Proletarischer Internationalismus

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Der 1. Mai in Paris - ein unvergessliches Erlebnis

Mein Mann und ich fahren am 30. April nach Paris. Wir wollen unsere Genossen der UPML (Union Prolétarienne Marxiste-Leniniste) besuchen und sie am 1. Mai unterstützen.

Von Korrespondenten aus Albstadt
Der 1. Mai in Paris - ein unvergessliches Erlebnis
1. Mai 2023 in Paris: Zur Einstimmung wird das Tanzbein geschwungen (rf-foto)

Die UPML ist Mitglied der ICOR. Unsere Genossin holt uns am Gare de l‘est ab. Zuerst geht es mit der Metro nach Saint Denis, eine Arbeiterstadt mit 130 000 Einwohnern. Von der Metro aus müssen wir noch 20 Minuten gehen bis zur Wohnung unserer Genossen. Sie zeigt uns eine Schlagzeile der heutigen Zeitung: „1. Mai: Ein riskanter Tag für die Regierung!“ In der Tat ist dieser 1. Mai historisch, denn zum ersten Mal seit 1936 kämpfen alle zehn Gewerkschaften in Frankreich gemeinsam gegen die Erhöhung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre. Die letzte gemeinsame 1. Mai-Demonstration aller Gewerkschaften war 1936 im Rahmen der Volksfront gegen den Faschismus.

 

Seit Januar 2023 ist jede Woche eine Großdemo in Paris und in weiteren 200 bis 300 Städten Frankreichs, das sind nationale Aktionstage, die von diesem Bündnis der zehn Gewerkschaften organisiert werden. Sie kämpfen gegen die Erhöhung des Rentenalters, aber es geht um mehr: Gegen die Macron-Regierung, ihre Arroganz und ihr diktatorisches Vorgehen und auch gegen Polizeigewalt. Sie wollen die Würde der arbeitenden Menschen verteidigen. Sie fordern auch höhere Löhne. Die Arbeitsbedingungen sind schlecht und die Arbeitszeiten lang.

 

Die Genossin zeigt uns eine Zeitung der CGT, der mächtigsten Gewerkschaft. Darin ein Plakat: „2 Grad Erderwärmung – non! 2 Jahre länger Arbeit – non!“ Ein Artikel hat die Überschrift: „Auf einem toten Planeten gibt es keine Rente mehr.“ Vom Balkon unserer Genossen sieht man Häuserschluchten ohne Ende und in der Ferne den Eiffelturm. Der Ballungsraum Paris mit seinen Banlieues – das sind heute 150 eigenständige Städte – ist mit 15 Millionen Einwohnern der größte in ganz Europa. Der Begriff „banlieues“ kommt von „bannir“ – verbannen. Denn im Mittelalter mussten Menschen, die nicht zum Adel oder zu Zünften gehörten, außerhalb von Paris bleiben. Paris war von einer Stadtmauer umgeben und die Leute mussten Zoll zahlen, wenn sie rein wollten.

 

Wie baut man in einem solch gewaltigen Ballungszentrum eine marxistisch-leninistische Partei auf? Die Genossen konzentrieren sich auf Saint Denis. Sie machen dort Infostände, betreuen Sympatisanten, verteilen Flugblätter, kleben Plakate und machen Veranstaltungen, sie leisten gegenseitige Hilfe und verbrüdern sich mit den Arbeitern. Mit ihren Kontakten gehen sie zu den großen Demos und machen andere gemeinsame Aktivitäten. Die Sache ist nicht einfach, denn in Paris tummeln und konzentrieren sich  sämtliche Parteien und Gruppen mit revolutionärem und kommunistischen Anspruch. „Viele kleine und größere Gruppen, ein totaler Wirrwarr, da muss man sich abgrenzen und sich auf ein Gebiet konzentrieren“, sagen unsere Genossen. Die Erfahrungen in Frankreich zeigen: Eine revolutionäre Arbeiterpartei kann heute auch bei zunehmenden Massenkämpfen nicht allein bei Demonstrationen aufgebaut werden. Dazu ist die Situation zu kompliziert und die Verwirrung durch verschiedenste Strömungen zu groß.

