Verhandlungsergebnis im Erziehungs- und Sozialwesen
Trotz Zugeständnissen ein fauler Kompromiss
Am 19. Mai erzielten die kommunalen Arbeitgeber (VKA) mit der Gewerkschaft ver.di, dem Beamtenbund ddb und der Tarifunion nach der dritten Verhandlung ein Ergebnis in der Tarifrunde im Sozial- und Erziehungswesen. Unmittelbar betroffen sind 330.000 Tarifbeschäftigte, dazu kommen Zehntausende in Bereichen, die sich bei vielen freien und kirchlichen Trägern an dem Tarifvertrag üblicherweise orientieren.
Bei der Tarifrunde ging es nicht um eine klassische Entgeltrunde. Die steht für die 2,3 Mio. Beschäftigten bei Bund und den Kommunen erst im Januar 2023 an. ver.di hatte nach einer Umfrage unter den Mitgliedern ein ganzes Forderungspaket zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen, an Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel und für finanzielle Anerkennung der Arbeit der Beschäftigten im Erziehungs- und Sozialdienst geschnürt.
Das Verhandlungsergebnis sieht vor:
- Zwei-Entlastungstage
Eine monatliche Zulage für Erzieherinnen und Erzieher von monatlich 130 Euro
Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter bekommen eine monatliche Zulage von 180 Euro
Verbesserungen, die zu einer höheren Eingruppierung führen
Erstmalig wird zudem eine Zulage für die Praxisanleitung in Höhe von 70 Euro gewährt
Die Auszubildenden der Heilerziehungspflege erhalten zum ersten Mal eine tarifliche Ausbildungsvergütung
Die Berufserfahrung im Sozial- und Erziehungsdienst soll zum 1. Oktober 2024 an die allgemeinen Stufen im öffentlichen Dienst angepasst werden.
Trotz Zugeständnisse ein fauler Kompromiss
Trotz gewisser Zugeständnisse ist das Verhandlungsergebnis ein fauler Kompromiss, weil die Verhandlungsführer der Gewerkschaften die Kampfbereitschaft der Kolleginnen und Kollegen nicht zum vollen Einsatz der gewerkschaftlichen Kampfkraft genutzt haben. Vor allem scheuten wohl die VKA und die Gewerkschaftsführer vor einem unbefristeten Streik, der ein wichtiges politisches Signal gegen die Abwälzung der Kriegs- und Krisenlasten gesetzt hätte.
Die lange Laufzeit (bis 31. Dezember 2026) führt dazu, dass die Zulagen schon bald von den Preissteigerungen aufgefressen werden, außerdem sind sie nicht dynamisiert. „Die zwei 'Regenerationstage' sind schön und gut, reichen aber bei weitem nicht aus. Vor allem führen sie zu einer Verschärfung der Personalsituation, so lange wir kein zusätzliches Personal bekommen. Und die Option, zwei weitere Tage durch die Umwandlung eines Teils unseres Lohnes zu bekommen, ist nicht zu akzeptieren,“ erklärt eine Erzieherin.
Unzumutbare Arbeitsbedingungen – Blockadehaltung des VKA
Die Beschäftigten im Erziehungs- und Sozialwesen litten schon vor Corona unter oft unzumutbaren Arbeitsbedingungen. „Die ständige Unterbesetzung führt dazu, dass ich krank zur Arbeit gehe“; „Die hohe Arbeitsbelastung treibt uns in die Teilzeit.“ „Diesen Druck hält auf Dauer niemand aus, darunter leiden auch die Kinder,“ sind nur einige Stimmen von Betroffenen.
Bis zum Schluss weigerten sich die kommunalen Arbeitgeber auf die Forderungen von ver.di einzugehen. So behauptete die Sprecherin der VKA und Oberbürgermeisterin von Gelsenkirchen, Karin Welge: „Die Erzieherinnen und Erzieher … sind am besten verdienende Beschäftigte mit dreijähriger Ausbildung“ (Interview WAZ, 7.3.22) und: Die Forderungen seien aus Kostengründen „nicht umsetzbar“. Schlimm genug, wenn andere Berufe noch weniger Lohn bekommen. Und das Argument mit den „Kosten“ zieht angesichts der 100 Milliarden Aufrüstung für die Bundeswehr bei den Kolleginnen und Kollegen schon lange nicht mehr. Angesichts der katastrophalen Personalunterdeckung an den Kitas scheute sich der Präsident des Gemeinde- und Städtebundes nicht, vorzuschlagen, wenn an einem Kindergarten 200 Kinder Platz fänden, könnten dort ja wohl zusätzlich ukrainische Flüchtlingskinder aufgenommen werden – bei 250 Kindern „ist es eben ein bisschen enger.“
Große Kampfbereitschaft
Die Provokation der Kommunen ließen sich die Kolleginnen und Kollegen nicht bieten! Am internationalen Frauentag, 8. März, hatte ver.di zu bundesweiten Streiks aufgerufen, an denen sich Zehntausende beteiligten. In der Woche vor der dritten Verhandlungsrunde streikten 45.000 Kolleginnen und Kollegen. Allein in Gelsenkirchen demonstrierten am 11. Mai fast 10.000 Beschäftigte. Auf Plakaten stand: „Ende der Bescheidenheit, Erzieher sind kampfbereit“ und ähnliches. Die politische Bedeutung dieser gewerkschaftlichen Streiks lag darin, dass die Kolleginnen und Kollegen sich von der Verzichtspropaganda aus Rücksicht auf den Ukraine-Krieg nicht beeindrucken ließen. Laut einer Forsa-Umfrage unterstützt eine breite Mehrheit der Bevölkerung die Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen an Kitas und Horten.
Die MLPD hat diesen Kampf aktiv unterstützt. MLPD-Mitglieder waren aktive Träger des Streiks. Zum 8. März schickte die MLPD eine Solidaritätserklärung, in der auf den engen Zusammenhang zwischen dem Kampf um mehr Lohn und dem Kampf gegen alle imperialistischen Kriegstreiber verwiesen wurde. Am Rande der Kundgebung am 11. Mai in Gelsenkirchen sprach der Gelsenkirchener Landtagswahlkandidat Stefan Engel. Er überbrachte die Solidarität und forderte die Kolleginnen und Kollegen auf, konsequent den Kampf um ihre Forderungen mit dem aktiven Widerstand gegen die Gefahr eines III. Weltkrieges zu verbinden.
Bei den jetzt anstehenden Beratungen und der Befragung der Mitglieder empfiehlt die MLPD, „Nein zu diesem Vorschlag“ zu sagen und die entfaltete Kampfbereitschaft voll zu nutzen - auch für den Kampf um einen Lohnnachschlag und aktiven Widerstand gegen die Weltkriegsvorbereitung. Dies diskutieren zur Zeit Kolleginnen und Kollegen in vielen Betrieben.
Inzwischen ist die offizielle Inflationsrate in NRW auf über 8 Prozent gestiegen. Das hat dazu geführt, dass das letzte Tarifergebnis mit einer Nullrunde 2020 auf die tabellenwirksame Lohnerhöhung und lächerlichen 1,4 Prozent zum 1. April 2021 und 1,8 Prozent zum 1. April 2022 zu einem massiven Reallohnabbau der Kolleginnen und Kollegen geführt hat. Deshalb ist eine Lohnforderung von 500 Euro Lohnnachschlag notwendig! Dazu muss der Kampf selbständig geführt und mit dem Kampf für ein allseitiges und vollständiges gesetzliches Streikrecht verbunden werden. Die MLPD stellt dazu ihr Know-how zur Verfügung.