Verheerende Umweltkatastrophe

Verheerende Umweltkatastrophe

Oderkatastrophe - Vorsatz und Vertuschung

Ein halbes Jahr ist seit der verheerenden Umweltkatastrophe im August 2022 in der Oder vergangen. Nun steht der ökologische Schaden annähernd in Zahlen fest. Hauptverantwortlich dafür sollen polnische Steinkohle-Bergbau-Unternehmen sein.

Von Andreas Förster
Oderkatastrophe - Vorsatz und Vertuschung
Förderturm des Kuperbergwerks Rudna in Polkowice (Foto: Greenpeace)

Anfang März 2023 veröffentlichte Greenpeace-Polen im Zusammenhang mit dem massiven Fischsterben eine Studie zur Wasserqualität bestimmter polnischer Flüsse unter der Überschrift: "Die Versalzung von Polens zwei Hauptflüssen durch Bergwerksunternehmen". (1) Diese Studie behandelt die Wasserqualität der Oder und der Weichsel im Bereich der Steinkohle-Industrie. Damit rückten erstmals zwei große Unternehmen in die Öffentlichkeit, die haftbar für den massiven Schaden gemacht werden könnten.

Warum eine Studie über zwei Flüsse?

Der polnische Steinkohle-Bergbau hat lange Tradition und Polen ist mit einer jährlichen Kohleproduktion von 55 Millionen Tonnen zur Zeit der größte Kohleproduzent in Europa, wenn man Russland auf Grund der aktuellen Lage als wichtigen eurasischen Handelspartner ausklammert. Dazu werden rund 73 % des erzeugten polnischen Nettostroms durch das Verbrennen von Stein- und Braunkohle erzielt. Gleichzeitig ist Polen einer der wichtigsten Kohleexporteure im europäischen Raum. Unter anderem durch die räumliche Nähe bietet sich Polen der deutschen Industrie als idealer Partner an. Davon profitiert die polnische Industrie und bekommt die Möglichkeit vorübergehend Maximalprofite zu erwirtschaften.

 

In der schlesischen „Hauptstadt“ Katowice hat der größte europäische Steinkohlekonzern Polska Grupa Górnicza (PGG) seinen Sitz. Nach eigener Auskunft verfügt er über das gröβte Rohstoff- sowie Förderpotential von Steinkohle in der Europäischen Union. Und die Minen dieses Staatskonzerns befinden sich alle nicht unweit der Oder und der Weichsel. Der andere als verantwortlich gesehene Konzern ist die Jastrzębska Spółka Węglowa (JSW),  ein börsennotierter polnischer Kokskohleproduzent mit Sitz in Jastrzębie-Zdrój in der Woiwodschaft Schlesien.

 

Laut der Greenpeace-Analyse hat ein Team an drei Zuflüssen zur Oder und sechs Zuflüssen zur Weichsel 57 Wasserproben entnommen. Das Labor-Ergebnis zeigte eine um ein vielfaches höhere Konzentration von Salzen als laut den polnischen Klassifikations-Stufen für Gewässer zulässig sind. Sie ergaben aber auch Angaben zu Stoffmengen, die auf Grund der nicht lange vorher veränderten Richtlinien gar nicht mehr erfasst wurden.  Zu diesen Stoffen zählen Chloride und Sulfate. Dazu führt der Bericht aus, dass 2019 an der Grenze zwischen den Provinzen Schlesien und Kleinpolen ein um ein zwanzigfaches höherer Salzgehalt als nach Klasse II zulässig festgestellt wurde. Dieses Problem wurde dahingehend gelöst, dass Chloride und Sulfate von der Liste der Wasserqualitäts-Indizies entfernt wurde. Als Resultat dessen gibt es keinerlei Limit für den Chlorid- und Sulfatgehalt und deren Konzentration wird nirgendwo erfasst. Der einzige Parameter für die Bestimmung des Salzgehaltes wird bestimmt durch die spezifische Elektrolyt-Leitfähigkeit bei 20°C. [1]

Grubenwasserreinigung? Fehlanzeige

Aber bei Chloriden und Sulfaten hört es nicht auf. Nahezu alle Elemente des Periodensystems und die Hauptionen des Wassers kommen in unterschiedlichsten Konzentrationen im Grubenwasser vor. Am häufigsten finden sich Sulfat, Eisen, Mangan, Chlorid und Natrium. (3) In der Regel sollten diese über eine Grubenwasserreinigung aus dem Grubenwasser entfernt werden, bevor sie in Gewässer eingeleitet werden können. Aber aus Kostengründen wurde hier mutwillig darauf verzichtet. Die höchsten Salzkonzentrationen dokumentierte Greenpeace in den Oderzuflüssen Klodnica, Bierawka und Bielszowicki (Region westlich von Katowice). Hierbei ergab sich ein eindeutiges Bild: Während oberhalb, also flussaufwärts, die Salzgehalte sehr niedrig lagen, stiegen die Salzgehalte ab den Einleitungsstellen der Minenbetriebe massiv an. Die Salzkonzentration war an mehreren Stellen sogar höher als in Meerwasser!

 

Zumindest die JSW gab am Wochenende nach der Veröffentlichung erstmals zu, ununterbrochen Salzwasser aus den oberschlesischen Bergbaugruben in mehrere Zuflüsse der Oder eingeleitet zu haben. Diese Praxis sei jedoch völlig legal, versicherte das Unternehmen. (4) Die PGG hingegen schweigt bisher auf diesbezügliche Nachfragen. Wie wir gesehen haben, hängt Polens Energieversorgung zu 73 Prozent von Kohle ab. Polen exportiert aber auch einen Großteil seiner eigenen Kohle nach Deutschland. Somit trägt die deutsche Energiepolitik durch ihr Festhalten an der als "Brückentechnologie" gehandelten Steinkohle eine Mitschuld an dem Umweltverbrechen in der Oder.

