Wirtschaft / Fake News
Das Narrativ von der Deindustrialisierung Deutschlands
In den letzten Monaten geistert ein neues, Unheil verkündendes, Schlagwort durchs Land – die drohende „Deindustrialisierung“. Durch eine Schrumpfung des industriellen Sektors - vor allem der Schwerindustrie oder anderer Branchen - würden massenhaft Arbeitsplätze vernichtet, Städte würden verfallen und „unser Wohlstand“ würde verschwinden. Denn viele Industriebetriebe hätten zurzeit akute Existenzängste oder sähen sich gezwungen, die Produktion ins Ausland zu verlagern.
Schuld daran sei vor allem die „grüne Ideologie“, die unbezahlbare Energiekosten verursachen würde. Besonders in Verlautbarungen der faschistoiden AfD oder ihr nahestehender Medien – aber nicht nur dort: auch aus Teilen der CDU ist das zu hören - wird dieses Narrativ verbreitet.
Unter der Überschrift: „Energiewende-Ideologie trifft auf Fakten“ schreiben die Deutschen Wirtschafts-Nachrichten zum Beispiel: „Schon jetzt sehen wir die Folgen dieser Politik: Energie-intensive Unternehmen wandern ab oder gehen Pleite. Bestes Beispiel BASF: Die bauen gerade in Deutschland ab und in China auf. ..."¹ Allerdings stellte selbst der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, fest: "...Deutschland hat bisher noch nie einen Kostenvorteil bei Energie gehabt“ . Er bezeichnete in der Augsburger Allgemeinen die Deindustrialisierung als „Schreckgespenst, das aufgebaut wird, um der Politik Geld aus den Rippen zu leiern.“²
Als abschreckendes Beispiel für die „Deindustrialisierung“ wird vor allem die Stahlindustrie angeführt. Deutschland ist allerdings nach wie vor der größte Stahlerzeuger in der EU. 2021 wurden ca. 40 Millionen Tonnen Rohstahl produziert, genauso viel wie 2013.³ Gleichzeitig wurden Tausende Arbeitsplätze vernichtet und die Produktivität (Tonnen Rohstahl pro Beschäftigtem) massiv gesteigert. 2022 exportierte Deutschland Stahl im Wert von 35,4 Milliarden Euro, so viel wie noch nie. Obwohl die Bundesregierung die Stahlindustrie mit Milliarden von Euro päppelt, damit sie auf das Direktreduktionsverfahren für Wasserstoff umstellt, wird von dieser hier offensichtlich eine Kampagne gefahren, um noch mehr herauszuschlagen. Es wird bewusst Stimmung gemacht.
Das Beispiel BASF verdreht ebenfalls die Wirklichkeit. BASF will 10 Milliarden Euro in China investieren und verlagert damit zur Zeit aus strategischen Gründen – der geplanten (Teil-)Eroberung des chinesischen Markts – einen Teil der Produktion dorthin, produziert aber weiterhin massenhaft mit seinem riesigen Komplex in Ludwigshafen. Und dass BASF Milliarden seiner Energietochter Wintershall Dea aus Russland abschreiben musste und sich der Gewinn im letzten Halbjahr verringerte, liegt an der Sanktionspolitik der deutschen Monopole im imperialistischen Ukrainekrieg. Diese Teil-Verlagerung nach China hat daher mit der Energiewende so viel zu tun wie ein Schnupfen mit einer Krebskrankheit. BASF hat 2022 seinem Umsatz auf 93 Milliarden US-Dollar deutlich erhöht - gegenüber 60 Milliarden 2018. 2023 hat BASF 6,53 Milliarden Gewinne eingefahren⁴ und zahlt jetzt eine Dividende von 3,40 Euro je Aktie. 2015 betrug die Dividende noch 2,90 Euro und 2018 3,20 Euro.⁵ Ein wahrhaft drastisches Beispiel für eine durch die Energiewende erzwungene „Deindustrialisierung“!
Der Zweck des Narrativs der Deindustrialisierung ist vor allem, die arbeitende Bevölkerung für die sozialchauvinistische⁶ Unterstützung „ihrer Industrie“ – sprich: der deutschen Monopole – im internationalen Konkurrenzkampf zu gewinnen. So wurden im März die Stahlarbeiter mit Unterstützung ihrer Konzernherren für einen „fairen, international wettbewerbsfähigen Industriestrompreis“ gegen die drohende „Deindustralisierung“ zur Demonstration aufgerufen. Gleichzeitig wird das antikommunistische Feindbild der Grünen als vermeintliche „Ökosozialisten“ aufgebaut. Wer die Monopolpolitik von Energieminister Robert Habeck (Grüne) in der letzten Zeit verfolgt hat – Stichwort: „Strompreise“,, der sieht schnell, dass das mit Sozialismus so viel zu tun hat, wie Karl Marx mit John Maynard Keynes. Aber die Herrschenden lassen in ihrer aktuell für sie so drangvollen Lage, dass sie der Krisenhaftigkeit des imperialistischen Weltsystems nicht mehr Herr werden, bekanntlich keine noch so platte Fake News aus, um die sozialistische Alternative – den Ausweg aus dem kapitalistischen Krisendilemma – schlecht zu reden.
Was hat es mit den angeblich zu hohen Stompreisen auf sich, über die sich die deutschen Industriemonopole beschweren? Hier die Fakten: Im letzten Monat war der Strompreis für die Industrie auf 13 Cent pro Kilowattstunde gedeckelt. SPD und Grüne wollen den Strompreis für energieintensive Industriezweige auf 6 Cent je Kilowattstunde deckeln und finanzieren damit direkt die Profite der Monopole und Großkonzerne. Denen reicht das aber noch nicht: Markus Steilemann, Chef des Kunststoffkonzerns Covestro und Präsident des Verbands der Chemischen Industrie (VCI), fordert einen Strompreis wie in den USA, von rund 2 Cent je Kilowattstunde. Dabei handelt es sich um Subventionierung.⁶ Zum Vergleich: Der Strompreis für private Verbraucher wird bei gerade mal 40 Cent pro Kilowattstunde gedeckelt. So viel zu zu hohen Strompreisen für die Industrie.
Die Arbeiter aller Länder können für ihre existentiellen Interessen nur wirksam eintreten, wenn sie sich von solchen reaktionären Narrativen loslösen. Über alle Ländergrenzen hinweg, gilt es, einen gemeinsamen Kampf gegen die Abwälzung der Krisenlasten auf ihren Rücken zu führen. Aber erst nach der revolutionären Überwindung des kapitalistisch-imperialistischen Systems und mit vereinigten sozialistischen Staaten der Welt kann die Wirtschaft aller Länder im Interesse aller Völker organisiert werden und wird jedes Land auch Verantwortung für jedes andere Land übernehmen.