Faires Verfahren wird verweigert
Kobanê-Prozess gegen 108 Angeklagte - Vorwand für drohendes HDP-Verbot
Die Sprecher für auswärtige Angelegenheiten der Demokratischen Partei der Völker (HDP), Feleknas Uca und Hişyar Özsoy, haben in einer schriftlichen Stellungnahme über den aktuellen Stand im sogenannten „Kobanê-Verfahren“ informiert. Das Nachrichtenportal ANF berichtet darüber.
Im Kobanê-Verfahren wurden im Jahr 2020 108 Personen angeklagt, darunter die ehemaligen Ko-Vorsitzenden der HDP, Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ, die derzeitige Ko-Vorsitzende Pervin Buldan, mehrere derzeitige und ehemalige HDP-Abgeordnete und Bürgermeisterinnen und Bürgermeiste sowie alle Mitglieder des zentralen HDP-Vorstands von 2014. Dieses Verfahren wurde als Gegenmaßnahme der türkischen Regierung nur zwei Wochen nach dem endgültigen Urteil der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eingeleitet, in dem die sofortige Freilassung von Selahattin Demirtaş gefordert wurde.
Die Anklage im Kobanê-Verfahren stützt sich auf eine von der HDP am 6. Oktober 2014 gepostete Twitter-Nachricht. Darin wurde zu demokratischen Protesten in Solidarität mit der Bevölkerung von Kobanê in Nordsyrien, die gegen die Angriffe des IS kämpfte, sowie gegen das Embargo der Türkei gegen die kurdische Stadt aufgerufen: "Wir rufen unsere Völker dazu auf, auf die Straße zu gehen und diejenigen zu unterstützen, die bereits auf der Straße sind, um gegen die Angriffe des IS und gegen das Embargo der AKP-Regierung zu protestieren.” Bei diesen Protesten kamen um die 50 Menschen ums Leben, die meisten von ihnen waren Demonstranten. Polizei und Militär der Türkei, paramilitärische Verbände, die islamistisch-faschistische Hizbullah waren an den Angriffen auf die Proteste beteiligt.
Laut einem Bericht des Menschenrechtsvereins IHD wurden 682 Menschen bei den Protesten verletzt. Mindestens 323 Personen wurden verhaftet. Die Regierung macht die HDP für die Vorfälle verantwortlich. Die HDP-Politikerinnen und -politiker weisen darauf hin, dass die erhobenen Anschuldigungen bereits vom Europäischen Gericht für Menschenrechte (EGMR) widerlegt sind.
Die 24. Verhandlung in dem Prozess fand am 14. April vor der 22. Kammer des schweren Strafgerichts in Ankara statt. Bei dieser Verhandlung forderte das Gericht den Staatsanwalt auf, seine abschließende Stellungnahme vorzulegen, bevor die Anhörungen der angeklagten Politikerinnen und Politiker abgeschlossen waren. Als Reaktion darauf verließen die Angeklagten zusammen mit ihren Anwältinnen und Anwälten den Gerichtssaal. Der Staatsanwalt verlas acht Stunden lang laut Ausschnitte aus seinem 5.000 Seiten starken Plädoyer gegen die Angeklagten. Der Staatsanwalt hat für alle angeklagten Politikerinnen und Politiker, einschließlich der ehemaligen Ko-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ, wegen ihrer mutmaßlichen Beteiligung an den Kobanê-Protesten im Jahr 2014 eine lebenslange Haftstrafe in verschärfter Form gefordert. Die nächste Verhandlung ist für den 3. Juli 2023 anberaumt.
Die MLPD erklärt ihre volle Solidarität mit den Angeklagten und mit der fortschrittlichen HDP gegen das angedrohte Verbot. Sie wird weiter über den Prozess berichten und in Deutschland die Solidarität mit organisieren. Auch die Linkspartei und Amnesty International wenden sich gegen das angedrohte Verbotsverfahren.