Exklusiv-Interview

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Gesamtmetall-Chef Wolf: Ampel-Koalition ist Liebe auf den zweiten Blick

Die Rote Fahne-Redaktion hatte die seltene Gelegenheit zu einem Exklusiv-Interview mit Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf.¹

Von wb

Rote Fahne: Herr Wolf, die Ampel-Koalition war ja nicht ihre Wunschregierung. Können Sie dennoch ruhig schlafen?
Stefan Wolf: Ich würde es als Liebe auf den zweiten Blick bezeichnen.


Rote Fahne: Geht's noch etwas konkreter?

 

Stefan Wolf: In Gänze ist dieser Koalitionsvertrag wirtschaftsfreundlicher als der der großen Koalition. Was die so wichtige Automobil- und Zulieferindustrie angeht, haben wir kein Tempo 130 und kein Enddatum für den Verbrennungsmotor. Wir haben, wenn man zwischen den Zeilen liest, ein Bekenntnis zum Hybrid unter Bedingungen – und wir haben eine klare Technologieoffenheit, etwa Altfahrzeuge mit synthetischen Kraftstoffen zu betreiben.

 

Rote Fahne: Vor kurzem haben Sie aber das grüne Programm als "Sozialismus pur" bezeichnet?

 

Stefan Wolf: Das trifft noch heute auf das Wahlprogramm der Grünen zu. Aber jetzt ist es deutlich anders gekommen, als wir ursprünglich erwartet haben. Vor allem baue ich auf Robert Habeck, der pragmatisch ist und weiß, dass die Handelsbeziehungen mit China extrem wichtig für die deutsche Wirtschaft sind. Und dann gibt es da immer noch die Richtlinienkompetenz des Kanzlers, der um unsere Interessen weiß, wie er bei Wire-Card und den Cum-Ex-Geschäften bewiesen hat.


Rote Fahne: Und was ist mit den sozialen Zugeständnissen an den fortschrittlichen Stimmungsumschwung unter den Arbeitern wie etwa der Erhöhung des Mindestlohns. Haben Sie inzwischen Beißhemmungen?

 

Stefan Wolf: Freuen Sie sich nicht zu früh! Der Mindestlohn von zwölf Euro ist ein schwerer Eingriff in die Tarifautonomie, keine Frage – aber er tangiert unsere Industrie nicht so sehr. ... In allen anderen Bereichen wie der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen oder der Zeitarbeit sehe ich die Flexibilität der Betriebe nicht eingeschränkt. Schließlich sollen die Einschränkungen auf staatliche Betriebe beschränkt bleiben. Insofern denke ich, dass der Koalitionsvertrag die Arbeitskosten nicht weiter erhöht.

 


Rote Fahne: Wenn wir Sie richtig verstehen: Sie erwarten also gute Zeiten für die Industrie und die führenden Konzerne sowie Ruhe in Betrieben und auf der Straße?

 

Stefan Wolf: Na ja - viele meiner Mitarbeiter in der Produktion fühlen sich noch nicht so richtig aufgerufen. Ein Regierungschef muss die Menschen mitnehmen und begeistern. Da bin ich mal gespannt, was da kommt.


Rote Fahne: Wir auch. Für ruhige Zeiten wird die Ampel-Koalition kaum sorgen können. Was sie im Interesse von Leuten wie Ihnen plant, wird vor allem den Kampf gegen die verschärfte Abwälzung der Krisenlasten herausfordern. Freuen Sie sich also nicht zu früh!