Schon am Vormittag 800 Standorte beteiligt
Gewerkschaften zeigen, was sie können: Jetzt Urabstimmung und Vollstreik!
Am heutigen Streiktag im Verkehrsbereich beteiligten sich nach Angaben der EVG schon am Vormittag bundesweit Gewerkschaftsmitglieder an mehr als 800 Standorten. Der Fernverkehr sei "vollständig zum Erliegen gekommen", teilte die EVG in Frankfurt am Main mit. Auch der Regionalverkehr auf der Schiene und der Busverkehr seien massiv beeinträchtigt. In mehreren Bundesländern wird der öffentliche Nahverkehr bestreikt.
Rote Fahne News berichtete um 14 Uhr unter der Überschrift "Streik im bundesweiten Verkehrswesen: Beste Stimmung - große Wirkung - kämpferische positive Ausstrahlung". Monopolverbände, bürgerliche Politiker und bürgerliche Medien sind nervös und gleichzeitig vorsichtig. Die Präsidentin der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände und Oberbürgermeisterin von Gelsenkirchen, Karin Welge, gibt sich verblüfft: "Wir haben uns im vergangenen Jahr schon darauf verständigt, in drei Verhandlungsrunden zueinander zu kommen". Deswegen erstaune diese Massivität der Streiks vor der dritten Verhandlungsrunde schon deutlich.
Tatsächlich ist der selbstbewusste und kampfstarke Streik, zu dem EVG und ver.di gemeinsam aufrufen, etwas Neues. Schon in den bisherigen Warnstreiks in dieser Tarifrunde machten viele Kolleginnen und Kollegen deutlich, dass sie das Ritual "Man trifft sich in der Mitte" nicht mehr wollen. Das gewerkschaftliche Bewusstsein ist auf breiter Front erwacht und hat eine neue Qualität erreicht. Die Kämpfe nehmen zunehmend politische Züge an. Die Ausstrahlung der Kämpfe in Frankreich und in weiteren europäischen Ländern tut das ihre dazu. Und heute strahlt der große Streiktag in Deutschland nach Frankreich, Großbritannien und Griechenland aus. Ein europaweiter gemeinsamer Streik- und Aktionstag liegt in der Luft!
Die letzten gemeinsamen Streiks mehrerer Gewerkschaften gab es Anfang der 1990er-Jahre im Nah- und Fernverkehr sowie an Flughäfen. Das waren Flächenstreiks. Besorgt fragt ein Kommentator der Süddeutschen Zeitung: "Steht Deutschland - im Vergleich mit anderen europäischen Ländern, allen voran Frankreich, nicht gerade als 'streikfreudig' bekannt - in Sachen Streikkultur vor einem radikalen Wandel?" Weil die Wirtschaftsforschungsinstitute in den nächsten Jahren eine positive Entwicklung und Normalisierung vorhersagen, sei damit aber nicht zu rechnen. Es sei denn, es passiere wieder etwas Außergewöhnliches.
Die Häufung gesellschaftlicher Krisen ist heute aber nicht mehr das Außergewöhnliche, eine allgemeine Krisenhaftigkeit hat sich des imperialistischen Weltsystems bemächtigt. Da kann und wird es nicht bei Warnstreiks und Kämpfen um ökonomische Forderungen bleiben. Nicht umsonst findet die Forderung nach einem allseitigen und vollständigen gesetzlichen Streikrecht in diesen Wochen einen stärkeren Widerhall als lange Zeit.
„Zusammen kämpfen und so die Stärke ausspielen - das müsste der Normalfall sein“: In allen Berichten und Korrespondenzen, die Rote Fahne News erhalten hat, spiegelt sich das gewachsene Selbstvertrauen und der Stolz der Gewerkschafter darüber aus, heute den öffentlichen Verkehr weitgehend lahm gelegt zu haben.
Voller Stolz berichten Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Bereichen, dass die Betriebe stillstehen: So der Hamburger Flughafen, aber auch Teile des Hafens, keine Züge fahren. Auffallend war, dass Gewerkschafter aus Branchen sich an der Streikkundgebung beteiligten, die selbst gar nicht im Streik oder einer Tarifrunde stehen. So zum Beispiel Hamburger Müllwerker.
Eine beliebte Streikparole der Eisenbahner heißt: „Was ist vernünftig – Sechshundertfünfzig!“ Selbstbewusst und als Antwort auf die Stimmungsmache, die 12,5-Prozentforderung der EVG sei überzogen und unvernünftig, wird hier der Mindestbetrag von 650 Euro verteidigt. Diese soziale Komponente ist insbesondere den vielen schlecht bezahlten Beschäftigten sehr wichtig. So heißt es in einer Korrespondenz aus Lübeck: „Ein Arbeiter berichtete, dass er zusammen mit nur zwei Kollegen für das Freihalten des Fahrweges in Ostholstein zuständig ist. Sie müssen sich durch Brombeergestrüpp kämpfen und auf kranke Bäume achten, die auf die Gleise stürzen könnten. Für diese schwere und verantwortungsvolle Arbeit bekommen sie gerade den Mindestlohn von 12 Euro."
Mit dem Tarif-Aktuell-3 und der Überschrift „Es riecht nach Generalstreik“ griff die MLPD das gewachsene gewerkschaftliche Bewusstsein der Kolleginnen und Kollegen auf. Große Zustimmung dazu, dass es keinen faulen Kompromiss bei den Verhandlungen geben darf, sondern jetzt zur Urabstimmung und unbefristeten Flächenstreik übergegangen werden muss.
In dem Zusammenhang gibt es auch Kritiken, dass die ver.di-Führung die Streikenden bei den Kölner Verkehrsbetrieben aufgefordert hat, zu Hause zu bleiben. Es ist aber wichtig, dass die Streikenden zusammenkommen und die weiteren Schritte in ihrem Kampf organisieren. Deshalb wurde bei der SSB in Stuttgart auf Initiative von aktiven Vertrauensleuten und ver.di-Mitgliedern ein Streik-Frühstück im Depot organisiert.
Das Flugblatt der MLPD macht aber deutlich, dass die Angriffe der Monopolverbände auf das Streikrecht ihre Angst vor Verschärfung und Höherentwicklung der Kämpfe zum Ausdruck bringt. Sie wollen Streiks gegen die Regierung wie in Frankreich oder gegen Waffentransporte wie in Italien und Griechenland verhindern.
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