Gedanken

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Die Ukraine und die Geschichtsschreibung des „Heute Journals“

Am 22. Februar erschien im „Heute Journal“ im „ZDF“ ein Hintergrundbeitrag zur Geschichte der Ukraine. Gute Idee! Immerhin könnte man an der Geschichte der Ukraine gut verdeutlichen, wie imperialistische Unterdrückung dieses Land geknechtet hat – aber auch, wie der Kampf dagegen siegreich sein kann. Der Beitrag hätte also helfen können, die derzeitige Kriegsgefahr besser zu verstehen.

Von lg

Daraus wurde leider nichts. Im Gegenteil war im ZDF ein zweckmotivierter, antikommunistischer und äußerst dummer Beitrag zu sehen. Da es unmöglich ist, in einem kurzen Artikel die Geschichte der Ukraine geradezurücken, soll sich hier mit der Methode des Beitrags auseinandergesetzt werden.

 

Richtig stellt der Autor Dominik Lessmeister fest: „Jahrhundertelang standen die Ukrainer unter Fremdherrschaft von Russland, Polen oder Österreich-Ungarn. Im Zarenreich war die ukrainische Sprache verboten. Im Ersten Weltkrieg ließ der deutsche Kaiser Truppen in die Ukrainer einmarschieren.“ Soweit so gut – es sei Herrn Lessmeister verziehen, dass er die Kennzeichnung als imperialistische Unterdrückung und eines imperialistischen Ersten Weltkriegs unterlässt, immerhin geziemt sich so etwas im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht. Nun gut.

 

Doch wie von Wunderhand wendet sich das Blatt, wenn es im nächsten Satz heißt: „Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs entsteht nur kurz ein ukrainischer Nationalstaat… .“ Oh! Ich staune. Das erste Mal entsteht ein ukrainischer Nationalstaat! Das wäre doch einen ganzen Satz wert und wohl auch eine kurze Nennung der Hintergründe. Nein, Lessmeister lässt mich alleine mit meinem Wissensdurst. Ich grüble: „Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs…“, wenigstens den Happen eines zeitlichen Zusammenhangs gesteht Lessmeister dem Publikum zu. Ich schaue in die Geschichtsbücher… . Ende des Ersten Weltkriegs… . Ja richtig, das war für Russland doch die Oktoberrevolution 1917! In derselben Nacht trat Russland aus dem Krieg aus. Und siehe da, bei weiterer Recherche ergibt sich, dass nicht nur ein zufälliger zeitlicher Zusammenhang besteht, sondern dass die Oktoberrevolutionäre auch die zaristischen Kolonien befreit hatten. Folgerichtig wurde zwei Monate später, am 11. Dezember 1917, die erste ukrainische Sowjetrepublik gegründet. Was für ein Freudentag muss das für das ukrainische Volk gewesen sein! Man sollte meinen, man könnte hier auch ein Wort über die heldenhaften Befreiungskämpfer verlieren, die einen solchen historischen Sieg davongetragen haben.

 

Tja! Es sei denn, es sind Kommunisten. Dann verlässt der brave bürgerliche Journalist jede journalistische Regel, dass WER, WIE, WAS und vielleicht sogar noch ein WARUM doch wenigstens beantwortet werden sollte. Nein, man verweist einen qualitativen Sprung in der Geschichte einfach in einen Nebensatz, bewahre Stillschweigen über die Akteure und um noch ein Subjekt im Satz zu haben, stelle man wenigstens einen vagen zeitlichen Bezug her.

 

