitenden Massen und zur Unterwerfung anderer Völker organisierten, sondern das „demokratisch gewählte“ Bürgertum, das nach besagter Versammlung auch gleich wieder zum Adel lief, um ihm die Macht in die Hände zu legen.

 

Verschwiegen wird die unrühmliche Rolle der Marine im Ersten Weltkrieg, im Hitler-Ffaschismus und im Zweiten Weltkrieg. Der einzige positive Aspekt, dass es meuternde Marinesoldaten - übrigens vor Wilhelmshaven - waren, die die Novemberrevolution 1918 auslösten, wird in der Marinegeschichtsschreibung eher weniger betont.  Dass die Marine, dass die Bundeswehr mit der Führung imperialistischer Kriege zu tun hat, wird ausgeblendet. Das Wort „Krieg“ fällt nie. Und genau darum geht es.

 

Um einen ungerechten imperialistischen Krieg führen zu können, braucht man bekanntlich Soldaten. Und da sieht es nicht so rosig aus - trotz aller Bemühungen, Marine und Bundeswehr als Beschützer und Helfer zu verankern. Im vergangenen Jahr haben sich nur noch 44.000 Männer und Frauen für eine militärische Laufbahn entschieden - das sind 11 Prozent weniger als 2021. Und das trotz vielfältiger Anstrengungen. Seit kurzem ist es möglich, bei Marine und Heer ein mehrwöchiges Praktikum zu absolvieren - Reisekosten, Unterkunft und Verpflegung werden übernommen. Jedes Jahr veranstaltet die Bundeswehr eine „Woche der Schulen“. Aber: Auslandseinsätze? Imperialistischer Krieg? Tote Soldaten? Gräuel im Einsatz? Nichts davon kommt in der Werbung vor.

 

Die Marine wird - ganz im Sinne der neuen „Nationalen Sicherheitsstrategie“ (NSS) - umfassend modernisiert und aufgerüstet und handelt entsprechend. Unter Beteiligung der beiden Fregatten „Mecklenburg-Vorpommern“ und „Hessen“ hat der deutsche Flottillenadmiral Thomas Marx seit Jahresbeginn das Kommando über den ständigen NATO-Marineverband 1 übernommen. Dieser gehört zur „Very High Readiness Joint Task Force“ (VJTF), die permanent einsatzbereit ist, d.h. innerhalb von 48 bis 72 Stunden an den jeweiligen Einsatzort verlegt werden kann.


Fregattenkapitän Oliver Pfennig, Kommandeur des 2. Fregattengeschwaders mit seinen sieben Schiffen, spricht ungewöhnlich offen aus, worum es eigentlich geht: „ ...Die deutsche Marine hat nach vielen Jahren in ihren Einsätzen zur internationalen Krisenbewältigung einen Verlust an Fähigkeit zu beklagen, den wir jetzt wieder aufbauen müssen. Zu unseren originären Aufgaben gehören eben nicht Seeraumüberwachung in der Ägäis oder die Kontrolle von Handelsschiffen. Unsere Besatzungen sind Soldaten und müssen mit ihren Schiffen vor allem kämpfen können.“ (Wilhelmshavener Zeitung, 26. Juli 2023).

 

Ganz in diesem Sinne kündigte "Verteidigungs"-Minister Boris Pistorius bereits im Juni auf dem Shangri-La-Dialog in Singapur an, dass sich die Marine 2024 mit zwei Fregatten, der "Baden-Württemberg" und der "Frankfurt", am "Indo-Pacific-Deployment 2024" beteiligen werde. Das bedeutet die Teilnahme an dem multinationalen imperialistischen Großmanöver „Rimpac“ unter Führung der USA. Minister Pistorius erklärte auch gleich, warum nach der „Bayern“ 2022 nun ein zweites Mal Fregatten in den Indopazifik geschickt werden. Es gehe darum, „regelbasierte internationale Ordnung in der Region zu unterstützen und lebenswichtige Seewege angesichts des wachsenden Selbstbewusstseins und der territorialen Ansprüche Chinas zu schützen.“

 

In ihrer neuen Nationalen Sicherheitsstrategie misst die Bundesregierung dem indopazifischen Raum besondere Bedeutung bei. Hier wird offen die Vorbereitung eines Dritten Weltkrieges betrieben - mit der Stoßrichtung gegen China.
Angesichts der zunehmenden Militarisierung von Staat und Gesellschaft mit ihrer subtilen psychologischen Kriegsvorbereitung kommt dem antimilitaristischen Kampf der Jugend eine besondere Bedeutung zu. Es ist ein Kampf um Denkweisen gegen das Eindringen militaristischer, völkischer und faschistischer Propaganda. Der Jugendverband REBELL hat auf seinem diesjährigen Sommercamp die subtil wirkende militaristische Losung „Mach, was wirklich zählt“ beispielhaft zerpflückt und ihr das entgegengesetzt, was wirklich zählt: den Kampf gegen die Militarisierung, den aktiven Widerstand gegen die Vorbereitung des Dritten Weltkrieges, den Kampf für eine befreite Gesellschaft, den Kampf für den echten Sozialismus.

 

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