Angleichung Ost-West
Haustarifvertrag zur 35-Stunden-Woche bei Zeiss Jena: Differenziert betrachtet
Seit Jahrzehnten ist die Frage der Angleichung der Arbeitszeit Ost und West eines der zentralen Anliegen der Arbeiter in Ostdeutschland und bei Zeiss Jena im Besonderen. Seit 2018 entstand daraus eine Bewegung, diese Angleichung auch zu erkämpfen.
Die IG Metall wurde an der Frage aufgebaut und der Organisationsgrad deutlich erhöht. Es gab Aktionen im Betrieb, Warnstreiks, Demonstrationen , Herausgabe gewerkschaftlicher Flugblätter und eine aktive Mittagspause. Seit der Wiedervereinigung und der massenhaften Arbeitsplatzvernichtung und teilweise Zerschlagung ganzer Produktionsbereiche ist die Arbeitszeitfrage die Front, an der sich am stärksten die kämpferische und gewerkschaftliche Initiative entwickelt hat.
Reale Einführung der 35-Stunden-Woche erneut vertagt
Am 5. Mai 2022 wurde dann folgender Haustarifvertrag abgeschlossen: ab dem 01.10.2025 hat jede Kollegin und jeder Kollege das Recht, ihre/seine Arbeitszeit auf 35 Stunden zu verkürzen, man kann entscheiden, ob man die Arbeitszeitverkürzung, mehr Lohn oder 3 Stunden auf ein Lebensarbeitszeitkonto haben möchte. Ab Oktober 2022 werden zwar noch 38 Stunden gearbeitet, jedoch 39 ausbezahlt, ab Oktober 2023 werden dann 40 Stunden und ab 01.10.2024 41 Stunden bezahlt. Bei Azubis gilt die Arbeitszeitverkürzung sofort.
Das bedeutet, dass die reale Einführung der 35-Stunden-Woche erneut um drei Jahre verschoben wird. Dieser Abschluss spielt objektiv die Lohn- gegen die Arbeitszeitfrage aus und zielt auf eine Dämpfung der Widersprüche der Lohnfrage angesichts der hohen Inflation und der beginnenden Auseinandersetzung um Lohnnachschlag in der Arbeiterbewegung. Mit der Wahlmöglichkeit wird die Belegschaft weiter zersplittert. Mit dieser Art von Haustarifverträgen auf der Basis des Abschlusses Berlin-Brandenburg-Sachsen werden objektiv kampfstarke Belegschaften aus dem Kampf um die Durchsetzung in der Fläche herausgebrochen.
Zugeständnisse des Zeiss-Konzerns
Der Zeiss-Konzern musste aber auch Zugeständnisse machen. Er forderte über Monate Kompensation im Sinne von Teillohnverzicht für Arbeitszeitverkürzung (Streichung T-Zug für drei Jahre) und die Arbeitszeitverkürzung um mindestens weitere fünf Jahre hinauszuschieben, sowie weiter zu flexibilisieren. Bei den Kollegen gab es in den letzten Monaten eine wachsende Kampfbereitschaft, eine Betriebsversammlung mit Rekordbeteiligung (600 Kollegen in Präsenz und 700 online), Ablehnung von Lohnverzicht als Kompensation unter der Belegschaft und den aktiven Gewerkschaftlern. In einer symbolischen Abstimmung haben sich über 90% der 600 teilnehmenden Kollegen für weitere Kampfmaßnahmen ausgesprochen, wenn Zeiss nicht einlenkt. Bei den Lohnverzichtsforderungen ist Zeiss dann eingeknickt. Allerdings wurde die hohe Kampfbereitschaft der Belegschaft nicht breit entfaltet und ein Streik vermieden. Dies wäre aber insbesondere in den letzten Wochen der Verhandlung nötig gewesen. Der Kampf um Arbeitszeitverkürzung ist eine Schule des Klassenkampfes und daher wäre die Erfahrung eines Streikes für die Belegschaft wichtig gewesen.
Gewerkschaftliches Bewusstsein ist gewachsen
Es ist aber das gewerkschaftliche Bewusstsein unter der Belegschaft in diesem Kampf gewachsen. Besonders auffällig ist, dass die aktiven Gewerkschafter den Kampf um die Angleichung in den letzten Jahren immer in dem Anliegen geführt haben, Teil des Kampfes der gesamten Arbeiterklasse zu sein, Vorbildfunktion zu übernehmen und die Solidarität mit den kämpfenden Kollegen anderer aktiv zu entfalten, bis hin zum Solidaritätsstreik. Befristete Kollegen haben sich in ihrer Befristung an gewerkschaftlichen Kampfaktionen beteiligt. An dieser Front wurde die bei Zeiss stark ausgeprägte Klassenzusammenarbeit am stärksten in Frage gestellt und die Selbstständigkeit und das gewerkschaftliche Bewusstsein haben sich entwickelt.
Innerhalb der Belegschaft wird der Abschluss positiv gesehen. Bei den gewerkschaftlichen Mitgliederversammlungen, an denen deutlich mehr Kollegen teilgenommen haben als in den Monaten zuvor, wurde in der Frühschicht zu 100% zugestimmt. In Zukunft gilt es auch bei Zeiss Jena, weiterhin für den Erhalt und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen sowie einen Lohnnachschlag zu kämpfen, die IG Metall als kämpferische Gewerkschaft weiter aufzubauen und viele Kolleginnen und Kollegen für das Widerstandskomitee und für die MLPD und ihren Jugendverband REBELL zu gewinnen.