„Konzertierte Aktion“
Klassenzusammenarbeit zur Abwälzung der Krisenlasten auf die Arbeiter und die Massen
Die anziehende Inflation macht die Bundesregierung nervös. Dabei verzehrt sie sich nicht vor Sorgen, wie die Menschen mit den rasant ansteigenden Lebenshaltungskosten und Preisen zurecht kommen. Ende Mai betrug die offizielle durchschnittliche Inflationsrate in Nordrhein-Westfalen bereits 8,1 Prozent.¹
Viel mehr bereitet der Ampel-Koalition Kummer, wie die Menschen auf diese Entwicklung reagieren werden. 8,2 Prozent beträgt die Lohnforderung in der Eisen- und Stahlindustrie, wobei viele Vertrauenskörper und Belegschaften sogar eine zweistellige Tarifforderung aufgestellt hatten.Die Diskussion um einen Lohnnachschlag - ergänzend zu den tariflichen Forderungen - belebt sich in den Betrieben. Und ist auch dringend geboten: Mindestens 15 Prozent beträgt die reale Inflationsentwicklung bezogen auf die Einkommen von Arbeiterfamilien, Rentnern, Hartz-IV-Empfängern. Das treibt dann auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Sorgenfalten auf die Stirn. Gemeinsam mit seinen „Waffenbrüdern“, den kriegstreiberischen Koalitionären von den Grünen und der FDP, fürchtet er um die Burgfrieden-Politik, die dem deutschen Imperialismus eine ungestörte Aufrüstung für einen möglichen III. Weltkrieg und eine bessere Ausgangsposition für den weltweiten Wirtschaftskrieg verschaffen soll.
Das faule Ei einer „Konzertierten Aktion“
Mittwoch letzter Woche fiel das Zauberwort bei der Generaldebatte des Deutschen Bundestages: „Konzertierte Aktion“. Ein wahres Ei des Kolumbus. Gemeinsam mit der Bundesregierung sollen die „Sozialpartner“, gemeint sind die Gewerkschaften und die Unternehmerverbände, beraten, wie mit der aktuellen Preisentwicklung umzugehen sei.² Wie bitte? Die Preisentwicklung fällt also vom Himmel und Arbeiter und Kapitalisten "gemeinsam" sollen mit ihr "umgehen". Tatsächlich nutzen z. B. die Energiemonopole Ukraine-Krieg schamlos aus, um mit Monopolpreisen satte Extraprofite zu scheffeln. Und die Inflation ist eine bewusste Methode, damit die Staatsschulden niedriger und die Krisenlasten auf die Massen abgewälzt werden.
Bundeskanzler Scholz bediente sich mit dieser „Konzertierten Aktion“, also einem gemeinsamen und abgestimmten Vorgehen, bei einem seiner Parteikollegen, dem damaligen SPD-Wirtschaftsminister Karl Schiller, der eine solche Aktion als „Tisch der gesellschaftlichen Vernunft“ im Februar 1967 ins Leben gerufen hatte.³ Damals befand sich die bundesdeutsche Wirtschaft im Übergang zu einer Schwankenden Stagnation. Die Arbeitslosenzahlen stiegen, die ansteigende Inflation drückte auf die Löhne. Die Klassenzusammenarbeit von Unternehmerverbänden und Gewerkschaftsführungen auf höchster Ebene sorgte dafür, dass die Monopole ihre Ausbeutungs- und Rationalisierungsoffensive zeitweilig weitgehend ungestört durchziehen konnten, während die Arbeiter und Angestellten von ihren Gewerkschaftsführungen zum Stillhalten verpflichtet wurden. Doch zwei Wellen selbständiger - sogenannter wilder - Streiks in Westdeutschland brachten diesen „Tisch der Vernunft“ zum Wackeln und 1978 erteilte auch der DGB-Bundeskongress dieser „Konzertierten Aktion“ die endgültige Absage.
