Widerstand geht weiter
Erster Teilerfolg für Umweltmassenproteste in Serbien
In Serbien demonstrieren Tausende Menschen zuletzt in 50 Städten gegen Umweltverschmutzung, so auch am Samstag zum dritten Mal in Folge. Die Protestierenden organisierten landesweit Elemente eines aktiven Widerstands gegen die Umweltpolitik der Regierung und der Monopole.
Sie blockierten Brücken und Autobahnen und unterbrachen unter anderem den Verkehr auf der Belgrader Stadtautobahn für über zwei Stunden. Sie trotzten auch faschistischen Übergriffen von Hooligans-Gruppen und einer Einschüchterungskampagne der Polizei. Auch in weiteren Städten waren wichtige Verkehrswege zwischenzeitig lahmgelegt. Die ICOR Partei Partija Rada „unterstützt den Widerstand der Massen und den zivilen Ungehorsam, der sich in den Städten Serbiens gegen das Regime und seine Politik manifestiert."
"Rio Tinto, bleib weg vom Fluss Drina!"
Die Proteste richten sich vor allem gegen zwei neue Gesetze, die den Weg für den Bau eines Lithium-Bergwerks durch den britisch-australischen Konzern Rio Tinto ebnen sollen. Die Demonstranten demonstrieren ausdrücklich gegen die Umweltpolitik der Regierung, die auch zu verantworten hat, dass die Luftverschmutzung in serbischen Städten zu hohen Todeszahlen führt. Es richtet sich gegen die serbische Regierung von Präsident Aleksandar Vucic, der vor allem den Einfluss der neuimperialistischen Länder Russland und China massiv fördert. China hat bereits Milliardensummen in Fabriken, Minen und Infrastrukturprojekte gesteckt. Die Bevölkerung verarmt zusehends.
2,4 Milliarden Dollar will nun der australisch-britische Bergbaukonzern Rio Tinto in das geplante Lithium-Bergwerk bei Loznica investieren. Ab 2026 soll das „Jadar"-Werk jährlich 58.000 Tonnen Lithiumcarbonat produzieren – und den Konzern in die Riege der zehn größten Lithium-Produzenten der Welt katapultieren. „Jadar könnte genug Lithium liefern, um jährlich über eine Million Elektrofahrzeuge anzutreiben", frohlockt Konzernchef Jakob Stausholm. Das Monopol kam Ende 2021 auf einen Börsenwert von über 99 Milliarden Dollar (88 Milliarden Euro).
Soll das die „grüne Agenda" der EU sein?
Die weltweit stark steigende Nachfrage nach Lithium sorgt für anziehende Preise – und Begehrlichkeiten auf Kosten von Mensch und Natur. Hier dürfen die EU und vor allem Deutschland nicht fehlen. Angela Merkel stellte bei ihrer Belgrader Abschiedsvisite im September klar: „Wenn sich die ganze Welt dafür interessiert, sind wir auch interessiert. Das ist klar." (Frankfurter Rundschau, 9. November 2021). Nach Kräften bemüht sich die Regierung derweil, Presseberichte zu dementieren, wonach Vucic mit dem Segen der EU und der USA Rio Tinto die Betriebsgenehmigung bereits zugesagt habe – und die Bauarbeiten unmittelbar nach den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im April 2022 beginnen sollten.
Das Umweltbewusstsein ist auf breiter Front erwacht
Die in der Region lebende Lehrerin Marija Alimpic fasste zusammen: „Lithium ist keine Lösung. Um mit dem Komfort des Fahrens von Elektroautos das eigene Gewissen zu beruhigen, soll hier ein riesiges Gebiet unberührter Natur zerstört werden." (Frankfurter Rundschau, 9. November 2021). Erstmals seit Jahren gingen auch junge Menschen gegen die Pläne auf die Straße. Die Stimmung war kämpferisch und die Demonstranten sind furchtlos, mutig. Eine ältere Demonstrantin zieht bewusst den Zusammenhang zur Zukunft für die Kinder: "Wem hinterlassen wir dieses Land? Ich liebe dieses Land sehr und bin hier, um meine Kinder und Enkel und das Land zu verteidigen."
Dieser Zukunftsgedanke wird auch durch die klassenkämpferische Bergarbeiterbewegung weltweit verfolgt und muss verbreitert werden. Proteste gegen Lithium-Abbau (z.B. in Bolivien), entfalten sich immer wieder, weil viele Chemikalien zum Lösen des Leichtmetalls eingesetzt werden und nicht brauchbare Schwermetalle in die Umwelt gelangen. Beides kontaminiert massiv das Grundwasser und gefährdet über das Trinkwasser Mensch und Natur. Bei einer Laufdauer von 40 Jahren könnten 6000 Tonnen Arsen auf den Abraumhalden in Serbien landen. Die Region Loznica lebt hauptsächlich von der Landwirtschaft - allein 19.000 Landwirtinnen und Landwirte - und dem Tourismus. Zwar verspricht Rio Tinto „neue innovative Technologien" für den Lithiumabbau, aber sein schwarzer Ruf eilt ihm aus seinen Bergwerken in Australien, Papua-Neuguinea, Indonesien, Madagaskar oder der Mongolei voraus. Dort verseucht er Flüsse, betreibt Korruption und die Zerstörung geschützter Kulturdenkmäler. Der Konzern lässt bereits einen Sicherheitsdienst in den umliegenden serbischen Dörfern patrouillieren, um psychischen Druck auf die Bevölkerung auszuüben, die ihre Grundstücke verkaufen sollen.
Erster Erfolg der Proteste
Einen Teilerfolg konnten die Demonstranten aktuell verbuchen. Es wurde eins von zwei Gesetzen rückgängig gemacht, die den Rio-Tinto-Konzern begünstigt hätten. Bleiben soll das neue Referendumsgesetz, das die Gebühren für Volksbegehren, die Bürgerinitiativen durchsetzen wollen, für serbische Verhältnisse so hoch setzt, dass sie de facto abschreckend wirken. Das Gesetz, das eine rasche Enteignung von Privateigentum in der Nähe von Großbauprojekten ermöglicht, soll zurückgezogen werden. Zugleich entfaltet das einen Richtungskampf in der jungen Umweltbewegung. Am letzten Samstag gingen deutlich weniger Demonstranten auf die Straße als an den beiden vorangegangenen Samstagen. Zu Recht wollen die Demonstranten, dass Förderung von Lithium in ganz Serbien grundsätzlich verboten wird. Dazu muss die starke Arbeiterbewegung in Serbien führend in diesen Protesten sein.
Es ist einseitig, wenn Medien den Rückzieher Vucics nur wahltaktisch einordnen. Richtig schreibt die ICOR-Partei Partija Rada: „Die Verschärfung der politischen Lage in Serbien ist nicht nur eine Folge der bevorstehenden Wahlen, sondern ein Spiegelbild breiterer Prozesse, bei denen die Landkarte des Balkan und vor allem Serbiens wieder auf den Tisch der zwischenimperialistischen Konkurrenz gezogen wird." Deshalb werden die Partija Rada und ihre Mitglieder „ihren Beitrag zu radikaleren Formen des Widerstands in den Massen Serbiens leisten."