Brasilien
Extreme gesellschaftliche Polarisierung vor der Präsidentschaftswahl
„Fora Bolsonaro“ (Bolsonaro raus) – das war der Schlachtruf der Millionenproteste und Arbeiterkämpfe in Brasilien im letzten Jahr: Gegen die verantwortungslose Corona-Politik, die rücksichtslose Vernichtung des Regenwalds und den Raubbau an indigenen Gebieten, die Privatisierung staatlicher Unternehmen und grassierende Armut, gegen rassistische und sexistische Politik.
Es ist auch ein Erfolg dieser Proteste, dass Bolsonaro eine Niederlage bei der Präsidentschaftswahl am 2. Oktober fürchtet. So wollen ihn laut Umfragen nur noch 20% der Frauen wählen.
Gegen Bolsonaro tritt Lula da Silva von der sozialdemokratischen PT an. Er tritt mit einem Wahlbündnis aus mehreren Parteien an, das auch von verschiedenen NGOs unterstützt wird. Der deutliche Vorsprung von Lula in Wahlumfragen mit 45% gegenüber 34% für Bolsonaro sind Ausdruck eines Linkstrends, der ganz Lateinamerika erfasst hat. Der faschistische Bolsonaro ist unter breiten Teilen der Massen verhasst. Lulas verspricht mit seinem Wahlprogramm, die schlimmsten Auswüchse der offen reaktionären Politik der Bolsonaro-Regierung zu beseitigen. So sollen Hilfen für arme Familien wieder eingeführt und den Amazonas geschützt werden – allerdings nur das Kerngebiet. Lula pflegt sein Image als massenverbundener, demokratischer Politiker aus der Arbeiterbewegung. Dieser hat er jedoch längst den Rücken gekehrt. Gulhermo Boulo von der PSOL, Koordinator von Lula's Wahlkampagne in São Paulo, spricht offen vom Anspruch einer „Führungsrolle“ Lulas (also Brasiliens) in der Region. Das kennzeichnet, dass der rechte Reformismus von Lula im aktuellen Kampf um die Neuaufteilung der Welt in den Sozialchauvinismus übergeht. Für die Arbeiter bietet Lula lediglich eine neue Variante der Klassenzusammenarbeitspolitik. Was er unter seinem Wahlkampfslogan „Gemeinsam für Brasilien“ versteht, zeigte bereits seine erste Amtsperiode als Präsident von 2003-2011. Sie wurde durch eine Korruptionsaffäre beendet, in der er „gemeinsame“ Sache mit dem Ölkonzern Petrobras machte. Auch die Frauenbewegung kann von Lula nur minimale Zugeständnisse erhoffen. Die Frauenquote in der Generalversammlung des Wahlbündnisses, die ohnehin nur beratende Funktion hat, soll die Hälfte der Bevölkerung mit gerade mal 30% der Delegierten repräsentieren. Auch für die Jugend, Indigene und andere bietet Lula keine wirkliche Alternative.
Hinter der Kandidatur von Lula steht ein Teil der in Brasilien ansässigen internationalen Konzerne. Sie erhoffen von Lula, dass er die Massenproteste und Arbeiterkämpfe in parlamentarische Bahnen lenkt, und die eingeleitete gesamtgesellschaftliche Krise dämpft. Ein anderer Teil der internationalen Konzerne und Teile des Militärs wollen dagegen mit Bolsonaro den offen reaktionären Kurs der Regierung fortsetzen. Vor kurzem flog ein Chat auf, in dem Unternehmer die Vorteile eines Putsches diskutierten. Nach dem Vorbild von Trump erwägt Bolsonaro, die vorhergesagte Wahlniederlage nicht anzuerkennen, und schürt demagogisch die Angst vor einem Wahlbetrug und der „kommunistischen Bedrohung“ durch Lula. Damit kann er eine gewisse Massenbasis mobilisieren. So kamen am brasilianischen Unabhängigkeitstag zehntausende zu einer Militärparade als Teil seines Wahlkampfs.
Das führt zu einer extremen gesellschaftlichen Polarisierung. Eine Million Menschen unterzeichnete eine Petition zur „Verteidigung der Demokratie“ gegen Bolsonaro. Zehntausende gingen im August in Saõ Paulo und anderen Städten auf die Straße. Vor allem Gewerkschafter und Studenten riefen dazu auf, einen faschistischen Putsch aktiv zu verhindern. Dafür muss gegebenenfalls auch eine breite internationale Solidarität organisiert werden! Zugleich entfaltet die aggressive antikommunistische Hetze von Bolsonaro die gesellschaftliche Auseinandersetzung über den Sozialismus, und es gibt zahlreiche Gruppen mit kommunistischem Anspruch. Der Aufbau einer marxistisch-leninistischen Partei mit einer klaren Orientierung ist ausschlaggebend, damit die Kämpfe der Massen Kurs auf eine wirkliche Alternative nehmen können.