Obwohl schon das Vorgänger-Modell von 1967 krachend gescheitert war, konnten vor allem Regierungen mit sozialdemokratischer Beteiligung nicht die Finger davon lassen. So musste auch die rot-grüne Schröder / Fischer-Regierung im Februar / März 2003 das Aus für ihr „Bündnis für Arbeit“ erleben, als sich bundesweit Proteste und Kämpfe gegen ihre „Agenda 2010“ mit dem Kern der „Hartz-Gesetze entwickelten. Im Jahre 2008, mit der CDU / SPD-Regierung unter Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier, verordnete in der bis damals tiefsten Weltwirtschafts- und Finanzkrise ein Pakt der Klassenzusammenarbeit zwischen Bundesregierungen, Unternehmerverbänden und rechter Gewerkschaftsführung den Kolleginnen und Kollegen Zurückhaltung bei Tarifforderungen, während Arbeitsintensität und Ausbeutung in Betrieben und Verwaltungen massiv zunahmen.⁴ Im Jahr 2015 folgte das Bündnis „Zukunft der Industrie“, das natürlich ebenfalls „wesentlichen industriepolitischen Belangen“ dient.³
Was ist das konkrete Ziel der aktuellen „Konzertierten Aktion“?
Und nun wollen also Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) Inflation und Wirtschaftskrise mit einer „Konzertierten Aktion“ bekämpfen. Aber wie? Bundeskanzler Scholz sprach in der Generaldebatte des Bundestages von der „Lohnpolitik als Treiber der Inflation“. Es ist grotesk. Die von der Inflation Hauptbetroffenen sollen die Hauptschuldigen daran sein - und dann doch bitte ihre überzogenen Forderungen zurücknehmen! Zwar stiegen laut dem Statistischen Bundesamt die Nominallöhne im ersten Quartal 2022 um 4 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat, aber die Verbraucherpreise legten um 5,8 Prozent zu. Real sind die Löhne also um 1,8 Prozent gesunken! Und das sind nur die Durchschnittswerte.⁵ Man kann es auch anders ausdrücken. Wer heute ein Bruttogehalt von 3500 Euro bezieht, müsste tatsächlich 3680 Euro verdienen, um sich genau so viel leisten zu können wie November 2021. Ein Lohnverlust von 180 Euro in einem halben Jahr.⁶ Scholz und Habeck wollen also nicht an die Preise oder Steuern ran, sondern an die Löhne!
Kampf um Lohnnachschlag – eine hochpolitische Angelegenheit!
Wer gibt den Gewerkschaftsführungen, unter anderem dem IG-Metall–Vorsitzenden Jörg Hofmann und der neuen DGB-Vorsitzenden Yasmin Fahimi, das Recht und das Mandat, in einer solchen Runde die Interessen der Arbeiter und Angestellten feil zu bieten? Beglückt reagiert der Präsident des Monopolverbands BDA (Bundesverband der deutschen Arbeitgeber), Rainer Dulger, dass man auch in bisherigen Krisen immer konstruktiv an Lösungen mitgearbeitet habe.² Bundeskanzler Scholz hebt lobend den Tarifabschluss in der Chemie hervor: Für eine Sonderzahlung von 1400 Euro an jeden Beschäftigten wurden die Tarifverhandlungen zeitweilig ausgesetzt; die Verhandlungen sollen im Herbst weitergehen. Doch diese Einmalzahlungen führen nicht zu einer dauerhaften, prozentualen Anhebung der Löhne. Schluss mit dieser „Konzertierten Aktion“! Die Gewerkschaften müssen Kampforganisationen der Arbeiter und Angestellten sein, und keine Co-Manager eines Burgfriedens mit Bundesregierung und Monopolverbänden. Gegen die Abwälzung der Kosten der Kriegsvorbereitung und der Subventionen an die Monopole muss in den Betrieben der selbständige Kampf um Lohnnachschlag entwickelt und die volle gewerkschaftliche Kampfkraft zur Durchsetzung der tariflichen Forderungen eingesetzt werden! In dem Maß, wie die Arbeiterinnen und Arbeiter mit der Burgfriedenspolitik fertig werden, stellen sie sich an die Spitze der neuen Friedensbewegung.
Die jetzige Abwälzung der Krisenlasten ist erst der Anfang, darüber muss man sich klar werden. Im Zuge der offen imperialistischen Außen- und Militärpolitik der Bundesregierung wird diese noch ganz andere Angriffe gegen die Arbeiter fahren. Darauf muss sich die Arbeiterklasse vorbereiten. Ein selbständiger Nachschlagskampf ist in diesem Prozess sehr bedeutsam. In einem solchen Kampf bilden sich auch die Leute heraus, die ihn führen können. In einem solchen Kampf lernt man, auf wen man sich verlassen kann und wer nur große Töne spuckt.