Die Krise der bürgerlichen Naturwissenschaft
Gedanken beim Studium
Eine Leserin aus Österreich, die gerade das neue Buch von Stefan Engel „Die Krise der bürgerlichen Wissenschaft“ studiert, hat zu dem darin behandelten Thema Desaster unnützer Großprojekte ihre Überlegungen aufgeschrieben und an "Rote Fahne News" geschickt.
Ich studiere gerade das Buch „Die Krise der bürgerlichen Wissenschaft“ und musste beim Lesen des Satzes: „Seine (Anm.: gemeint ist das bürgerliche Ingenieurwesen) tiefe Krise äußert sich heute vor allem in dem Desaster unnützer Großprojekte und einem allgemeinen Raubbau an der natürlichen Umwelt" (S. 10) an einen Artikel denken, den ein befreundeter Architektur-Journalist vor ein paar Tagen in der Wiener Zeitung in der Rubrik "Kommentar der Anderen" veröffentlicht hat.
In diesem Artikel schreibt er über die futuristische Wüstenstadt The Line, die gerade im Zuge des Mega-Bauvorhabens Neom im Nordwesten Saudi-Arabiens entsteht. Diese schnurgerade 170 km lange und 500 Meter hohe komplett verspiegelte Wüstenstadt soll 500 Milliarden US-Dollar kosten und wird als klimaneutrales Bauprojekt und als Wohnort für 9 Millionen Menschen angepriesen. Die Stadt wird ohne Autos auskommen und niemand, der dort wohnt und arbeitet, muss sie jemals verlassen. Gruselige Vorstellung oder schöne Utopie?
Der Energieverbrauch soll zu 100% aus erneuerbaren Energien gedeckt werden. Eine Hochgeschwindigkeits-U-Bahn wird die Menschen in nur 20 Minuten vom einen zum anderen Ende der Stadt bringen. Die Straßen sind den Fußgängern und den Radfahrern vorbehalten. Es ist also technisch möglich, wovon wir hier in manchen Großstädten träumen. Mit diesem Mega-Projekt möchte sich Saudi-Arabien vom Ölgeschäft unabhängig machen, es soll ausländische Investoren ins Land holen, so die offiziellen Statements.
Ein Absatz auf Seite 101 von "Die Krise der bürgerlichen Naturwissenschaft" bringt auf den Punkt, wie so ein Mega-Bauprojekt überhaupt realisiert werden kann: „Dieser Dünkel (Anm: gemeint ist ein von abgrundtiefem Idealismus und Metaphysik geprägter Architekten- und Ingenieursdünkel) folgt der selbstverliebten Illusion, sich die Welt nach den eigenen genialen Entwürfen unterwerfen zu können - losgelöst von ihren objektiven Gesetzmäßigkeiten, den realistischen Bedingungen des Projektes und den Interessen von Mensch und Natur. Und das, ohne irgendeinen gesellschaftlichen Nutzen nachweisen zu müssen.“
In dem Artikel der Wiener Zeitung ist zu lesen: „Dieses Gebiet - so groß wie Albanien - wird außerhalb des juristischen Systems von Saudi-Arabien liegen, die Regeln werden dort von den Investoren gemacht. Es beruht auf einer Initiative des Kronprinzen Mohammad bin Salman.“ Ich sehe in dieser "Initiative" eher einen unkontrollierten Größenwahn, geleitet vom deutschen Manager Klaus Kleinfeld als Verwaltungsratschef.
Schon jetzt kann man auf Drohnenaufnahmen die LKW-Kolonnen sehen, die sich durch die Wüste ziehen und unvorstellbare Erdmassen hin- und herschieben. Wenn die Wüste mit einer U-Bahn untertunnelt wird, Erdmassen verschoben werden, das ganze Baumaterial in die Wüste transportiert wird und zigtausende Bauarbeiter bis mindestens 2030 ausgebeutet werden, ist die "Nachhaltigkeit" wirklich höchst fragwürdig!
Für dieses Projekt mussten 2020 schon 20.000 Beduinen ihre Heimat verlassen und das Gebiet wurde großflächig zwangsgeräumt. Kritiker dieses Projektes sind inhaftiert oder erschossen worden. Wo bleibt der internationale Aufschrei? Stattdessen investieren Unternehmen auf der ganzen Welt in dieses Projekt.
Ich bin noch nicht weit gekommen mit meinem Studium, aber der direkte Bezug zur Realität macht das Lesen und Studieren spannend und motiviert mich, dranzubleiben. Die Wüste ist sehr weit weg und doch ist sie so nah, vor allem durch die Umweltzerstörung, die von dort wieder Auswirkungen auf das ganze Ökosystem haben wird.
Im Sozialismus, so heißt es auf Seite 109 in "Die Krise der bürgerlichen Naturwissenschaft", würden alle Seiten der Probleme unter der Maßgabe des gesellschaftlichen Nutzens, unter Berücksichtigung aller praktischen Gegebenheiten, beachtet und wissenschaftlich auf dem bis dahin höchsten Erkenntnisstand und in engem Austausch mit den Arbeitern untersucht werden.
Ich studiere jetzt weiter ...