Gelsenkirchener Bergarbeiterstreik vom Mai 1889

Gelsenkirchener Bergarbeiterstreik vom Mai 1889

Der bedeutendste Streik im 19. Jahrhundert in Deutschland

„Das ganze Kaiserreich zitterte vor diesen streikenden Arbeitern… - eine prächtige Menschenschar!“ Mit diesen Worten qualifizierte Friedrich Engels die gewaltige Wirkung des Bergarbeiterstreiks an der Ruhr 1889.¹ Was war geschehen?

Von cg

Die Bergarbeiter im Raum Gelsenkirchen „sind nun durch die kapitalistische Unterdrückung vollkommen aufgerüttelt worden… . Die Reallöhne der Arbeiter (wurden) ständig weiter herabgedrückt... . Statt einer Achtstundenschicht arbeiteten sie zwölf bis 16 Stunden... . Seit dem vergangenen Winter haben die Arbeiter mehrmals erklärt, dass sie streiken würden, wenn keine Änderungen eintreten, aber ohne Erfolg, und schließlich streikten sie, nachdem sie ihre Absicht bekannt gemacht haben. In einer Woche legten 70.000 Bergleute die Arbeit nieder, und die Besitzer mussten den Streik bezahlen.“ Die Streikenden forderten die Erhöhung des Arbeitslohns, den Acht-Stunden-Tag und die Anerkennung ihrer Arbeitsausschüsse. Die Bergarbeiter schickten eine Delegation zu Kaiser Wilhelm II., „der sie mit drohenden Worten empfing, wenn sie sich den Sozialdemokraten² zuwenden sollten und die Autoritäten schmähten, würde er sie ohne Gnade niederschießen lassen.“

 

Doch diese antikommunistische Drohung wurde zum Bumerang: Engels schrieb: „Dieser Bezirk war bis jetzt frei von sozialistischer Beeinflussung, weil jedermann, der dort agitieren wollte, wenn er in die Maschen des Gesetzes geriet, so viele Jahre Gefängnis bekam, wie er anderswo in Deutschland Monate erhalten hätte.“ Der am 4. Mai in Gelsenkirchen begonnene Streik umfasste bis zum 14. Mai schon 90.000 Teilnehmer. Trotz aller Unterdrückungsmaßnahmen aber auch Scheinzugeständnissen dehnte er sich auf andere Teile Deutschlands aus: 20.000 Beschäftigte streikten in Ober- und Niederschlesien, 10.000 in Sachsen, 12.000 im Saargebiet, ebenso in Böhmen und anderswo. Auch andere Berufszweige wurden von der Streikbewegung erfasst - mit der Forderung nach Erhöhung der Arbeitslöhne und zum Teil auch nach  der Verkürzung des Arbeitstages: „So streikten in Berlin am 25. Mai etwa 20.000 Maurer, in Freienwalde die Eisenbahner, in Stettin und Königsberg die Maler und Zimmerleute usw.“

 

Das war umso bedeutsamer, als diese Streiks während des „Sozialistengesetzes“ stattfanden, dem „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ von 1878 bis 1890. Es handelte sich dabei um einen Ausnahmezustand des frühen deutschen Imperialismus zur Unterdrückung der stark wachsenden organisierten Arbeiterbewegung.

 

Auch dieses historische Beispiel beweist anschaulich die vorwärtstreibende und führende Rolle der Bergarbeiter für die Kämpfe der gesamten internationalen Arbeiterklasse. Engels dazu im genannten Aufsatz - erstmals veröffentlicht in einer englischen Gewerkschaftszeitung im Mai 1889: „Der deutsche Bergarbeiterstreik ist für uns ein bedeutendes Ereignis... . Daher gibt es keinen Zweifel darüber, dass die deutschen Bergleute ihre Brüder im Kampf gegen das Kapital unterstützen, und sie bilden eine prächtige Menschenschar, fast alle haben in der Armee gedient. Sie bilden eine wichtige zusätzliche Kraft in unseren Reihen.“

 

Und weiter betont Engels die enorme politische und weltanschauliche Wirkung dieses ursprünglich ökonomischen Streiks, wenn er schreibt: “Ihr Glaube an den Kaiser und an den Pfarrer ist erschüttert worden, und was auch die Regierung unternehmen mag, keine Regierung kann ihre Wünsche befriedigen, ohne das kapitalistische System zu stürzen… . Wilhelm und Bismarck mussten sich vor den geschlossenen Reihen der 100.000 streikenden Arbeiter beugen. Das allein ist ein wunderbares Resultat.“

Was Engels bei diesen Zeilen vom Mai 1889 noch nicht wissen konnte, ergänzt der Kommentar:

„Das Anwachsen der Massenkämpfe in der Zeit des Sozialistengesetzes erreichte mit diesem Streik seinen Höhepunkt. Er trug wesentlich dazu bei, dass das Sozialistengesetz aufgehoben werden musste und Bismarck gestürzt wurde.³ Der Streik hatte die Zechenherren und die Regierung empfindlich getroffen. Zehn Jahre Sozialistengesetz, zehn Jahre Ausnahmezustand gegen die Arbeiterklasse hatten nicht vermocht, die Kampfkraft des Proletariats zu schwächen, im Gegenteil, das Proletariat zeigte sich stärker als je zuvor. Dieser Streik im Ruhrgebiet gab der Arbeiterbewegung in ganz Deutschland einen neuen gewaltigen Aufschwung.“