Buchtipp

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Rudolf Braune: „Das Mädchen an der Orga-Privat“

19 Jahre jung, raus aus familiärer und kleinstädtischer Enge, hin nach Berlin. Erste Arbeit, erste Liebe, erster Abschied. Was sich wie Werbung für eine moderne Streamingserie für Jugendliche anhört, ist die Handlung eines kleinen kommunistischen Romans aus den sogenannten "Goldenen Zwanzigern".

Korrespondenz aus Berlin

Erna Halbe, Mädchen aus Sachsen-Anhalt, findet Unterkunft in Friedrichshain und Arbeit in einem Schreibbüro im Prenzlauer Berg (die titelgebende Orga-Privat ist eine alte Schreibmaschine). Intelligent, fleißig und nicht im geringsten duckmäuserisch gewinnt sie rasch das Vertrauen der anderen Mädchen, die auf die Provinzlerin anfänglich spöttisch herabgesehen haben. Gemeinsam mit ihnen nimmt sie den Kampf gegen die sexistische Ausbeutung durch die Chefs auf. Da dieser Kampf noch ganz spontan ist und keine Verbindung zu den Gewerkschaften oder gar der kommunistischen Partei hat (deren Wirken aber deutlich zu erahnen ist), hat er keine Chance. Erna Halbe wird als Rädelsfüherin gefeuert. Aber sie resigniert deswegen nicht, sie wird, so legt es der Erzähler nahe, engere Verbindung zum klassenbewussten Proletariat aufnehmen und ihren Platz in seinen Reihen finden.

 

Rudolf Braune, der Autor dieses Romans, ist kaum älter als seine Heldin. Mit gerade 25 Jahren ist er im Sommer 1932 im Rhein ertrunken. In seinem schmalen Werk, aus dem noch unbedingt der Roman "Junge Leute in der Stadt" herauszuheben ist, hat er sich besonders dem weiblichen Angestelltenproletariat in Kaufhäusern und Schreibbüros gewidmet, das damals entstanden ist. An Erna Halbes Seite geht er durch das proletarische Berlin der Mietskasernen und Hinterhöfe, das er knapp, aber genau zeichnet. Ebenso präzise erfasst sind die Mädchen des Büros, ihre Umgebung und ihre Gegner, die kleinen kapitalistischen Bedränger in der Direktion, die ihrerseits vor den Kapitalisten in den Konzernzentralen buckeln müssen. Und die ganze Geschichte ist in einer lebendigen, beschwingten Sprache geschrieben, die auch heute noch jugendlich und elegant wirkt.

 

Rudolf Braune: „Das Mädchen an der Orga-Privat“, Jaron Verlag, erschienen Berlin 2022, 175 Seiten, 14 Euro, ISBN 978-3-89773-971-0