Reallöhne sinken
Selbständige Streiks für Lohnnachschlag jetzt auf der Agenda der Arbeiterbewegung ganz nach oben!
"Die Preise sind total gestiegen. Die Inflation trifft auch uns. Wir fürchten uns heute schon vor der Armut im Alter". So eine junge Frau, die am Freitag mit ihren Kolleginnen von Ver.di in München in der Fußgängerzone mit Transparenten und Schildern gegen hohe Preise und für Lohnerhöhung demonstriert, im Gespräch mit "Rote Fahne News".
Das hört sich ganz anders an als die Berichte von angeblich sinkenden Preisen. Die Bundesbank hat jetzt Prognosen aufgestellt, wie sich die "Kerninflation" in nächster Zeit entwickeln werde. Kerninflation, so die FAZ, sei die Teuerung ohne "stark schwankende Preise wie die für Energie und Lebensmittel". Tatsächlich schwanken die Preise für Energie und Lebensmittel nicht stark. Gerade diese Preise, die für Arbeiter- und Rentnerhaushalte die tatsächliche Inflation ausmachen, sind unvermindert hoch. Bei Lebensmitteln liegt die Inflation in Deutschland nach Berechnungen der Neuen Züricher Zeitung bei 22 Prozent. Die kleinen Preissenkungen beim Benzin haben die vorherigen Erhöhungen in keiner Weise ausgeglichen.
Über Energiepreise macht man sich auch beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) Gedanken. Nämlich über den Strompreis, den die Industrie zahlt. Der ist trotz massiver staatlicher Subventionen in den Augen von BDI-Präsident Siegfried Russwurm noch viel zu hoch. Von jetzt an bis 2030 soll es daher einen "Brückenstrompreis" von sechs Cent pro Kilowattstunde geben. Und danach? Einen "Transformationsstrompreis". Über dessen Höhe man nicht spricht. Von sechs Cent pro Kilowattstunde kann eine Arbeiterfamilie nur träumen. Die Energiepreise sinken bisher in erster Linie also für die Monopole. Die sind es auch, die über Spekulation und Raubpreise die Arbeiter und die Massen rücksichtslos enteignen.
Die "Kerninflation" wird von der Bundesbank für dieses Jahr jetzt auf 5 Prozent prognostiziert. Das ist ein Prozentpunkt mehr als die bisherigen Prognosen. Für das nächste Jahr sind wird mit 3,1 Prozent statt bisher 2,9 und für 2025 werden es angeblich 2,8 Prozent. Das Weglassen der Raubpreise und spekulationsgetriebenen Inflation für Lebensmittel und Energie ist das erste betrügerische Rechenspiel in dieser Prognose. Die zweite Lüge gibt es bei der Erklärung der angeblichen Ursachen: "Insbesondere die hohen Lohnabschlüsse der vergangenen Monate haben offenbar Veränderungen der Vorhersagen notwendig gemacht", heißt es in dem genannten Artikel.
Tatsächlich hatten die Metallerinnen und Metaller mit ihren mächtigen Warnstreiks die von den Kapitalisten angestrebte Nullrunde verhindert und so einen wichtigen Kampferfolg erzielt. Die Proteste und Warnstreiks im Öffentlichen Dienst und bei der Post verbanden sich beim Aktionstag von Fridays for Future mit der Umwelt- und am 8. März mit der Frauenbewegung. Kolleginnen und Kollegen und auch die MLPD kritisierten, dass die gewerkschaftliche Kampfkraft nicht voll entfaltet wurde. Dabei zeigten die offensiv geführten Warnstreiks, wie kampfbereit die Belegschaften waren. Die tariflichen Lohnerhöhungen gleichen die Inflation nicht aus. Einmalzahlungen reichen, wie der Name schon sagt, für die einmalige Zahlung einer Neuanschaffung oder Reparatur. Aber nicht fürs normale Leben. So stimmte ein Drittel der Ver.di-Kollegen gegen die "Tarifeinigung" für den Öffentlichen Dienst, u.a. auch wegen der Laufzeit von 24 Monaten und weil ihre Kampfbereitschaft ausgebremst wurde.
Die alte Mär von der Lohn-Preis-Spirale feiert hier fröhliche Urständ. Sogar bürgerliche Medien ziehen sie inzwischen in Zweifel. So schreibt ein Korrespondent des MDR: "In den letzten drei Jahren haben viele Unternehmen Rekordgewinne eingefahren. Hier geht es nicht nur um Internet-Giganten wie Amazon, Google und Apple, sondern auch um Siemens, VW, Bosch und Mercedes. Dem gegenüber steht in den letzten drei Jahren ein durchschnittlicher Reallohn-Verlust der Beschäftigten von vier Prozent." Wenn also der Mythos von der Lohn-Preis-Spirale stimmen würde, hätten ja die Preise jahrelang sinken müssen. Taten sie aber nicht. "Die realen Effektivverdienste", so die FAZ, "dürften selbst im Jahr 2025 noch immer spürbar unterhalb des Wertes aus dem Jahr 2019 liegen." Die von der Arbeiterklasse geschaffenen Werte werden hingegen von Jahr zu Jahr mehr, ebenso die Maximalprofite der Monopole. Diese stiegen bei den 500 Übermonopolen auf der Welt von 667.257 Millionen US-Dollar im Jahr 2000 auf 1.639.100 Millionen US-Dollar 2021. Ein schreiender Widerspruch, auf den die Losung "Nieder mit dem Lohnsystem!" im Sozialismus/Kommunismus die Antwort ist. Diese Perspektive muss wie der Kampf gegen die Weltkriegsvorbereitung und die globale Umweltkatastrophe auch im Kampf um Lohnnachschlag eine Rolle spielen.
Bei aller Verwirrung, eines erkennt der Autor des genannten FAZ-Artikels richtig: "Je nachdem, wie stark gestreikt wird und wie stark der Streik wirkt, bekommen die Arbeitnehmer zumindest einen gewissen Teil der Inflation ausgeglichen". Für den jetzt dringend erforderlichen Lohnnachschlag müssen die Arbeiter selbständig streiken. In der Kollegenzeitung beim Autozulieferer Hella schreiben die Kollegen: "Angesichts der krassen Preiserhöhungen brauchen wir einen Lohnnachschlag. Zum Beispiel eine tabellenwirksame Erhöhung um eine Festbetrag in Höhe von 10 Prozent des Tarif-Ecklohns (ca. 300 Euro in der Metallindustrie) und Erhöhung der Ausbildungsvergütung um 10 Prozent. Da die Tarifrunde bis zum 30. September 2024 läuft, muss das in einem selbständigen Streik durchgesetzt werden. Aktive Gewerkschafter müssen da vorne dran stehen. Die IG Metall als Organisation darf nicht zu einem Streik dafür aufrufen, weil es in Deutschland nur ein sehr eingeschränktes Streikrecht in Tarifrunden gibt. ... Einen selbstständigen Streik gab es übrigens bei Hella schon mal. 1973 setzte die Belegschaft in Lippstadt damit eine Teuerungszulage von 0,50 Euro pro Stunde durch. Wenn die Arbeiter einig sind, können sie auch Gesetze nicht am Kampf hindern. Die Forderung nach einem allseitigen und vollständigen gesetzlichen Streikrecht ist auf der Tagesordnung."
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