„Tarifverträge sind immer Kompromisse“?

„Tarifverträge sind immer Kompromisse“?

Wie Clausewitz den Kompromiss der Metalltarifrunde beurteilt hätte

„Tarifverträge sind immer Kompromisse, keine Seite darf sich als klarer Gewinner und Verlierer fühlen.“ Diese Lehre zog die ver.di-Zeitung „publik“ 7-2022 unlängst aus dem legendären ÖTV-Streik 1974. Was für eine Botschaft gerade in der heißen Phase der Metalltarifrunde!

Von kw

Der inzwischen von allen Tarifbezirken übernommene Tarifabschluss in Baden-Württemberg hat diese These scheinbar erneut bestätigt. Gesamtmetallchef Stefan Wolf: „Wir haben die Forderung von 8 Prozent deutlich halbiert.“ IG-Metall-Bezirksleiter Roman Zitzelsberger: „Das Tarifergebnis ist ein guter Kompromiss und tut an manchen Stellen weh.“

 

Es ist aber eine Folge der lange gepflegten Sozialpartnerschaft, dass es schon fast wie eine Gesetzmäßigkeit angesehen wird, dass am Ende weniger (4,2 Prozent tabellenwirksam bei einer Laufzeit von 24 Monaten) herauskommt als gefordert wurde (8 Prozent).

 

Tarifauseinandersetzungen folgen den Gesetzen des Krieges. Diese wurden erstmals von dem preußischen General Carl von Clausewitz (1780-1831) in seinem Werk „Vom Kriege“ wissenschaftlich formuliert. Sie sind inzwischen allgemein anerkannt („Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“) und nicht nur Pflichtlektüre von Generälen. Das internationale Monopolberatungsinstitut Boston Consulting Group (BCG) hat den Konzernleitern für „strategische Entscheidungen unter Bedingungen ökonomischer Ungewissheit“ eine komprimierte Textsammlung „Clausewitz - Strategie denken“ (dtv 2001) als Pflichtlektüre an die Hand gegeben. Ein Standardwerk natürlich auch für die Tarifstrategen der Gewerkschaften.

 

Nach Clausewitz endet der Kampf erst, wenn es einen Sieger gibt (volle Durchsetzung der 8 Prozent) oder wenn die Kräfte erschöpft sind. Keines von beidem war der Fall. Die Forderungen wurden tatsächlich halbiert. Und die Kräfte waren alles andere als erschöpft, sondern nahmen gerade Fahrt auf. Clausewitz bezeichnet das „Moment der Überraschung“ als „Mittel der Überlegenheit“. Bereits die Wucht der ersten Warnstreiks hat Gesamtmetall zweifellos überrascht, in Nöte gebracht und zum raschen Zugeständnis bewogen. Dem leistete die rechte Gewerkschaftsführung mit dem abrupten Abbruch der Kämpfe Schützenhilfe, statt die Überlegenheit der Millionen Metaller durch den Einsatz der vollen gewerkschaftlichen Kampfkraft auszuspielen.

 

„Streik ist keine Bitte – Streik ist eine Kampfansage“ brachte ein Transparent die Entschlossenheit der Kollegen zum Ausdruck. Sie waren bereit dazu, von der Kampfansage zum Vollstreik überzugehen. Die Gewerkschaftsführung verfolgte dagegen von vorne herein das Ziel, begrenzte Warnstreiks als „eine drohende Stellung zur Unterstützung der Unterhandlungen oder ein(en) mäßigen Versuch, sich in einen kleinen Vorteil zu setzen … oder eine unangenehme Bundespflicht, die man so karg als möglich erfüllt“ einzusetzen (Clausewitz, Vom Kriege, S. 205). Das konnte freilich nur zu einem faulen Kompromiss führen.

 

Grund genug dafür, die Erfahrungen und Lehren aus diesem einzelnen Gefecht für die Fortsetzung mit dem selbständigen Kampf für einen zwanzigprozentigen Lohnnachschlag zu nutzen.