Leserbrief

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Sozialismus – eine Art „Schlaraffenland 2.0“?

Lisa Gärtner vom Zentralkomitee der MLPD hat einen Leserbrief zur Korrespondenz „Was ich schon lange fragen wollte: Wie ist das eigentlich im Sozialismus?“ vom 15. August geschrieben. "Rote Fahne News" dokumentiert ihn.

Von Lisa Gärtner
Sozialismus – eine Art „Schlaraffenland 2.0“?
Karl Marx und Friedrich Engels legten die Grundlagen für den wissenschaftlichen Sozialismus

Liebe Korrespondenten aus Stuttgart-Feuerbach, interessiert habe ich eure Korrespondenz über die Stubenversammlung zum Sozialismus vom 15. August gelesen. Zweifellos eine gute Initiative und durch andere Wohngebietsgruppe nachzuahmen!

 

Ich habe jedoch auch Kritik an eurem Bericht. Solche Stubenversammlungen müssen der Bewusstseinsbildung über den wissenschaftlichen Sozialismus dienen. Wir haben festgestellt, dass in der Gesellschaft Zerrbilder über den Sozialismus vorherrschend sind. Diese Zerrbilder bestehen sowohl in antikommunistischen Horrorgeschichten als auch in utopischen Vorstellungen einer irgendwie gearteten alternativen Gesellschaft. Letztere werden von der Linkspartei, der DKP oder auch christlichen Menschen vertreten.

 

Es ist sicher positiv, dass der Sozialismus von vielen Besucherinnen und Besuchern eurer Gesprächsrunde positiv assoziiert wurde: mit Vorstellungen einer gerechten Verteilung der gesellschaftlichen Ressourcen, einem Gesundheitswesen, in dem der Mensch im Mittelpunkt steht usw. Eurem Bericht nach seid ihr aber weitgehend bei diesen spontanen und teils unwissenschaftlichen Vorstellungen vom Sozialismus stehengeblieben.

 

Ihr betont in dem Artikel zum Beispiel stark „eine gerechte Welt“. Friedrich Engels schreibt in seiner Schrift „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft“ zur Frage der Gerechtigkeit: „Die Anschauungsweise der Utopisten hat die sozialistischen Vorstellungen des 19. Jahrhunderts lange beherrscht und beherrscht sie zum Teil noch. … Der Sozialismus ist ihnen allen der Ausdruck der absoluten Wahrheit, Vernunft und Gerechtigkeit und braucht nur entdeckt zu werden (…) Um aus dem Sozialismus eine Wissenschaft zu machen, mußte er erst auf einen realen Boden gestellt werden.“ Und er fordert: „Hiernach sind die letzten Ursachen aller gesellschaftlichen Veränderungen und politischen Umwälzungen zu suchen nicht in den Köpfen der Menschen, in ihrer zunehmenden Einsicht in die ewige Wahrheit und Gerechtigkeit, sondern in Veränderungen der Produktions- und Austauschweise; sie sind zu suchen nicht in der Philosophie, sondern in der Ökonomie der betreffenden Epoche.“

 

Zweifellos wird der Sozialismus die erste Gesellschaft sein, die den Kampf um Gerechtigkeit für die breiten Massen aufnimmt. Dennoch herrscht im Sozialismus noch nicht vollkommene Gerechtigkeit, da er eine Übergangsgesellschaft, da er noch eine Klassengesellschaft ist. Beispielsweise werden Arbeiter nach ihrer Leistung bezahl und nicht nach ihren Bedürfnissen. Das ist in gewisser Weise ungerecht, denn der eine muss davon vier Kinder und ein behindertes Familienmitglied finanzieren – und der andere Arbeiter, die andere Arbeiterin hat alles für sich alleine. Doch eine Verteilung nach den Bedürfnissen der Menschen wird erst im Kommunismus möglich sein, wenn sich ein entsprechendes Bewusstsein herausgebildet hat.

 

Weiter schreibt ihr, dass der Sozialismus „mit dem Leben und Kampf für die Befreiung der Frau … beginnt“. Erst einmal beginnt der Sozialismus mit der Revolution! Die Staatsmacht muss erobert und eine Diktatur des Proletariats errichtet, die Produktionsmittel müssen in gemeinsames Eigentum des werktätigen Volkes überführt werden. Das werden heftige Klassenkämpfe werden. Sie waren in eurer Gesprächsrunde offenbar gar kein Thema. Und auch anschließend wird der Sozialismus ein Kampf um die Veränderung der Gesellschaft.

 

Ihr schreibt, dass die Befreiung der Frau „ein Lebensbedürfnis“ ist. Aber ich bezweifle, dass die Befreiung der Frau schon ein Lebensbedürfnis von jeder Frau und jedem Mann ist! Das ist meines Erachtens Anbetung der Spontanität. Wir alle kennen die Lebensbedürfnisse der Monopolkapitalisten oder reaktionärer Politiker vom Schlag eines Friedrich Merz, die der Befreiung der Frau eben konträr entgegenstehen. Sie haben reaktionäre Lebensbedürfnisse. Aber auch unter den Massen ist die Befreiung der Frau nicht das spontane Lebensbedürfnis eines jeden – sondern sie ist eine Frage des Bewusstseins, bei Frauen wie bei Männern. Hier wird viel Überzeugungsarbeit, ein intensiver weltanschaulicher Kampf, gesellschaftlich organisiert werden!

 

Geht man nach der Korrespondenz, habt ihr - meinem Eindruck nach - alles in allem auf der Gesprächsrunde ein Bild gezeichnet, als sei der Sozialismus eine Art „Schlaraffenland 2.0.“ Zumindest macht die Korrespondenz einen solchen Eindruck.

 

Ihr schreibt, dass eine lebenserfahrene Teilnehmerin eingewendet hat, dass sie sich nicht vorstellen kann, wie ein solcher Sozialismus in der Praxis funktionieren kann. Hat sie damit ganz unrecht? Der utopische Sozialismus funktioniert nämlich tatsächlich nicht! Deswegen haben Marx und Engels, - gestützt auf die Kampf- und Lebenserfahrungen von Millionen Werktätigen - die Arbeit gemacht, aus der Utopie den wissenschaftlichen Sozialismus zu entwickeln. Lenin, Stalin und Mao Zedong haben ihn weiterentwickelt und auch die MLPD verfügt über eine ausgezeichnete ideologisch-politische Linie zum Sozialismus. Als MLPD-Wohngebietsgruppen stehen wir in der Pflicht, auf Fragen, wie die der genannten Teilnehmerin, wissenschaftlich fundierte Antworten zu geben. Darauf hat sie bei uns sozusagen auch einen „Rechtsanspruch“.

 

Vielleicht wäre im Sinne des Wegs von der Utopie zur Wissenschaft ein zweiter Teil eurer Stubenversammlung eine gute Sache?

 

Herzliche Grüße!
Lisa Gärtner

 

Zur Vertiefung: Eine ganze Magazin-Seite voller Literaturtipps zum Sozialismus