Der Satz lässt mich nicht los. Ich höre noch mal nach: „Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs entsteht nur kurz ein ukrainischer Nationalstaat, der dann unter Lenin Teil der Sowjetunion wird.“ Lenin erscheint auf dem Bildschirm! Allerdings: Nicht im Zusammenhang mit der Gründung des ukrainischen Nationalstaats, sondern mit dem zweiten Halbsatz, in dem suggeriert wird, dass die Gründung der Sowjetunion das Ende des ukrainischen Nationalstaats gewesen sei. Doch genau hingehört muss selbst Herr Lessmeister zugestehen, dass der ukrainische Nationalstaat Teil der Sowjetunion wurde, also bestand er noch über Jahrzehnte weiter - bis heute. Nicht schlecht, Lenin! Doch warum sagt dann Lessmeister, dass der ukrainische Nationalstaat nur kurz bestand? Lessmeister vergisst leider, die dafür Verantwortlichen zu nennen. Dafür war schließlich keinesfalls Lenin, sondern seine Gegner verantwortlich. Denn in den folgenden Jahren fand ein erbitterter Bürgerkrieg statt, der auch in der Ukraine tobte. Innerhalb von wenigen Jahren herrschte erst erneut Deutschland, dann eine bürgerlich-ukrainische Regierung, dann ein französischer General mit den weißgardistischen, terroristischen Denikin-Truppen, 1920 dann Polen. Erst nach diesen Jahren des Kampfes befreite sich das ukrainische Volk unter Führung der Arbeiter und Bauern abermals und baute stolz ihren ersten ukrainischen Nationalstaat auf.

 

Darüber gäbe es auch einiges zu sagen: Vom Aufschwung der Wirtschaft, von der Verbesserung der Lebensqualität auf dem Land, der Befreiung der Frau, der Erhöhung der Arbeitsproduktivität in der Landwirtschaft, der Förderung der ukrainischen Kultur und vieles mehr. Aber nein, nichts dergleichen wird auch nur wenigstens erwähnt. Nein, als nächstes erscheinen natürlich Bilder von Toten, die natürlich Josef Stalin zu verantworten haben soll. Wie sollte es anders sein! Denn, so weiß im Fernsehbeitrag Professor Wessel von der Universität München: „Es ging Stalin eindeutig darum, die ukrainische Identität zurückzudrängen und von der sowjetischen völlig zu überlagern.“ Zur journalistischen Sorgfaltspflicht gehört es normalerweise, erst recht bei einem so schwerwiegenden Vorwurf, beide Seiten zu hören.

 

Da dem Staatsführer Stalin dieses Recht im ZDF aber bekannterweise nicht zusteht, gewährt die Rote Fahne nach Zitierung des Herrn Wessel nun hier Herrn Josef Stalin das Wort. Da bekanntlich tot, zitieren wir aus einer Rede vom X. Parteitag der Kommunistischen Partei, der im Jahr 1921 zusammen trat: „Ich habe hier ferner einen Zettel, auf dem es heißt, daß wir Kommunisten die bjelorussische Nationalität angeblich künstlich züchten. Das trifft nicht zu, denn die bjelorussische Nation existiert, sie besitzt ihre, sich von der russischen unterscheidende Sprache, so daß man die Kultur des bjelorussischen Volkes nur in dessen eigener Sprache heben kann. Das gleiche Reden konnte man vor etwa fünf Jahren über die Ukraine, über die ukrainische Nation hören. Und noch vor kurzem wurde behauptet, die ukrainische Republik und die ukrainische Nation seien eine Erfindung der Deutschen. Indessen ist es klar, daß die ukrainische Nation existiert, und es ist die Pflicht der Kommunisten, deren Kultur zu entwickeln. Man kann nicht gegen die Geschichte anrennen. Es ist klar: Wenn auch in den Städten der Ukraine jetzt noch die russischen Elemente überwiegen, so werden doch diese im Lauf der Zeit unvermeidlich ukrainisiert werden.“ (Stalin Werke, Bd. 5, S. 42) Eine Entgegnung von Herrn Wessel würde mich interessieren.


Ebenso sei dies auch Putin gesagt, laut dem Lenin und Stalin die ukrainische Nation quasi begründet hätten. Das ist nicht wahr. Die ukrainische Nation existierte – die Oktoberrevolution und die Nationalitätenpolitik der Bolschewiki führten aber erstmals das Selbstbestimmungsrecht der Völker ein.

 

Übrigens vergisst Lessmeister auch, in der Geschichte der Ukraine den barbarischen Krieg des deutschen Hitler-Faschismus gegen die Ukraine auch nur zu erwähnen. Nein. Tote gab es in der Ukraine nur unter Stalin. Unerwähnt bleibt auch der ebenso heldenhafte wie siegreiche Kampf der international zusammengesetzten Roten Armee.

 

Ein armseliges Stück Geschichtsstunde, Herr Lessmeister.