ver.di-Streikende gegen unverschämte Ignoranz der VKA*
Die Anforderungen seien nicht gestiegen: Von wegen!
Gestern streikten ca. 1200 Beschäftigte des Sozial- und Erziehungsdienstes des ver.di-Bezirks Mittleres Ruhrgebiet in Bochum. Die Kolleginnen und Kollegen kamen aus Bochum, Gelsenkirchen, Gladbeck, Bottrop, Recklinghausen, Datteln, Dorsten, Herne, Herten, Marl, Oer Erkenschwick.
In den verschiedenen Reden auf der Abschlusskundgebung, mit vielen Plakaten und Streikideen wurde deutlich: Den Beschäftigten steht das Wasser bis zum Hals:
So leisten Kinderpflegerinnen täglich wertvolle pädagogische Arbeit, übernehmen Erzieheraufgaben und werden immer noch in Entgeltgruppe 3 eingruppiert. Behinderte Kinder werden in den Gruppen betreut ohne heilpädagogische Fachkraft. Kitagruppen mit 20 Kindern im Alter von 2 – 6 Jahren werden immer wieder von nur einer Fachkraft betreut, weil Fachkräfte fehlen. Kitas leisten immer mehr Sozialarbeit in der Zusammenarbeit mit den Eltern.
Besonders eindrucksvoll schilderten mehrere Kolleginnen und Kollegen aus der Sozialarbeit ihre katastrophalen Arbeitsbedingungen. Hier geht es um Kindeswohl! Allein in Gelsenkirchen bearbeitet eine Sozialarbeiterin statt 38 Fälle 70 - 90 Fälle - in Bochum und anderswo sieht es nicht anders aus. Passend kam dazu gestern die Meldung von Unicef, wie schwerwiegend sich insbesondere Kinderarmut, ungleiche Bildungschancen und die Erfahrung von Gewalt auf die Lebenssituation und das Wohlbefinden von Kindern auswirkt.
Das berührte besonders die Beschäftigten aus Gelsenkirchen. Hier leben 41% der Kinder in Armut – fast jedes zweite Kind! Die Beschäftigten im Sozial – und Erziehungsdienst machen täglich die Erfahrungen mit diesen Auswirkungen. Das ignorierten die Vertreter der Kommunalen Arbeitgeber in der letzten Verhandlungsrunde und behaupteten, dass die Anforderungen an die Arbeit im Sozial- und Erziehungsdienst in den letzten Jahren nicht gestiegen seien! Welche eine Ignoranz: Allein in Gelsenkirchen haben sich die Fälle in der Bezirkssozialarbeit in den letzten Jahren verdoppelt!
Ganz besonders im Fokus stand die Oberbürgermeisterin Karin Welge aus Gelsenkirchen. Sie ist Präsidentin der VKA (Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber) und sie war bereits Sozialdezernentin in Gelsenkirchen. Sie kennt diese Zahlen und sie weiß auch vom Fachkräftemangel! Und trotzdem wird behauptet, die Anforderungen seien in den letzten Jahren nicht gestiegen!
Als Antwort auf den Fachkräftemangel kamen Vorschläge, dass man doch dann andere Berufsgruppen einstellen könne. Diese Deproffessionalisierung wird von den Streikenden berechtigt kritisiert! Es wurde berichtet, dass ver.di in Gelsenkirchen Rederecht beim Ausschuss Kinder, Jugend und Familie am 15.3. beantragt hatte. Das wurde "offiziell" abgelehnt wegen Corona! Eine Woche später wurde Rederecht bei der Ratssitzung am 24.3. beantragt. Das wurde abgelehnt mit der Begründung, dass Tarifrunde und Politik nicht zusammen gehören!
Dazu wurde heute auf der Kundgebung von einer Kollegin aus Gelsenkirchen klargestellt: "Was wir hier vorbringen, hat verdammt viel mit Politik zu tun! Wer ist denn verantwortlich für diese Situation? Das fragen wir Frau Welge und die Mitglieder der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber! Wir sind nicht verantwortlich für diese Situation und wir sind erst recht nicht verantwortlich für diese gesamtgesellschaftlichen Krisen! Seit Jahren ist ja schon „Land unter“! Mit einer Inflationsrate von über 7% werden sich die Kinderarmut und die Probleme in den Familien weiter verschärfen. Mit dem Ukrainekrieg werden traumatisierte Kinder, Jugendliche und Frauen zu uns kommen. Damit haben wir jahrzehntelange Erfahrung. Auch wenn jetzt die Coronaeinschränkungen fast vom Tisch sind, hat sich Corona nicht erledigt.
Wir fordern bessere Arbeitsbedingungen, bessere Bezahlung, mehr Wertschätzung und mehr Fachkräfte! Und wir fordern auch, dass die finanzielle Lage der Kommunen verbessert werden muss, denn Geld ist da, ist es nur eine Frage wofür!
Wir betonen: Wir sind keine Bittsteller. Hier geht es nicht um ein paar Rettungsringe. Hier geht es um die Zukunft der Kinder und der Jugend, hier geht es um die Zukunft der Berufe im Sozial- und Erziehungsdienst!"
Auf der Kundgebung wurde sehr deutlich die Solidarität mit den Menschen in der Ukraine hervorgehoben und die Sorge um eine weitere Eskalation auch im Zusammenhang mit der Aufrüstung der Bundeswehr. Für eine Aufwertung der sozialen Berufe und der Verbesserung der Arbeitsbedingungen ist kein Geld da, aber mal eben werden 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr aus dem Hut gezaubert.
Es wurde deutlich, dass noch viele Streiktage folgen müssen, damit sich in dieser Auseinandersetzung was bewegt. Dafür brauchen die Beschäftigten breite Solidarität und Unterstützung.
Glück Auf!