Weltwirtschafts- und Finanzkrise vor neuem Einbruch?

Weltwirtschafts- und Finanzkrise vor neuem Einbruch?

„Es brennt lichterloh“

Diesmal kam hoher Besuch nach Berlin zum „Tag der Industrie“, der Jahrestagung des BDI, des Bundesverbands der deutschen Industrie. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) gaben sich die Klinke in die Hand, um vor den über 1000 geladenen Gästen ihre Politik der Klassenzusammenarbeit von Monopolen und Regierung zu beschwören. Sie nennen das „Schulterschluss“.

Von Anna Bartholomé
„Es brennt lichterloh“
(foto: Wikiolo (CC BY-SA 3.0))

BDI-Präsident Siegfried Russwurm warnt vor einem bevorstehenden Kriseneinbruch. Auch in seinen Worten ist der Alleinschuldige der Krieg Russlands in der Ukraine. Die Regierungen und Unternehmen „hätten die von Russland ausgehenden Risiken“ unterschätzt. „Jetzt brennt es lichterloh.“¹

 

Das sind neue Töne, denn noch vor wenigen Wochen träumten Konzernchefs und Wirtschaftsinstitute vom bevorstehenden Wirtschaftsaufschwung. Jetzt warnt auch der Präsident des Münchener IFO-Instituts, Clemens Fuest, vor einem „giftigen Krisencoctail“ aus Inflation, drohender Gasknappheit, wieder anschwellender Corona-Pandemie, zerstückelten Lieferketten usw. Vor allem aber fürchten er und seinesgleichen Kämpfe und vor allem selbständige Streiks.

 

Die Krisenwarnungen haben sicherlich einen Hintergrund in den bevorstehenden Tarifrunden, bei denen die Belegschaften ihre Kampfbereitschaft wie zuletzt in den gewerkschaftlichen Streiks der Hafenarbeiter in Emden, Hamburg, Bremen und Wilhelmshaven², für höhere Löhne, kürzere Laufzeiten – und darüber hinaus für Lohnnachschläge entfalten.

 

Aber es wird nicht nur von Krise und Rezession geredet. In der Realität spitzt sich die weltwirtschaftliche Entwicklung zu: Auf eine drastische Vertiefung der seit 2018 anhaltenden Weltwirtschafts- und Finanzkrise.

 

Aufgrund der ungebremst steigenden Inflation in den USA und der EU hat die amerikanische Notenbank den Leitzins um 0,75 Prozentpunkte erhöht, die höchste Steigerung seit 1994. Auch die europäische Zentralbank kündigte eine Leitzinserhöhung um bislang moderate 0,25 Prozentpunkte an.

 

Die Weltwirtschaft hängt aber am Tropf des über viele Jahre ungebremst ausgeschütteten billigen Geldes. Die „Zinswende“ wird zumindest kurzfristig wenig Wirkung zum Abdämpfen der Inflation haben. Aber sie soll den Unmut der Massen – weltweit – über rasant steigende Lebenshaltungskosten bis hin zu Hungerkrisen dämpfen. Und sie verschärft zugleich das Krisenpotential.

 

Investitionen werden teurer. Die Staatsverschuldung, besonders in den am höchsten verschuldeten Ländern wie Italien und Griechenland, steigt sprunghaft bis hin zu drohenden Staatsbankrotten an. Die EZB musste letzte Woche aus Angst vor einer neuen Euro-Krise eine Notsitzung einberufen.

 

Der auch nach dem Krisenbeginn 2018 anhaltende Börsenboom, angeheizt durch das extrem billige Geld, bekommt einen deutlichen Knick. Beim wichtigsten US-Index S&P 500 krachte es mit der FED-Entscheidung gewaltig – er verlor bereits seit Jahresbeginn 2022 fast ein Viertel. Der weltweite Index MSCI World verlor in diesem Zeitraum 34 Prozent, der Dax 18 Prozent.³ Jetzt flattern die Börsenkurse täglich in größter Nervosität – ein Einbruch der Weltfinanzkrise droht. Auch die Kryptowährungen stürzen ab.

 

Der begonnene Weltwirtschaftskrieg gegen Russland wirkt wie ein Bumerang auf die Länder zurück, die die Sanktionen betreiben. In Deutschland lag der Index für das produzierende Gewerbe 2021 mit 97,7 um 7,5 Prozent unter dem Wert von 2018. Besonders stark ist die Automobilindustrie betroffen. Im ersten Quartal 2022 war der weltweite Automobilabsatz rückläufig.⁴ In Deutschland gingen bis Mai 2022 die Zulassungen gegenüber dem Vorjahr um 9 Prozent zurück. Trotzdem verzeichneten die Autokonzerne noch Höchstprofite – dank verschärfter Ausbeutung der Arbeiterinnen und Arbeiter, staatlicher Kurzarbeiterzuschüsse, Subventionen für Elektroautos und Konzentration auf die Produktion von Luxusautos.⁵

 

Finanzminister Lindner redet jetzt von „drei harten Jahren“, die „uns“ bevorstünden, womit er sicherlich nicht das eigene Wohlergehen, allerdings aber das der Massen meint. Immer rigoroser kündigt er die Abwälzung der Kriegs- und Krisenlasten auf die Massen an, die sich auf "Entbehrungen" einstellen müssten.

 

Bei der Abwälzung der Krisenlasten auf die Massen stehen die Grünen vorndran. Habeck ruft eine zweite Warnstufe im „Notfallplan Gas“ aus und fordert Energiesparen, Temperaturabsenkungen in Wohnungen und Schwimmbädern und macht sich für eine Renaissance der fossilen Verbrennung mit Kohlekraftwerken und weiterem Abbaggern der Braunkohle stark. FDP-Chef Lindner (diesmal in Einheit mit dem CDU-Chef Friedrich Merz) will „ganz ideologiefrei“ die Laufzeit der Atomkraftwerke verlängern.

 

Hitzewellen, Starkregen, Waldbrände, Atomkraftrisiken – was kümmert das diese Herrschaften. Das wird die Widersprüche in der und zur Ampel-Koalition befeuern.

 

Ein neuer Einbruch in der Weltwirtschafts- und Finanzkrise aber steigert auch die Weltkriegsgefahr – weit über den Ukraine-Krieg hinaus. Wie die Geschichte zeigt, war der imperialistische Krieg für die Herrschenden immer ein Ausweg aus der Krise.

 

Darum fordert die soeben erschienene „Blaue Beilage“ der Roten Fahne: „Der Ukrainekrieg und die offene Krise des imperialistischen Weltsystems“, dass der aktive Widerstand gegen die Weltkriegsvorbereitung eng mit den Kämpfen um Erhalt und Ausbau sozialer Errungenschaften, sowie gegen die Abwälzung der Kriegs- und Krisenlasten verbunden sein muss.