Seit Jahrzehnten bekannt

Seit Jahrzehnten bekannt

Kampfmittel in Nord- und Ostsee – Sehenden Auges in die regionale Umweltkatastrophe

In der Nord- und der Ostsee befinden sich nach aktuellen Schätzungen mindestens 1,63 Millionen Tonnen konventionelle Munition und 300.000 Tonnen chemische Kampfstoffe. Dazu kommt eine unbestimmte Menge an Kampfstoffen in Schiffs- und Flugzeugwracks. Diese verrotten seit Jahrzehnten und setzen ihren giftigen Inhalt in die Meere frei. Dabei handelt es sich unter anderem um S-Lost, Senfgas, Chlorgas, Phosgen, Tabun, Chloracetophen, Adamsit, Arsinöl und Clark I&II.

Von Landesleitung Nord der MLPD
Kampfmittel in Nord- und Ostsee – Sehenden Auges in die regionale Umweltkatastrophe
Verfallene Holzkisten mit Munition aus einem Kriegsschiff (shutterstock_1717550953)

Als ob sie mit der Sache nichts zu tun hätte, stellt die Fraktion von CDU/CSU und SPD in der Drucksache des Bundestags 19/29283 vom 4. Mai 2021 fest: „Die Kenntnis über das Vorhandensein und über die von den Munitionsaltlasten ausgehenden erheblichen ökologischen, aber auch ökonomischen Gefahren ist nicht neu.“ (1) Weiter steht in dem Papier: „In historischen Archiven verschiedener Länder ist zum Teil sehr gut dokumentiert, wo seit dem Ende des 19. Jahrhunderts jeweils welche Kampfmitteltypen versenkt wurden.“ (1)

 

Wenn Ihnen das alles bekannt ist, warum unternehmen Sie jahrzehntelang nichts? Was sich in den vorsichtigen Worten u.a. von Alexander Dobrindt und Ralph Brinkhaus abzeichnet, ist ein umweltpolitischer Skandal. Mindestens bis Mitte der 1960-er Jahre haben die Verantwortlichen in der Bundesregierung bei bewusster Missachtung der ökologischen Folgen die hochgiftigen konventionellen und chemischen Kampfstoffe kostengünstig im Meer versenkt. Dies geschah auch in fremden Hoheitsgewässern, wie vor der spanischen Küste oder bei Bornholm.

 

Gleichzeitig vertuscht die Regierung ih Umweltverbrechen. Bereits 2008 deckte Stefan Nehring u.a. auf, dass ein im HELCOM-Bericht veröffentlichter Verklappungsort von Chlorgas und Phosgen in der Lübecker Bucht auf Betreiben der Bundesregierung für immer aus dem Bericht gestrichen wurde (2). Wenn die tatsächliche Dimension der Verklappungen ans Licht kommt, würden unter dem Druck der Bevölkerung Milliardenbeträge für die Bergung anfallen. Vor diesem aktiven Widerstand haben die Verantwortlichen Angst.

 

Man muss davon ausgehen, dass die Korrosion der Minen, Bomben und Granathüllen so weit fortgeschritten ist, dass bereits vermehrt Giftstoffe ins Meer austreten und unsere Nahrungskette vergiften, wenn in der bereits erwähnten Drucksache steht: „Es ist davon auszugehen, dass das Gefahrenbewusstsein der Bevölkerung steigen wird, wenn vermehrt Giftstoffe in Fisch- und Muschelbeständen nachgewiesen werden, die erhebliche Auswirkungen auf unsere Fischerei haben können.“ (1)

 

Damit dieses „Gefahrenbewusstsein“ nicht entsteht, wird in der öffentlichen Berichterstattung die dramatische Lage verharmlost. Obwohl die Bundesregierung zugibt, dass „seit mehreren Jahrzehnten international geforscht wird und eine Vielzahl wichtiger Erkenntnisse gewonnen werden konnten, insbesondere auch hinsichtlich der schädlichen Auswirkungen der giftigen Kampfmittel auf das marine Ökosystem“ (1) sagt Prof. Dr. Jens Greinert zu der Tatsache, dass 25% der Fische in der Nähe von Verklappungsorten Lebertumore aufwiesen: „Es sei noch zu früh, einen direkten Zusammenhang zwischen Krebs und TNT aus den rostenden Bomben herzustellen." (3) TNT und seine Metabolite sind als Nitroaromaten grundsätzlich giftig, krebserzeugend und/oder erbgutverändernd, was hinlänglich erforscht ist. (4)

 

Die Gefahren durch die gigantischen Mengen TNT und die freigesetzten chemischen Kampfstoffe bestehen in ihrer direkten Wirkung auf den Menschen (Haut-, Nerven- oder Atemwegskampfstoffe), ihrer toxischen Wirkung auf das marine Ökosystem und in ihrer Anreicherung in der Nahrungskette. Es entstehen sogar neue Giftstoffe in ihrer Zersetzung durch bspw. Algen. Zudem ist der Sprengstoff weiterhin aktiv, so dass bereits eine Druckveränderung beim Heben ausreichen kann, ihn zur Explosion zu bringen. Weißer Phosphor aus Brandmunition entzündet sich bei 34 Grad Celsius selbst und brennt bis zu 1300 Grad heiß, ähnelt am Strand aber angespültem Bernstein. Die Ostsee gilt weltweit als das schmutzigste Meer mit einer gigantischen Todeszone, die 2014 bereits 70.000km² groß war. Das ist das Ergebnis des gehypten Pragmatismus, der durch seine Ignoranz der langfristigen Folgen für die Einheit von Mensch und Natur immer nur Probleme geschaffen, aber nie gelöst hat.

 

Im Angesicht der eingeleiteten globalen Umweltkatastrophe erfordert die Rettung der Erde heute einen gesellschaftsverändernden Kampf gegen den Imperialismus, um die Wurzel des Problems auszureißen.