Aktuelle Tarifabschlüsse mit „Inflationsausgleich“
Selbständiger Kampf für Lohnnachschlag nicht mehr nötig?
Am 8. Juli titelte das "Rote Fahne Magazin": „Die Arbeiterklasse tritt auf den Plan“. In diesem Artikel war die Belebung der kämpferischen Aktivitäten von Arbeitern und Angestellten Thema. Das trifft auch auf die 20.000 Bodenbeschäftigten der Lufthansa zu, die am 3. / 4. August für ihre Tarifforderungen streikten und für 1000 Flugausfälle sorgten!
Es ist ganz offensichtlich: Die Gewerkschaftsführungen müssen auf die kämpferische Stimmung und die Forderungen der Gewerkschaftsbasis nach offensiv geführten Lohnkämpfen und Tariferhöhungen reagieren. Diese Forderungen bestehen in der Forderung nach Ausgleich der anhaltenden Rekordteuerung und in der Forderung nach Verbesserung der finanziellen Situation der Beschäftigten nach Jahren miserabler und skandalöser Tarifabschlüsse sowie De-Facto-Null-Runden. Die im April von IGBCE und Chemieverband auf den Herbst verschobene Tarifrunde und Einigung auf lediglich eine Einmalzahlung von 1400 Euro, stieß deshalb auf breite Kritik in fast allen Gewerkschaften. Tabellenunwirksame Einmalzahlungen waren deshalb in allen weiteren Tarifrunden vom Tisch.
In zahlreichen Warnstreiks zeigte sich eindrücklich die gewachsene Streikbereitschaft der Kolleginnen und Kollegen. Monopole und ihre Verbände waren deshalb überwiegend nicht dazu in der Lage, ihre provokativen „Lohnangebote“ und langen Laufzeiten durchzusetzen. Auch verstärkten diese Streiks, in Zeiten wachsender Krisenhaftigkeit des imperialistischen Weltsystems, den Druck. So musste der Vorstand von Lufthansa auch deshalb Zugeständnisse an die Streikenden machen, weil er in der Corona-Krise massiv Personal abbaute (beim Bodenpersonal ein Drittel) und sich damit selbst in die Bredouille brachte.¹
Doch der 6,5-Prozent-Abschluss bei Stahl, den die IG-Metall-Bezirksleitung als „die höchste prozentuale Erhöhung in der Stahlindustrie seit 30 Jahren“² feierte, lag auf zwölf Monate gerechnet nur bei 4,6 Prozent. Das veranlasste selbst die Westfälische Rundschau zur Überschrift: „Auch hoher Stahltarifabschluss liegt weiter unter der Inflation“.³ Dazu kommt auch die Kritik von vielen Metallern an der 8-Prozent-Forderung der IG Metall, für die im September beginnende Tarifrunde - weshalb die Forderungen in vielen Großbetrieben zwischen 10 und 15 Prozent lagen.
Das Tarifergebnis vom 4. August bei der Lufthansa sieht Gehaltserhöhungen in drei Schritten vor, wovon vor allem die unteren Einkommensgruppen des Bodenpersonals aufgrund der Festgeldkomponenten profitieren. „Das ist ein gutes Ergebnis“, so ver.di-Verhandlungsführerin Christine Behle. Es „beinhaltet einen Inflationsausgleich und zusätzlich eine Reallohnerhöhung.“⁴
Bei den streikenden ver.di-Mitgliedern wird die Bewertung des Tarifergebnisses dennoch auch auf Kritik stoßen, zum Beispiel die fehlende tabellenwirksame Lohnerhöhung in diesem Jahr. Vor allem wird aber kritisiert werden, dass die folgende Erhöhung um zweimal 2,5 Prozent bei einer anderthalbjährigen Laufzeit weit unter der offiziellen Inflationsrate von knapp 8 Prozent liegt. Die reale Teuerung beträgt gar „für eine vierköpfige Arbeiterfamilie mit Auto inzwischen (...) sage und schreibe über 20 Prozent“.⁵ Alles Gründe dafür, warum die Gewerkschaftsmitglieder die kollektive Diskussion von Tarifergebnissen und -kämpfen für die Diskussion nutzen sollten. In den Tarifrunden vollen Einsatz der Kampfkraft für die Durchsetzung der kompletten Forderung und für selbständige Streiks für Lohnnachschlag zu bringen - das ist kein Widerspruch.
