Hintergrund

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Der „8. Dezember“-Fall in Frankreich: Datenschutz als Terrorismus

In Frankreich werden seit Dezember 2020 sieben Personen von der Nationalen Anti-Terror-Staatsanwaltschaft (PNAT) beschuldigt, eine „terroristische kriminelle Vereinigung“ gegründet zu haben. Die einzige Begründung: Die Angeklagten hatten Computer-Kenntnisse und verschlüsselten ihre Kommunikation und Datenträger.

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Der „8. Dezember“-Fall in Frankreich: Datenschutz als Terrorismus
Die Verwendung von freien Betriebssystemen wie GNU/Linux und Computerkenntnisse sind nach Ansicht der französischen Behörden ein Hinweis auf terroristische Verschwörer. (Bild: Tima Miroshnichenko)

Die französische Polizei selbst räumt ein, dass nach Ende der Ermittlungen unter Beteiligung des Inlandsgeheimdienstes „Generaldirektion für innere Sicherheit“ (DGSI) mit wiederholten Verhören (auch von Familie und Freunden) und zehnmonatiger Überwachung – inklusive Abhörung von Privaträumen, Telefonen, Echtzeit-Geolokalisierung über GPS-Beacons oder die Verfolgung von Telefonen und, ganz konventionell, Beschattung der Angeklagten - kein „konkretes Projekt“ der Angeklagten identifiziert werden konnte. Heißt, eine Straftat, erst recht einen terroristischen Akt, konnten die Ermittlungen nicht finden.

 

Der Hauptangeklagte wurde 16 Monate lang in Einzelhaft gehalten – zu Unrecht, wie ein Gericht zwischenzeitlich entschied. Ein weiterer Angeklagter hat Beschwerde dagegen eingelegt, dass er in der Untersuchungshaft wiederholt illegalen Leibesvisitationen ausgesetzt wurde; eine gerichtliche Entscheidung hierzu steht noch aus. Die Angeklagten aus der linken Szene sprechen von einem politischen Prozess mit einer extrem belastenden Untersuchung und einem völligen Mangel an Beweisen.

 

Dennoch wird an der Anklage festgehalten, im Oktober 2023 ist der Prozess geplant. Was wird den Angeklagten dann überhaupt vorgeworfen? Nun:

  • Verschlüsselung ihrer Kommunikation
  • Verwendung von Tools zum Schutz der Privatsphäre im Internet
  • Verschlüsselung digitaler Medien
  • der Besitz legaler technischer Dokumentationen
  • Organisation von und Teilnahme an Schulungen zur Datensicherheit
  • Computerkenntnisse und die Verwendung von Linux sowie quelloffenen Betriebssystemen für Smartphones

 

All das tut oder kann übrigens auch der Autor dieses Artikels.

 

Das DGSI bezeichnet diese „Vorsichtsmaßnahmen“ als „verdächtiges Verhalten“ und schlussfolgert, dass „diese Elemente den Wunsch bestätigen, im Verborgenen zu leben“, es sei eine „Bereitschaft zur Verschleierung“ festzustellen.

Dass die Angeklagten so verfuhren, könne nach Überzeugung der PNAT nur mit der Existenz eines (nach wie vor unbekannten) terroristischen Projekts erklärt werden. Durch ihre Computerkenntnisse (die in der Anklageschrift als Beleg für die Gefährlichkeit der Angeklagten dienen sollen) verfügten die Angeklagten somit über die „für die Durchführung gewalttätiger Handlungen erforderlichen Fähigkeiten“ (Mitteilung des DGSI).

 

Besonders schwer soll wiegen, dass die Angeklagten ihre Kenntnisse weitergegeben haben. Darin sehen die Untersuchungsrichter eine „wesentliche Tatsache“, die „die Beteiligung einer Gruppe charakterisieren, die (…) im Hinblick auf die Vorbereitung terroristischer Akte gebildet wird.“

 

Teil der Ermittlung war auch die völlige und entwürdigende Durchleuchtung aller zugänglichen privaten Daten. Drei Angeklagten, die sich beharrlich weigern, den Ermittlern den Zugriff auf ihre Daten zu ermöglichen, wird von den Richtern vorgeworfen, „den Fortgang der Ermittlungen“ damit behindert und „die Charakterisierung bestimmter Fakten verhindert“ zu haben.

 

Es ist zu erwarten, dass die Ermittler das Fehlen der Beweise für die Existenz des von Ihnen unterstellten Terrorprojekts mit der Verschlüsselung erklären werden, nach dem Motto: Die Beweise sind da, aber sie können nicht entschlüsselt werden!

Sind sie gegen GAFA?“

 

GAFA oder GAFAM ist eine Abkürzung für die großen digitalen Monopole (Google, Apple, Facebook, Amazon, Microsoft). Es ist erwähnenswert, dass die Ermittler das Verhältnis (in einer Frage als „Vorbehalte gegenüber Kommunikationstechnologien“ umschrieben) zu diesen Monopolen als Merkmal „ultralinker“ Radikalisierung betrachteten.

Verschiedene solcher Fragen wurden den Angeklagten immer wieder gestellt.

 

Ein weiterer Schritt in der Faschisierung des französischen Staatsapparats

 

Was hiermit erfolgt, ist nicht weniger als die schamlose Kriminalisierung der Grundprinzipien des persönlichen Datenschutzes. Es ist eine völlige Beweisumkehr zum Vorteil der Geheimdienste: Legt man den Spitzeln von Staat und Konzernen Steine in den Weg, wird das als Beweis dafür interpretiert, dass man eine Straftat verbergen will. Dieses Verfahren ist der bislang offenste Angriff auf das Recht auf Privatsphäre.

 

Der Verein „La Quadrature du Net“, der sich für die Grundfreiheiten im Internet und gegen Zensur und Überwachung durch Staat und Privatunternehmen einsetzt, bezeichnet das Verfahren als Teil des Übergangs in eine „präventive Justiz“: „Beweise durch Verdacht zu ersetzen bedeutet daher, die Tatsachen durch die Polizeidarstellung zu ersetzen. (…) Um es klar zu sagen: Dieser Fall ist ein Test für das Innenministerium. Was könnte praktischer sein, als die Überwachung und Repression von Aktivisten zu rechtfertigen, weil sie WhatsApp oder Signal nutzen? (…) Das Recht auf Verschlüsselung zu verteidigen bedeutet daher, sich den autoritären Exzessen einer Macht zu widersetzen, die die Vorrechte des „Antiterrorismus“-Kampfes durch die Benennung einer immer größeren Zahl interner Feinde endlos ausdehnen will.“