Großbritannien
Die Arbeiterklasse tritt auf den Plan
Rund 40.000 Arbeiter der Nationalen Gewerkschaft der Eisenbahn-, See- und Transportarbeiter (RMT) haben in den vergangenen Tagen in Großbritannien gestreikt. Der Bahnverkehr wurde weitgehend lahmgelegt. Die unmittelbaren Forderungen der Gewerkschafter sind mehr als berechtigt: Lohnerhöhungen von rund 8 Prozent, der Erhalt der 35-Stunden-Woche und die Verhinderung von Entlassungen. In Großbritannien wird bis Ende des Jahres mit einer offiziellen Inflationsrate von 10 Prozent gerechnet. Die Lebenslage für die Arbeiter und ihre Familien hat sich derart verschlechtert, dass Gewerkschafter „eine ‚Ertrags- und Einkommenskrise‘ (nicht nur eine Krise der Lebenshaltungskosten) feststellen und fordern „einen nationalen Ernährungsnotstand auszurufen und die drohende Ernährungskrise anzugehen.“¹
Die Bedeutung dieser Streiks geht weit über die ökonomischen Forderungen hinaus. Sie richten sich direkt gegen die Johnson-Regierung. Pläne, Gelder zu streichen und die Eisenbahn auf Kosten der Arbeiter zu rationalisieren, gehen von deren Verkehrsminister Grant Shapps aus. Um den Streik in die Knie zu zwingen, will die Regierung das Streikrecht verschärfen. Mit einer Gesetzesänderung sollen die Bahnbetreiber zu einer Minimal-Versorgung an Streiktagen verpflichtet und damit die Vertretung von Streikenden durch Ersatzkräfte erlaubt werden. Die Regierung gießt Öl ins Feuer.
Nicht nur die Eisenbahner streiken. Am vergangenen Wochenende waren in London bis zu 50.000 Menschen auf der Straße. In einem Aufruf hieß es: „Die Botschaft ist einfach: Arbeiter werden die Kosten einer weiteren Krise nicht bezahlen. Die Vorstellung, dass Lohnerhöhungen die Preise in die Höhe treiben, ist ein Mythos (…) In Wirklichkeit handelt es sich um eine systemische Krise des Kapitalismus, verursacht durch Energiemonopole, Krieg und Profitgier großer Konzerne.“²
Die Verbindung vom Kampf um soziale Fragen mit dem Widerstand gegen den imperialistischen Krieg und wachsender Kapitalismuskritik geben den Streiks politische Stoßkraft. Streikführer der kämpfenden Eisenbahner ist RMT-Generalsekretär Mick Lynch. „Wir sind jetzt in einem Klassenkampf (…) Steht auf, und kämpft, oder lebt auf den Knien“ - mit solchen Sätzen trifft er die Stimmung und den neu erwachten Stolz der Arbeiterklasse über ihre gesellschaftliche Rolle: Als führende Kraft im Kampf gegen die Abwälzung der Krisenlasten auf die Massen und die Weltkriegsgefahr.
Schließlich gehört Boris Johnson zu den Scharfmachern eines Dritten Weltkriegs und inszeniert sich als treuester Verbündeter der Ukraine. „Großbritannien ist klar auf unserer Seite und (…) will, dass die Ukraine gewinnt und dass Russland verliert“³, dankt ihm der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die Befeuerung der Weltkriegsgefahr, mit der der britische Imperialismus seine Rolle als eigenständigen Akteur im weltweiten Maßstab stärken will.
Die Johnson-Regierung bewegt sich seit geraumer Zeit am Rande einer offenen politischen Krise. Dabei geht es schon lange nicht mehr nur um das massenverachtende Party-Gebaren von Johnson und seiner Regierung, wo hemmungslos gegen Corona-Schutzmaßnahmen verstoßen wurde, während es den Massen nicht einmal erlaubt war, ihre an Corona erkrankten Liebsten am Sterbebett zu besuchen. Bei Nachwahlen zum britischen Parlament hat Johnsons konservative Partei am vergangenen Freitag in einer Art Erdbeben zwei Mandate verloren. Im Zentrum der Kritik standen nicht die lokalen Politiker, sondern Boris Johnson selbst.
Die Eisenbahner haben weitere Streiks und einen heißen Sommer für die Regierung angekündigt. Es ist die Zeit, in der Revolutionäre ihre Kräfte stärken und sich international zusammenschließen.