Forschungsprojekt zu den Folgen des Oder-Fischsterbens

Wie ein Hohn erscheint es dann, wenn man erfährt, dass das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) mit Sitz in Potsdam mehr als 4,8 Millionen Euro für ein Forschungsprojekt zu den Folgen des Oder-Fischsterbens erhalten wird. Dies teilte das Bundesumweltministerium in Berlin am 14.02.023 mit,  Das scheint viel Geld zu sein – aber die Zielsetzung ist mehr als bescheiden. Zu dem Forschungsvorhaben äußerte sich Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) folgendermaßen: „Unser Ziel ist es, im Schulterschluss mit den Ländern Frühwarnsysteme zu entwickeln und zielgerichtete Maßnahmen abzuleiten, die die Widerstandsfähigkeit der Oder und ihrer Auen verbessern.“ (5)

 

Von wirklicher Renaturierung und einem Stopp giftiger Einleitungen ist da keine Rede. Die entscheidenden Faktoren für das Fischsterben sind schon lange bekannt und durch den Greenpeace-Bericht nur noch erhärtet worden. Soll die Installation dieses  Frühwarnsystems etwa ganz pragmatisch dazu dienen, gezielt die Algenblüte zu bekämpfen, anstatt die Ursachen, die überhaupt erst zu ihrer explosionsartigen Entstehung gesorgt haben?

 

Da laut Schätzungen der Bestand an Fischen um ca. 50 Prozent und der an Muscheln und anderen Kleinlebewesen um ca. 80 Prozent gesunken ist, lebt nicht mehr viel in der Oder, was vergiftet werden könnte. Wozu also ein Frühwarnsystem? Die Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz Sabine Riewenherm hebt immerhin hervor: „Die Oderkatastrophe hat uns erneut vor Augen geführt, wie wichtig es ist, die Reinhaltung und Renaturierung  der Flüsse und ihrer Auen in Deutschland voranzutreiben.“ (6) Aber will sie nur auf deutscher Seite agieren und was schlägt sie praktisch vor? Dazu kommt, dass es im ersten Jahr der Forschung vor allem um eine Schadensbilanz gehen soll; das bedeutet dann, dass Fakten zusammengetragen werden, anstatt sofort zu handeln. Aber Fakten gibt es ausreichend, auch um die Täter dingfest zu machen:

Fassen wir einige Fakten zusammen

  • Es ist schon lange bekannt, dass Grubenwasser weltweit fast ausschließlich und aus Kostengründen ungeklärt in die Flüsse geleitet wird.
  • Es gilt als bewiesen, dass die Goldalge (Prymnesium parvum) durch ihre Blüte für das massive Fischsterben gesorgt hat.
  • Es steht fest, dass diese Alge durch die über die Jahre zugenommene Versalzung der Oder optimale Bedingungen vorfand, wobei noch nicht geklärt ist, wie sie vom Brackwasser an der Mündung in die Ostsee an diesen flussaufwärts sehr hoch gelegenen Punkt gelangen konnte.
  • Es gibt keinen Zweifel darüber, dass die schon zu normalen Zeiten festgelegten Grenzwerte für Einleitungen von Abwässern viel zu hoch waren, und diese den sich extrem veränderten Bedingungen durch das Niedrigwasser infolge der Dürre nicht massiv nach unten korrigiert wurden, bis hin zu vollständigen Verboten.  
  • Es gilt davon auszugehen, dass in diesem Sommer auch der Weichsel oder einem anderen polnischen Fluss das selbe Schicksal wie der Oder droht.

Straflosigkeit kann nicht hingenommen werden

Schon im September, kurz nach der Jahrhundertkatastrophe hatte der Generaldirektor der polnischen Umweltschutzbehörde Andrzej Szweda-Lewandowski erklärt, „dass man keinen Verantwortlichen oder strafrechtlich Schuldigen auf polnischer Seite hatte ausfindig machen  können.“ (7) Das ist aber auch nicht verwunderlich. Eine Krähe hackt bekanntlich der anderen kein Auge aus; sind doch Wody Polskie der staatliche Wasserkonzern und sowohl die PGG als auch die JSW, quasi miteinander verschwägert. „Keiner der kontrollierten Betriebe habe über der Norm liegende Abwässer eingeleitet. … Für alle kontrollierten Einleitungen gab es wasserrechtliche Genehmigungen.“ (8)

 

Polen ist bereits ein neuimperialistisches Land. Diese und andere Fakten sprechen dafür eine eindeutige Sprache. Und für das Kräftemessen mit den anderen Imperialisten beginnt Polen Mensch und Natur noch stärker für das Erreichen seiner Ziele auszubeuten. Vorsatz ist selbst im bürgerlichen Recht und im staatsmonopolistischen Kapitalismus ein Straftatbestand. Aber hier werden die Spuren so verwischt, dass eine Straflosigkeit quasi vorher zu sehen ist. Das kann nicht hingenommen werden! Die Bevölkerung an der Oder, die Fischer, deren Existenzgrundlage zerstört wird, die Menschen, die vom Tourismus an der Oder leben, die Bergarbeiter - sie alle können sich zu einem länderübergreifenden Umweltkampf zusammenschließen und die Bestrafung der Verantwortlichen und die Renaturierung der Oder durchsetzen.