Den Herrschenden ist nicht entgangen, dass die von der MLPD in Gewerkschaften und Betrieben angestoßene Debatte und Bewegung für Lohnnachschlag in Höhe einer tabellenwirksamen Erhöhung von 15 Prozent und für mindestens 500 Euro im Monat, rückwirkend für 2022 bzw. ab letztem Herbst, zum Brandbeschleuniger eines „heißen Herbstes“ werden kann. Die Marxisten-Leninisten fördern dabei, dass die Arbeiter ihre eigene Rechnung aufmachen, Forderungen beschließen und die dazu nötigen selbständigen Streiks vorbereiten, auslösen und führen. Das ist ein grundsätzlich anderer Weg, als der der Reformisten, die die Kollegen darauf orientieren, auf die Tarifrunden zu warten und sich mit der Warnstreiktaktik und faulen Kompromissen zufrieden zu geben.
Wenn jetzt von Gewerkschaftsführungen und bürgerlichen Medien die aktuellen Tarifabschlüsse als „Inflationsausgleich“ oder „Teuerungszulage“ verkauft werden, ist das kein Zufall. Sie sollen den Eindruck erwecken, dass sich die Bewegung für Lohnnachschlag damit erledigt habe. Die auffälligen Häufungen von Warnungen vor einem „heißen Herbst“, bei dem kämpfende Industriearbeiter die Vorreiter für Massenproteste sind, zeigen die Angst der Herrschenden vor der Entfaltung der Arbeiteroffensive.
Ein materieller Hintergrund ist der, dass die von der Bundesregierung beschlossene Gasumlage ab dem 1. Oktober, mit Ankündigungen einer Verteuerung der Preise für Haushaltsstrom um ein Drittel (EnBW) und weiteren Angriffen auf die Massen zusammentrifft. Arbeiterkämpfe für Lohnnachschlag wären auch ein Schlag gegen die Wirkung der psychologischen Kriegsvorbereitung des Frierens, Verzichtens und Opfer-Bringens für den imperialistischen Ukraine-Krieg. Selbständige Streiks würden zeigen, dass Arbeiter auch bereit sind, über den gewerkschaftlichen Rahmen hinaus, offensiv für ihre Klasseninteressen zu kämpfen. Diese Arbeiterkämpfe wären deshalb ein wichtiges politisches Signal im Kampf gegen die Abwälzung von Krisen und Kriegen auf die Massen durch das Monopolkapital und der Regierung als dessen Dienstleister.
Selbständig geführte Streiks der Arbeiter und Angestellten für einen Lohnnachschlag richten sich jedoch nicht gegen die Gewerkschaften, wie das zum Teil von gewerkschaftlichen Funktionären verbreitet wird. Sie würden vielmehr die Gewerkschaften als Kampforganisationen stärken. Indem sich die Arbeiter das Recht zu streiken nehmen und politisch für ein allseitiges und vollständiges gesetzliche Streikrecht eintreten, entwickelt sich ihr gewerkschaftliches Bewusstsein hin zu einem entwickelten Klassenbewusstsein. Die gewerkschaftliche Organisiertheit ist eine wichtige Basis dafür.
Die dazu notwendige Klein- und Überzeugungsarbeit ist ein Markenzeichen der MLPD seit ihrer Gründung 1982. Sie ist die einzige revolutionäre Partei, die „die marxistisch-leninistische Kleinarbeit in Betrieb und Gewerkschaft unter den Arbeiterinnen, Arbeitern sowie Angestellten und Auszubildenden der Großbetriebe (als) Hauptkampflinie“ hat. Das gilt es in der Zeit vom 26. bis 28. August anlässlich 40 Jahre MLPD im Willi-Dickhut-Haus in Gelsenkirchen, zusammen mit langjährigen Arbeitergenossen sowie Arbeiterführerinnen und -führern, zu feiern. Es gilt auch, mit ihnen über den weiteren Weg der Arbeiteroffensive zu diskutieren.