Serbien
„#NisamPrijavila" – „Ich habe (ihn) nicht angezeigt"
Dejana Stosic, Mitarbeiterin des SOS-Frauen-Telefons im serbischen Vranje, hat den Twitter-Hashtag „#NisamPrijavila" – „Ich habe (ihn) nicht angezeigt" initiiert. Innerhalb von nur 48 Stunden haben mehr als 20.000 Frauen unter diesem Hashtag bekanntgemacht, dass sie immer wieder Opfer häuslicher Gewalt werden. Dabei nutzen in Serbien nur drei bis vier Prozent der Bevölkerung Twitter.
Ein Tweet der serbischen Politologin Nina Stojakovic hatte die Lawine ausgelöst. Ihre Schwester war über anderthalb Jahre lang immer wieder vom Partner verprügelt worden. Sie versuchte, sich das Leben zu nehmen, wurde gerettet und fasste den Mut, den Mann anzuzeigen. Bei der Polizei sei ihr gesagt worden, dass man nichts tun könne, weil es keinen ärztlichen Untersuchungsbericht gebe, „obwohl es mehrere Zeugen gibt, die ihre Verletzungen und aufgeplatzten Lippen gesehen haben": „Warum hatte sie ihn nicht früher angezeigt? Weil sie einfach bis auf die Knochen verängstigt war."
Die Mitarbeiterin des SOS-Frauentelefons schätzt, dass nur jedes neunte Opfer häuslicher Gewalt den Gewalttäter anzeigt. Angst vor dem (Ex)-Partner, Ignoranz, Spott und Hohn auf Polizeiwachen und Ignoranz bis ins eigene Umweld hinein halten die Frauen davon ab. „Du hast keine Beweise." „So ist halt die Ehe." „Geh nach Haus und schlaf dich aus." „Kein Wunder bei dem Kleid, das du trägst." So etwas sagen Polizisten zu verprügelten oder vergewaltigten Frauen.
„Ich habe ihn nicht angezeigt aus Angst, dass er mir das Kind wegnimmt oder mich tötet", erzählt eine Frau auf Twitter. „Ich habe ihn nicht angezeigt, weil ich die Eltern und die Söhne nicht beunruhigen wollte, weil ich allein bin im Leben."„Ich habe ihn nicht angezeigt, weil ich befürchtete, dass die Polizei sich gegen mich wendet." „Ich habe ihn nicht angezeigt, weil dies eine große Schande ist."
Mit der Veröffentlichung der Gründe, warum sie den Gewalttäter erst nicht angezeigt haben, haben die Frauen den ersten Schritt gemacht, die Angst zu überwinden.
Quelle: Frankfurter Rundschau 3. Januar 2022, Seite 5