 

Die 1. Mai-Demonstration soll am Place de la Republic um 14 Uhr starten. Als wir kurz vor 12 Uhr dort ankommen, ist der riesige Platz schon voller Mensch und gefüllt mit zahlreichen Ständen, Fahnen, Transparenten. Revolutionäre Organisationen ebenso wie trotzkistische, anarchistische, Migrantenorganisationen, viele aus der Türkei/Kurdistan, Sans-Papiers und viele mehr. Hier wird auf Kochtöpfen geschlagen, dort getrommelt, dort gesungen und getanzt, aus zig Lautsprechern kommt flotte Musik oder werden Parolen gerufen. Ein ohrenbetäubender kämpferischer Lärm. Auf den Straßen um den Platz herum stehen schon die großen Lautsprecherwagen mit ihren riesigen Ballons parat. Wir laufen mit unserer MLPD/ICOR-Flagge herum und verteilen die Flugblätter der UPML, während die Genossen der UPML ihren Pavillon-Stand aufbauen mit Literatur, UPML-Flaggen, Plakaten und Lautsprecheranlage. Nun strömen immer mehr Menschen auf den Platz, es wird eng und immer lauter. Wir bleiben nun beim Stand der UPML, verteilen dort Flugblätter und sprechen zwischendurch am Mikrofon.

 

Wir erklären die Solidarität der Arbeiterklasse in Deutschland und der MLPD mit den Kämpfen in Frankreich und sagen, dass gerade in einer Zeit zunehmender gewerkschaftlicher Kämpfe in Europa und auch in Deutschland viele nach Frankreich schauen, nicht zuletzt wegen dem dort erkämpften Streikrecht. Wir berichten auch von den Kämpfen in Deutschland und machen die 1. Mai-Losung der MLPD bekannt. Im ohrenbetäubenden Lärm diskutieren unsere Genossen der UPML mit Leuten und bekommen Adressen von Interessenten. Kurz nach 14 Uhr beginnen die beiden Demozüge auf zwei parallelen Straßen, die Menschen strömen und strömen und es hört nicht auf, immer wieder die großen Wagen der Gewerkschaften mit ihren riesigen Ballons, mit Parolen, Liedern, Musik, Trommeln, ein rotes und buntes Fahnenmeer, das nicht abreißt. Immer wieder werden Arbeiterlieder und vor allem die Internationale gespielt und gesungen. Die Leute sind fröhlich, freundlich, kämpferisch und jeder spürt die Kraft der vereinten Arbeiterklasse, der Gewerkschaften und der Revolutionäre. Alle Altersklassen sind da und viele junge Leute. Wirklich geschlagene 2,5 Stunden ziehen die Demonstranten an uns vorbei in die zwei Straßen hinein.

 

Man stelle sich das vor: wäre es ein Demozug, bräuchte er fünf Stunden bis er einen Punkt passiert hätte. Dass allein die 1.Mai Demo in Paris drei mal so viele Teilnehmer hatte als alle Maidemos des DGB in Deutschland zusammen, obwohl der gewerkschaftliche Organisationsgrad in Deutschland weit höher ist als in Frankreich, zeigt, dass die politische und gesellschaftliche Krise in Frankreich eine andere Qualität hat. Aber auch das ist einen Gedanken wert: Kann man sich vorstellen. dass hier eine rechte Gewerkschaftsführung ein Standverbot von Kommunisten durchsetzt oder überhaupt nur anstrebt? Oder jemand anderer den Ruf ausstößt: "Keine Parteifahnen"? Kann man sich nicht vorstellen. Die unterschiedlichen Teilnehmerzahlen am 1. Mai in Frankreich und Deutschland hängen ganz sicher auch damit zusammen.

 

Als wir uns kurz vor 17 Uhr von unseren Genossen herzlich verabschieden, ziehen gerade die letzten Demonstranten in den gewaltigen Demozug ein. Diesen 1. Mai in Paris werden wir nicht vergessen.

 

Vive UPML! Vive la solidarité international!