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„Sem amnestia“ - Proteste gegen faschistischen Sturm auf Symbole der bürgerlichen Demokratie

„Sem amnestia“ - keine Amnestie, das war die Hauptlosung der landesweiten Proteste am 9. Januar 2023 nach dem faschistischen Sturm am Vortag, bei dem Anhänger Bolsonaros in Kongress, Präsidentensitz und höchstes Gericht eingedrungen waren und dort randaliert hatten.

Von Korrespondenten
„Sem amnestia“ - Proteste gegen faschistischen Sturm auf Symbole der bürgerlichen Demokratie
Ein Bild aus Brasiliens Hauptstadt Brasilia (foto: DlauriniJr (CC BY-SA 4.0))

Zu den Protesten aufgerufen hatte ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, revolutionären und  bürgerlich-demokratischen Parteien, Studierendenverbänden und weiteren Organisationen. Die größte Demonstration mit 60.000 Teilnehmern fand in Sao Paulo statt, einem Zentrum der Industriearbeiter. Dort traten auch die vier größten Fußballmannschaften Brasiliens auf.

 

Den deutschen Medien sind die Proteste kaum ein Wort wert, während breit über die Aktionen der Bolsonaro-Anhänger berichtet wird. Die Demonstranten fordern, die Teilnehmer der Aktionen, die  Finanziers und Hintermänner im Staatsapparat zur Verantwortung zu ziehen. Einigkeit besteht in den Protesten im Kampf gegen den Faschismus, zugleich auch viel Verwirrung. Teilnehmer mit Fahnen mit Hammer und Sichel marschierten neben Teilnehmern in Lula-T-Shirts.

 

Manche Medien tun die faschistischen Attacken als reinen Theaterdonner ab. Tatsächlich rotteten sich seit der Wahlniederlage Bolsonaros landesweit Bolsonaro-Anhänger in Camps zusammen und forderten immer wieder ein Eingreifen des Militärs. Die Erstürmung der Regierungsgebäude folgt teils dem Drehbuch des Sturms auf das amerikanische Kapitol 2021, angezettelt von Donald Trump – dem großen Idol des brasilianischen Faschisten Bolsonaro. Gezielt wurden Bolsonaro-Anhänger mit Bussen nach Brasília gebracht, sammelten sich und drangen teilweise bewaffnet, mit wenig Gegenwehr, in die Gebäude ein. Dort wüteten sie über Stunden. Auch wenn Bolsonaro nicht offen als Drahtzieher auftrat, gab es bei seinen Anhängern keine Zweifel über seine Absichten. Nicht restlos klar ist, ob das ein ernsthafter Putschversuch war oder der Aufbau einer faschistischen Drohkulisse. Brandgefährlich ist es allemal! Insbesondere deshalb, weil es eine internationale faschistische Tendenz gibt, in immer mehr Ländern Faschisten in die Regierungen integriert werden, wie aktuell in Schweden, Israel oder Italien.

 

Es zeigt sich, dass mit der Amtsübernahme des neu gewählten Präsident Lula am 1.1.23 die gesellschaftliche Polarisierung im größten Land Südamerikas keineswegs abgemildert ist. Der Regierungswechsel bedeutet nicht, dass auch der Machtapparat ausgewechselt worden wäre. Bolsonaro hat in seiner Amtszeit systematisch Posten mit ehemaligen Militärs besetzt. Die Politiker des Bolsonaro-Lagers in Parlament und Regionalregierungen vertreten Teile des nationalen und Finanzkapitals in Brasilien. Lula kann sich momentan auf andere Teile des  Machtapparats stützen. Dazu gehört der Oberste Gerichtshof, der auch die Fake-News von Bolsonaro über Wahlfälschungen widerlegt hatte.  Hinter Lula stehen gegenwärtig die führenden Kreise des internationalen Finanzkapitals, darunter der Bergbaukonzern Vale. Mit Lula ist eine Veränderung der Regierungsmethoden hin zu einer bürgerlich-demokratische Methode verbunden – aber keineswegs wird die Zielsetzung aufgegeben, Brasilien als neuimperialistische Macht voranzubringen.

 

US-Präsident Biden verurteilte die Stürmung der Gebäude als „ungeheuerlich“ und forderte zur Unterstützung der „demokratischen Institutionen“ auf. Die Tagesschau berichtet am 9.1.: „Nach Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier reisen demnächst offenbar weitere hochrangige deutsche Politiker nach Brasilien. Sie wollen auf der Weltbühne Allianzen schmieden." Diese Pläne folgen der Hoffnung, Brasilien in den NATO-Block gegen das neuimperialistische Russland einzubeziehen.

 

Präsident Lula bezeichnete die Akteure als „Nazis“ und „Faschisten“ und versprach, Hintermänner und Finanziers aufzuspüren. Die kämpferische Gewerkschaft Conlutas warnt jedoch zurecht, sich für den antifaschistischen Kampf auf Lula zu verlassen: „Man kann weder vertrauen, dass sie mit letzter Konsequenz die Verhaftung, Bestrafung und Enteignung der Putschisten betreiben werden, die diese Aktionen finanzieren, ihnen ein Sprachrohr geben oder an ihnen teilnehmen. … Nur die Arbeiterklasse kann den tatsächlichen Sieg über die Ultrarechten garantieren.“ Dieser Kampf kann aber nicht das Ziel haben, die bürgerliche Demokratie zu unterstützen, die nur eine andere Herrschaftsform des Monopolkapitals ist. Er muss mit sozialistischer Perspektive geführt werden, wozu der Aufbau einer starken revolutionären Partei zentral ist.